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Reise ins Unbekannte - mit dem McLaren 570GT auf Teneriffa

Reise ins Unbekannte - mit dem McLaren 570GT auf Teneriffa

Mit seinem bislang straßentauglichsten Modell hat sich McLaren auf neues Territorium vorgewagt. Wir reisten nach Teneriffa, um herauszufinden, ob der neue 570 GT die Bezeichnung „Grand Tourer“ zurecht trägt...

Der 570GT ergänzt die bislang aus dem 540C und dem 570S bestehende „Sports Serie“ der Sportwagenmanufaktur aus Woking. McLaren bezeichnet den neuen GT als den bislang straßentauglichsten Vertreter dieser im 540C bei 540 PS und 160.000 Euro beginnenden Baureihe. In der Tat ist der GT etwas schwerer, langsamer und leiser als der mit 580 PS gleich starke S. Was voll okay ist, ging es den Entwicklern doch hier mehr um Komfort als um das letzte Zehntel auf der Rennstrecke. Was allerdings nicht bedeutet, dass der 570 GT plötzlich die für einen McLaren typische Sportwagen-DNA eingebüßt hätte – nein, das ist noch immer ein ernsthaft schnelles Auto...

Tanz um den Vulkan

Bei einer Fahrt über Teneriffa fällt es zunächst schwer, sich auf die Straße zu konzentrieren. Zu beeindruckend sind die herbe Schönheit der vulkanisch geprägten Insel und deren landschaftliche Vielfalt. Das Problem ist nur, dass man sich bei einer Fahrt mit dem 570 GT wirklich konzentrieren muss. Unsere vierstündige Route führt uns zunächst über ein Stück Autobahn an der Ostküste entlang, ehe wir ins Landesinnere abbiegen. Auf gewundenen Straßen geht es in Richtung des Teide und dann rund um ihn herum. Der mit 3.718 Metern höchste Berg Spaniens dominiert die Skyline der kanarischen Inselgruppe. Die Strecke wartet mit einer nicht enden wollenden Folge von Haarnadeln und Serpentinen auf, windet sich durch Wälder und große, an die Mondoberfläche erinnernde Krater nach oben. Dann abwärts durch wüstenähnliche Ebenen, Canyons und Dörfer mit Terrakotta-Dächern. Wenn der McLaren mit seinem Turbo sanft die Luft durchwirbelt, zittern die in prachtvollen Farben leuchtenden Blumen am Rand in seiner Wirbelschleppe.

Intakter Sportwagen-Kern

Es sind solche Straßen, auf denen die Supersportwagen-Gene des 570 GT am besten zur Geltung kommen. Vom Fahrersitz aus fühlt sich das Auto sehr griffig, agil und wendig an. Die elektrohydraulische Lenkung bietet genügend Rückmeldung, die Lenkkräfte nehmen zur Kurvenmitte progressiv, aber angenehm zu. Arbeiten die Kennfelder von Fahrwerk und Antriebsstrand im vom Cockpit aus anwählbaren „Sport“-Modus, ist das Einlenkverhalten besonders spontan. Zusammen mit dem sehr schnell und direkt schaltenden 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe und dem hochdrehenden V8 Twin-Turbo sind so dem Fahrspaß fast keine Grenzen gesetzt. Unser in „Perlweiß“ lackierter Wagen verfügte über die optionalen Karbon-Keramik-Bremsscheiben. Zwar war das Pedalgefühl systembedingt vor allem im kalten Zustand etwas indifferent, doch dafür die Bremswirkung phänomenal. Das ist auch bitter nötig, wenn man in 3,4 Sekunden (nur 0,2 Sekunden langsamer als im 570S) von 0 auf 100 km/h und in nur 8,9 Sekunden auf knapp 200 km/h beschleunigen kann. Obwohl er 37 Kilo schwerer ist als der 570S, wiegt der 570GT mit 1.350 Kilo immer noch 250 Kilo weniger als der direkte Konkurrent Porsche 911 Turbo S. Folge des Kohlefaserchassis und des intensiven Einsatzes von Aluminium im Bereich der separaten, auf das Monocoque aufgesetzten Karosserie. 

Auf Wunsch sanfter Cruiser

Die vielleicht überraschendste Stärke des 570 GT ist sein ziviler Abrollkomfort. Egal ob nun auf den glatten Schnellstraßen oder den holprigen Bergstraßen oberhalb der Wolkendecke – der 570 GT ist auch ohne die proaktiv agierenden Fahrwerksregelsysteme des 650S verblüffend komfortabel und geschmeidig. Besonders segensreich wirkt sich die im Vergleich zum 570 S um 15 (vorn) beziehungsweise zehn Prozent (hinten) reduzierten Federraten aus. Den Komfort steigern zusätzlich geräuschschluckende Reifen von Pirelli, ein weniger ientesiv ausatmendes Auspuffsystem und eine schallabsorbierende Folie am Panorama-Glasdach. 

Angenehmer Arbeitsplatz 

Im Interieur spielt der 570GT dann seine Stärken nochmal besonders aus. Das unvermeidliche Leder ist sehr hochwertig, und da nahezu alles, was beim 570S noch optional ist, hier zum Serienstandard erhoben wird, steigt der Preis um fast 15.000 auf rund 195.000 Euro. Trotz edlerer Ausstattung fühlt man sich eher wie in einem komfortabler ausgelegten, aber noch immer echten Sportwagen als in einem lupenreinen Grand Tourer à la Mercedes-AMG GT. Bestes Beispiel sind die Sitze mit Kohlefaser-Rahmen, die auf langen Strecken vielleicht nicht die erhoffte Lordosenstütze bieten können. Dennoch ist der Aufenthalt in der Kabine angenehm, auch dank des leicht getönten Panoramadachs, welches das Cockpit heller und subjektiv großzügiger erscheinen lässt.

Das elektrisch verstellbare Lenkrad und alle wichtigen Bedienelemente sind griffgünstig angeordnet. Die weit heruntergezogene Windschutzscheibe und die gegenüber dem 570S etwas größeren Seitenfenster verbessern die Rundumsicht, sodass Spurwechsel und andere Manöver etwas leichter von der Hand gehen. Die im Vergleich zum McLaren 650S niedrigeren und schmaleren Türschweller des nur 75 Kilo wiegenden Kohlefaserchassis erleichtern darüber hinaus den Ein- und Ausstieg. Sehr angenehm, wenn nahezu jede neue Kurve einen neuen Ausblick eröffnet und das Zücken der iPhone-Kamera provoziert. Doch sind erst einmal die Türen geschlossen, fühlt man sich wie in einem behaglichen Cocoon. Bereit, beherzt ins Lenkrad zu greifen. Kinderkrankheiten mit dem IRIS Infotainmentsystem scheinen inzwischen ausgeräumt, und das Bowers & Wilkins-Soundsystem läuft speziell im „Stage“-Modus zur Hochform auf. Als Manko empfanden wir da nur die unter Sonneneinstrahlung von der Windschutzscheibe provozierte Blendung.

Platz für zwei große Lunchpakete

Rein optisch differenziert sich der GT von seinen Kollegen der „Sports Serie“ durch eine geänderte Dachlinie, unter der sich ein 220 Liter großer Kofferraum verbirgt. Das mit Leder ausgeschlagene Touring Deck lässt sich über einen seitlich angeschlagenen Kofferraumdeckel aus Glas und Kohlfaser öffnen – dazu muss man sich dann leicht über den Kotflügel beugen. Kaum mehr als zwei mittelgroße Taschen dürften hineinpassen, unsere Lunchkörbe jedenfalls fanden problemlos Platz. Außerdem gibt es ja auch noch das 150 Liter fassende Fach im Bug, sodass dieser McLaren insgesamt beeindruckende 350 Liter Stauraum eröffnet. Insgesamt also ein cleveres Package für ein Auto, dessen Design im Vergleich zum 570S noch graziler und wie aus einem Guss wirkt. Ein attraktiver Sportwagen, der moderner als der 650 S daherkommt. Die überwältigenden Reaktionen der Einwohner Teneriffas bestätigten unseren Eindruck – sie führten sich auf, als wäre gerade ein Raumschiff mit Aliens auf ihrem Eiland gelandet. Und wer kann sich schon dem Reiz von senkrecht nach oben klappenden Flügeltüren, auch „Butterfly Doors“ genannt, entziehen? 

Kein Kontinentalexpress

Der McLaren 570GT ist nicht der kommodeste Grand Tourer in seinem Segment, doch vielmehr ein feiner Sportwagen, der dank einer Reihe gut durchdachter Details durchaus auch auf Langstreckenfahrten zu begeistern vermag. Unterm Strich erfüllt er überzeugender als der 570S das Versprechen der McLaren Sport Series, hohen Fahrspaß mit einem gewissen Grad an Alltagsnutzen zu verquicken. Seine Eigenschaften ermuntern nicht dazu, ganze Kontinente im Expresstempo zu durchqueren. Doch immer dann, wenn die Autobahn langweilig zu werden droht und die Straßen abseits davon kurviger werden, wird der 570 GT wertvoll. Was dann mehr als genug für einen leicht schmerzenden Rücken entschädigt. 

Fotos: McLaren Automotive

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