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Reifenspuren rückverfolgen mit der Rennsportlegende Richard Attwood

Reifenspuren rückverfolgen mit der Rennsportlegende Richard Attwood

Vor 50 Jahren bescherten Hans Herrmann und Richard Attwood Porsche den ersten von bis heute 19 Le Mans-Siegen. Attwood wurde an diesem Wochenende zugleich 80 Jahre alt. Zur Feier beider Jubiläen nahmen wir die liebenswürdige britische Rennlegende mit auf eine Reise in die Memory Lane...

Es war im Jahr 1959, als der am 4. April 1940 geborene Richard Attwood in Goodwood zu seinem ersten Autorennen ausrückte. Dazu ermuntert hatte ihn sein Vater, der in den Midlands eine Kette prosperierender Autohäuser betrieb und in der Vergangenheit selbst in den Motorsport hineingeschnuppert hatte. Im Laufe des darauf folgenden Jahrzehnts und sieben Jahren im Profi-Rennsport stieg „Dick“ über die Formel Junior – Sieg beim GP Monaco 1963 auf einem Lola Ford Cosworth des von ihm selbst gegründeten Teams Midland Racing Partnership – bis in die Formel 1 auf. Sein Debüt in der Königsklasse gab er 1965 ebenfalls in Monaco auf einem Lotus 25-BRM von Reg Parnell Racing. Und es war erneut in Monaco, wo er 1968 hinter Graham Hill auf einem BRM P126 V12 mit Platz zwei sein bestes Formel 1-Resultat einfuhr. Im Ziel lag er nur 2,2 Sekunden hinter dem Lotus 49 und fuhr zudem noch die schnellste Rennrunde. 

Seine wahre Berufung fand Attwood jedoch im Sportwagen und damit im Langstreckensport. Mit dem absoluten Highlight des Le Mans-Sieges von 1970, zusammen mit dem heute 92-jährigen Schwaben Hans Herrmann. Es war der erste Porsche-Sieg beim 24-Stunden-Rennen und begründete eine lange Serie von bis heute 19 Gesamtsiegen. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums dieses Sieges und zugleich des 80. Geburtstags Attwoods sprachen wir mit ihm über die Zähmung des Porsche 917, die Dreharbeiten zu Steve McQueens „Le Mans“ und – natürlich – über den historischen Sieg auf dem Circuit de la Sarthe. 

Können Sie sich an Ihr erstes Autorennen erinnern? 

Ja, das war 1958 in Goodwood auf einem Standard 10, eine Limousine etwa von der Größe eines Morris Minor. Ehe man in Goodwood starten durfte, musste man erst dort hinfahren und unter Beweis stellen, dass man ein Auto richtig bewegen konnte. Ich fuhr den ganzen Weg von Wolverhampton herunter, was in den Zeiten vor den Autobahnen sieben Stunden dauerte. Doch ich bestand dann den Test. Schon kurz darauf trat ich zu meinem ersten Rennen an, und obwohl ich mich nicht mehr daran erinnern kann, auf welchem Platz ich landete und wie gut das Auto war, gibt es ein Foto in Autosport, das beweist, dass ich dort war. Um ehrlich zu sein war ich einfach nur froh, mich für das Rennen überhaupt qualifiziert zu haben. 

Wie unterschieden sich die Rennen mit Sportwagen von denen in Formelautos? 

Wir haben damals die verschiedenen Formelklassen nicht miteinander verglichen, und ich habe mich auch nicht bewusst für Monoposti oder für Sportwagen entschieden. Wir fuhren, was wir zu fahren bekamen und gingen Schritt für Schritt vor. Denn du wusstest nie, wann und woher der nächste Anruf kommen würde. Doch wenn ein Auto ausreichend wettbewerbsfähig war und das Angebot auch sonst stimmte, waren wir glücklich, weiter im Geschäft zu bleiben. Damals gab es auch noch keine Exklusiverträge, was aus heutiger Sicht vielleicht schwer nachzuvollziehen ist. 

Wie kam es zum Porsche Vertrag für die Saison 1969? 

Rennleiter Huschke von Hanstein wusste, dass Porsche für 1969 und 1970 den großen Aufschlag plante und suchte dazu nach passenden Fahrern. Da Porsche über seine Rennerfolge die Serienmodelle rund um die Welt vermarkten wollte, wollte man Fahrer unterschiedlicher Nationalitäten. Daher spannte man mich für das 6-Stunden-Rennen von Watkins Glen 1968 mit dem Japaner Tetsu Ikuzawa auf einem 908 zusammen. Auf Basis dieses Einsatzes erhielt ich dann für das folgende Jahr den Werksvertrag. 

Stimmt es, dass Sie zuvor fast für John Wyer unterschrieben hätten, also für einen Einsatz in dessen Ford GT40? 

Ja, Ende 1968 kam eine solche Anfrage von Wyer. Doch nachdem die Verhandlungen mit beiden Parteien abgeschlossen waren, musste ich ihm absagen. Er war darüber ziemlich sauer, doch insgesamt sah ich im Vergleich zum fünf Jahre alten GT40 bei Porsche bessere Perspektiven. Porsche hatte sogar angekündigt, zu jedem Rennen neue Autos zu bringen, was dann so nicht passierte. Doch als wir in Daytona ankamen, standen da fünf nagelneue und zuvor noch nicht getestete 908. Sie waren voller Glasfaserteile und wir mussten Brillen tragen, weil Bruchstücke im Cockpit herumflogen... 

Wie stark unterschied sich der überarbeitete 917K im Vergleich zum ursprünglichen Langheck-Modell? 

Wie Tag und Nacht. Bezüglich des ersten 917 von 1969 kann man sich nicht vorstellen, wie instabil und gefährlich ein Rennwagen sein kann. Wir fuhren in Le Mans Geschwindigkeiten, wie sie dort zuvor noch nie erreicht worden waren – es war furchteinflößend. Jederzeit konnte das Auto die Kontrolle übernehmen, wenn man als Fahrer nicht aufpasste. Es war das einzige Auto, bei dem ich vor dem leichten Rechtsknick auf der Hunaudières-Geraden das Gas lupfen musste. 1969 lagen Vic Elford und ich bis drei Stunden vor Schluss klar in Führung, als das Getriebe streikte. Ich hatte das Rennen zuvor noch nie gewonnen und wir hatten den Sieg in Reichweite. Doch kann ich ehrlich sagen, dass ich nach dem Ausfall nicht schnell genug aus dem Auto steigen konnte. Der Kurz-Heck 917 von 1970 war dagegen perfekt und im Vergleich dazu ein Spaziergang im Park! 

Dabei sprachen die Wetten vor dem Start des Rennens von 1970 eher gegen Sie... 

Die Porsche Jungs wussten, dass es 1969 schlecht gelaufen war. Im Februar 1970 fragten sie mich, welche 917-Konfiguration ich bevorzugt in Le Mans fahren wollte. Das hatte mich zuvor noch nie ein Hersteller oder Team gefragt.  Also bat ich um eine Kurzheck-Version und Hans Herrmann als zweiten Fahrer, weil er der erfahrenste Langstrecken-Pilot im Team war. 

Man erfüllte mir zwar all diese Wünsche, baute aber nur einen kleineren 4,5-Liter-Motor statt des größeren 5,0-Liters in unseren 917 ein. Im Training waren wir entsprechend langsam, verloren vor allem ausgangs Mulsanne und Arnage viel Zeit. Ich erinnere mich, wie ich nach dem Qualifying sagte, dass wir keine Siegchancen hätten. Zu allem Überfluss waren an diesem Tag meine Ohrspeicheldrüsen angeschwollen und ich konnte deshalb nichts mehr Festes essen. Damals hatten wir noch keine Rennärzte oder Physiotherapeuten und so überlebte ich vor allem durch das Trinken von Milch!

An welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass das Pendel zu Ihren Gunsten umgeschlagen hatte? 

Hans fuhr den ersten Turn und ich hatte das Vergnügen, zuzuschauen. Es ging auf der Strecke zu wie bei einem Grand Prix, ich konnte es kaum glauben. So viele Autos hatte reelle Siegchancen, doch mir war klar, dass das Rennen so nicht lange weitergehen konnte. Und so kam es dann auch. Alle nur denkbaren Dinge ereigneten sich: Gleich am Start eliminierte eine Massenkollision drei Ferrari auf einen Streich; Jo Siffert überdrehte den Motor seines 917-Langheck und Mike Hailwood im einem der Gulf-917 K wechselte bei starkem Regen nicht rechtzeitig auf Regenreifen und flog nach Kollision mit einem Alfa Romeo in der Kurve nach Start/Ziel ab. 

Ich war zunächst nicht groß daran interessiert, wo genau wir im Rennen lagen. Doch nach zehn Stunden steckte mir jemand dann zu, dass wir in Führung lägen. Ich war perplex! Die größte Schwierigkeit bestand nun darin, diese Führung unter denkbar schweren Bedingungen 14 weitere Stunden lang zu verteidigen. Ich kann nicht beschreiben, wie nass es war und es fühlte sich an, als würden wir extrem langsam fahren. Doch wir richten uns nach einem exakten Fahrplan, mit genau getimten Boxenstopps und ich kann mich an keinerlei Probleme erinnern. 

Welche Erinnerungen haben Sie an das Rennende? 

Hans wollte das Rennen zu Ende fahren und ich hatte kein Problem damit, so lange er das Auto in einem Stück nach Hause bringen würde – wovon ich überzeugt war. In diesem Jahr gab es keine Siegerehrung auf dem Podium oder Balkon – stattdessen wurden wir auf der offenen Ladefläche eines Lkw einmal rund um den Kurs gefahren, was nicht besonders elegant oder feierlich war. Porsche lud am Abend zu einem speziellen Dinner ein, doch war ich so erschöpft, dass ich schlicht nicht wach bleiben konnte und mich nach 20 Minuten verabschieden musste. Als ich zurück in England war und am Dienstag nach dem Rennen meinen Hausarzt konsultierte, diagnostizierte er bei mir Mumps!

Für mich war es damals nur ein weiteres Rennen, doch Le Mans ist inzwischen natürlich noch viel wichtiger geworden. 

Wie war es, an den Filmarbeiten zu Steve McQueens Le Mans mitgewirkt zu haben? 

Ich fuhr fast im gesamten Film den Kamera-917. Die Filmarbeiten zogen sich zäh hin, es gab immer jemanden, der seinen Senf dazugab und mit dem Licht oder sonst etwas nicht zufrieden war. Es wurde so viel Zeit vergeudet, und man hat ja dann gesehen, wie viel das alles gekostet hat. Ich brauchte nur ein paar Tage pro Woche zu arbeiten, und hatte mehr verdient als mit meinem Racing! Beim Start der Dreharbeiten herrschte noch viel Euphorie, und viele Top-Piloten machten gerne mit. Doch viele meldeten sich dann auch wieder ab, weil es für sie nicht aufregend genug war. Steve hatte große Ehrfurcht vor uns – und wir vor ihm. Er war völlig niedergeschlagen, als ihm die Versicherungsfirma untersagte, während der Dreharbeiten selbst zu fahren.  

Haben Sie damals schon geahnt, dass man diese Zeit einmal als goldene Epoche des Motorsports bezeichnen würde? 

Es war eine sehr nostalgische Ära und ich denke, der Film zeigt das sehr gut. Zugegeben, man wusste nie, was die Zukunft bereithalten würde.  Doch die Autos waren charismatisch und die Kameradschaft unter den Fahrern war ein wichtiger Bestandteil der ganzen Rennerei. Die heutigen Fahrer sind längst nicht mehr so gefährdet wie wir früher, was glaube ich zum damals größeren Zusammenhalt geführt hat. Nachdem Colin Chapman seine Ground-effect-Autos herausgebracht hatte, verlor der Motorsport für mich einen Großteil seiner Faszination. Sie viele Leute gehen doch heute nach Goodwood, weil sie erleben wollen, wie sich die Autos in den Kurven sichtbar bewegen und rutschen – das ist pure Artistik. Sie nannten es damals Fortschritt, doch bedeutet Fortschritt manchmal auch Rückschritt. 

Sie hatten einen Porsche 917 als Alterssicherung gekauft. Bereuen Sie, ihn verkauft zu haben? 

Ja, es war 1978, als ich von Brian Redman einen 917 kaufte. Keiner von uns wusste um seine Geschichte, doch fanden wir dann heraus, dass es sich um das Kameraauto von Solar Productions für Le Mans handelte – das ich länger als jeder andere gefahren hatte! Ich bereue nicht, mich von ihm getrennt zu haben, da ich das Geld benötigte. Ich stand vor der Entscheidung, entweder mein Haus oder das Auto zu verkaufen – und ich liebe mein Haus einfach zu sehr. 

Bilder mit freundlicher Genehmigung des Porsche Museums © 2020 

Feiern Sie Richard Attwoods Rennsporterbe mit diesen Sammlerstücken