In Zeiten automobiler Großmannssucht und ästhetischer Beliebigkeit kann es hilfreich sein, sich jener kreativen Köpfe zu besinnen, die in der Hochphase der Nachkriegsmoderne ihre Ideen einer funktionalen, demokratischen und bescheidenen Produktgestaltung verteidigt haben. Designer wie Ferdinand Alexander „Butzi“ Porsche, Waldorfschüler und Kurzzeit-Student der einflussreichen Hochschule für Gestaltung in Ulm, der den so asketischen wie langlebigen Porsche 911 entwickelte. Oder dem kreativen Vorzeige-Ehepaar Charles und Ray Eames, das von Kalifornien aus mit seiner rasanten Prototypen-Philosophie und der Wahl alltäglicher Materialien wie Sperrholz, Fiberglas und Plastik das Industriedesign und die Architektur des Mid Century revolutionierte.
Doch während man „Butzi“ und dem Ehepaar Eames nur noch durch ihr Werk näher kommen kann, ist einer ihrer Zeitgenossen und Mitstreiter für die gute Form noch immer quicklebendig und höchst aktiv: Als Architekt und Designer hat Carl Gustav Magnusson sein Handwerk Ende der 1960er Jahre im Studio von Charles und Ray Eames in Kalifornien gelernt und anschließend als Design Director fast drei Jahrzehnte lang das Bild der legendären Möbelmarke Knoll geprägt. Bis heute pflegt der gebürtige Schwede den rastlosen Lebensstil eines Kurators, Professors, Mentors, Erfinders und Designvordenker. Erpendelt zwischen seinen zwei Wohnsitzen in New York und Mailand – und nutzt jede freie Minute, um seine ewigen Liebe für klassische Automobile auszuleben.
Wir treffen Carl Gustav Magnusson an einem strahlend schönen Septembertag in Andeer, einem kleinen Bergdorf im Schweizer Kanton Graubünden. Schon im Morgengrauen ist der Designer in Mailand losgefahren, hat im ersten Licht des Tages den San Bernardino-Pass überquert und lehnt nun an seinem neuesten Projekt – einem äußerst ungewöhnlichen Porsche 912. Mit seinen gelben Scheinwerfern à la française, den kalifornischen Kennzeichen und einem glänzenden schiefergrauen Lack, in dem sich der wolkenlose, tiefblaue Himmel spiegelt, sieht der Sportwagen wirklich atemberaubend aus. Doch wie alle Designprojekten, die Magnusson leitet, ist auch dieser Porsche komplexer und eklektischer, als man es auf den ersten Blick erkennt. Also folgen wir seiner Einladung, schwingen uns auf den Beifahrersitz – und schon geht es bergauf in Richtung des berühmten Splügenpasses. Herbstlich gefärbte Arven und gewaltige Felsabrisse aus Granit fliegen vorbei. Es ist Zeit, dem Porsche und seiner Geschichte auf den Grund zu gehen.
Was hat es mit diesem Auto auf sich?
Nun, es ist ein Porsche 912 aus dem Jahr 1968. Als ich ihn in Kalifornien aufspürte, hatte er reichlich Rost und war mehr schlecht als recht lackiert worden. Ich schickte ihn dann zum Bruce Baker in Pennsylvania. Er ist ein Meister seines Fachs und hat sein ganzes Leben lang an Porsche 356 und frühen Porsche 911 mit kurzem Radstand gearbeitet. Er nahm sich meines 912 an – als eines seiner letzten Projekte vor dem Ruhestand.
Was war die leitende Idee hinter dem Neuaufbau?
Ich wollte den Porsche 912 nicht in einen weiteren 911 verwandeln – das hätte ich als angeberisch empfunden. Viel lieber wollte ich den bescheidenen Geist des 912 herausarbeiten, alles möglichst einfach halten und so den ursprünglichen Gestaltungsansatz fortsetzen. Das Auto hat wirklich nichts Luxuriöses an sich. Und ich möchte mir vorstellen, dass das Ergebnis auch „Butzi“ zufriedengestellt hätte.
Das Cockpit ist sehr minimalistisch, und doch haben Sie hier einiges verändert, nicht wahr?
Ich habe mich auch hier vom Geist des Porsche 912 leiten lassen. Passend zu einem günstigen Sportwagen für Einsteiger wollte ich alles möglichst industriell, funktional und zweckdienlich erscheinen lassen. Statt Lederriemen und Wollfußmatten findet man Gummi soweit das Auge reicht. Die einzigen Farben sind grau und schwarz, mit schlichten Akzenten aus Metall und Chrom. Ich verwende Flugzeuggurte der britischen Armee mit schmucklosen Aluminium-Verschlüssen. Das Lenkrad ist die Standardausführung, ich habe nur die Ränder poliert. Das Heuer-Logo auf der Borduhr lässt die Zeit zwar nicht schneller laufen, sie sieht aber einfach gut aus. Das wenig ansehnliche Plastikteil oben auf dem Armaturenbrett habe ich durch eine Ablage in Wagenfarbe ersetzt – ein kleiner Wink an die frühen Speedster-Modelle. Um das Cockpit möglichst einfach zu halten habe ich außerdem den Aschenbecher und den Zigarettenanzünder entfernt. Und noch etwas: Ich finde, Beifahrer sollten eine eigene Hupe besitzen – sie sehen nämlich Dinge, die der Fahrer nicht erkennen kann. Also habe ich eine installiert. Um die Stromversorgung herzustellen benutze ich einen einfachen Hebel von Bosch, der sehr industriell aussieht. Und um die üblichen Klischees zu vermeiden hängt an meinem Schlüsselbund kein Porsche-Logo, sondern das ostdeutsche Ampelmännchen, eine kleine Referenz an die Wiedervereinigung Deutschlands.
Wie haben Sie den Porsche äußerlich verändert?
Ich habe ihn in „Schiefergrau“ lackieren lassen, da der Farbton die Form wirklich gut zur Geltung bringt. Ich habe die Scheinwerfer gelb eingefärbt, aber die Nebelscheinwerfer weiß gelassen. Die Blinker sind übrigens noch original, man erkennt die Risse im Kunststoff. Dann habe ich die Standard-Rückspiegel durch kleine Motorradspiegel ersetzt. Die Räder entsprechen der Serie, ich habe nur einige Details in Wagenfarbe lackiert und Schrauben aus Titanium verwendet. Die Reifen von Vredestein haben ebenfalls die korrekten Abmessungen, nur die chemische Zusammensetzung wurde verbessert. Das Auto ist auch nicht tiefer gelegt worden, deshalb fährt es sich so gut. Es steht in Einklang mit seiner ursprünglichen Idee.
Das Logo haben Sie aber ein bisschen verändert, oder?
Nun, es gibt in Maryland einen Typen, der kann einem Objekt aus Metall fast jeden gewünschten Look verpassen. Also habe ich ihm das Porsche-Logo geschickt und ihn gebeten, es wie Zinn aussehen zu lassen – poliert an den Rändern aber exodiert in den tieferen Bereichen. Der Kreis auf der Haube ist übrigens eine diskrete grafische Referenz an die klassische Rennsport-Nummer. Sie schafft Erwartungen.
Die geschlossene Motorhaube ist eines der expressivsten Elemente des Autos. Wie kam es dazu?
Als Vierzylinder-Sportwagen braucht der Porsche 912 weniger Kühlungsluft als der 911. Manche Leute nennen ihn deshalb sogar ein „ölgekühltes Auto“. Dennoch hat Porsche damals die Lüftungsgitter des 911 übernommen. Ich dachte mir, eine geschlossene Haube würde der Linienführung zugute kommen, also habe ich meinen eigenen Entwurf bei einem Handwerker in Kalfornien aus Aluminium anfertigen lassen und die Kühlungslöcher auf ein Minimum reduziert.
Und wie fährt sich Ihr Porsche 912?
Er fährt sich tatsächlich sehr gut. Er hat Webervergaser und 1,75 Liter Hubraum statt der üblichen 1,6 Liter. Der Motor wurde umfassend verbessert, allerdings nicht, um das Auto schneller zu machen, sondern noch zuverlässiger. Diesen Sommer bin ich mit dem 912 von Lodon nach Wales gefahren, dann nach Mailand und zu Luftgekühlt nach München, nun ins Engadin – alles ohne Probleme.
Sie sind Architekt und Industriedesigner – woher stammt Ihre Begeisterung für Autos?
Mein Vater war Ingenieur. Als ich ihm zum ersten Mal sagte, dass ich Autodesigner werden wollte, antwortete er: Autos zu entwerfen ist, wie Krawatten zu entwerfen. Also studierte ich Architektur. Erst viele Jahre später viel mir auf, dass Ralph Lauren eine der wertvollsten Autosammlungen der Welt besaß – weil er Krawatten entworfen hatte. Nach dem Studium interessierte ich mich noch immer mehr für Produktdesign und schrieb eine Bewerbung an Charles Eames in Venice, Kalifornien. Nach einigen Wochen kam seine Antwort: Ich könne sofort anfangen. Also zog ich von Schweden nach Kalifornien. Nun hatte ich aber gerade als Architekt den Showroom eines Importeurs für Luxusautos entworfen und dabei einen Rabatt für einen neuen Morgan ausgehandelt. Also wurde der Wagen in England von Peter Morgan höchstpersönlich zum Hafen gefahren und an Deck eines Frachters in die USA verschifft. Als ich den Morgan in der Westside von Manhattan abholen wollte, war er von der Überfahrt komplett verdreckt. Als der Zollbeamte diesen Anachronismus auf Rädern sah, winkte er mich durch: Keine Einfuhrsteuer auf alte Autos! So fuhren wir – meine Frau, unsere zwei Kinder und ich – in diesem dreckigen Morgan einmal quer durch die USA, bis nach Kalifornien.
Wie war es, für Charles und Ray Eames zu arbeiten?
Im Büro der Eames’ waren damals vielleicht 14 oder 15 Leute beschäftigt. Wir arbeiteten beispielsweise an der Planung für das National Aquarium in Washington DC, das leider nicht realisiert wurde, und der Einrichtung der Mathematica-Ausstellung von IBM. Es waren wunderbare Jahre. Nachdem ich Anfang der 1970er Jahre mein eigenes Studio eröffnet hatte, bekam ich einen Anruf der Möbelfirma Knoll – und arbeitete kurz darauf in New York an Produkten, Verkaufsräumen, Werbeanzeigen und Grafiken. Knoll schickte mich um die Welt, ich lebte in Paris, London und Mailand. Doch nach 29 Jahren dachte ich, ich sollte vielleicht doch noch etwas anderes probieren, und kündigte. Doch natürlich blieb eigentlich alles gleich. Die letzten 14 Jahre habe ich als Designer und Universitätsprofessor gearbeitet.
Was ist gutes Design? Haben Sie nach 50 Jahren im Geschäft eine Antwort auf diese Frage?
Die Vortragsreihe, die meinen Studenten am besten gefällt, heißt „3.500 Jahre Design in 2.000 Sekunden aus dem Stand“. Darin geht es um die kulturellen Einflüsse der Designgeschichte. Ein erfolgreiches Produkt kombiniert fast immer Dinge, die es in anderer Form schon gab. Ein Smartphone ist eigentlich nichts Neues, es fügt alte Ideen nur neu zusammen. Das war die Brillianz von Steve Jobs – er sah überall Verbindungen. Wenn eine neue Kombination erfolgreich ist, erscheint sie uns irgendwann selbstverständlich. Aber stellen Sie sich einmal vor, wir wären hier vor 30 Jahren am Tisch gesessen – und jeder hätte ein Telefon neben seinem Teller stehen gehabt. Mit Kabel. Absurd! Viele gute Lösungen kommen übrigens erst gar nicht gut an. Denken Sie nur an die Idee, den Motor ins Heck eines Autos zu packen und nicht in die Front. Mir gefällt, dass Porsche sich von diesem Konzept auch in 70 Jahren nicht hat abbringen lassen. Sie haben die Formel einfach perfektioniert.
Der klassische Porsche 911 gilt noch immer als Sportwagen für Intellektuelle, der Porsche 912 ist sogar noch zurückhaltender. Warum werden bezahlbare und einfache aber intelligente Sportwagen heute kaum noch gebaut?
Vor etwa 60 Jahren fand die Luxusindustrie heraus, dass Menschen gerne mehr bezahlen. Warum ist eine Rolex so teuer? Einfach: Weil sie sich so besser verkauft. Es gibt diesen Witz über zwei russische Millionäre. Fragt der eine: „Was hast Du für deinen Rolls-Royce bezahlt?“ Antwortet der andere: „Eine Million Dollar.“ Der erste ist entsetzt: „Du bist doch verrückt! Ich hätte Dir dasselbe Auto für zwei Millionen besorgen können.“ Was mich im Gegensatz am Porsche 912 fasziniert, das ist dieses Bekenntnis zur absoluten Einfachheit und Bescheidenheit. Es geht nicht um Leistung, man kann mit ihm nicht angeben. Was zählt, ist es, mit so wenigen Elementen wie möglich das beste Ergebnis zu erzielen. Dieser Ethos seiner Entwickler macht den Porsche 912 so wunderbar verlässlich. Und Verlässlichkeit geht für mich Hand in Hand mit Ehrlichkeit, bei Autos genau wie bei menschlichen Beziehungen. Und dieses Auto ist einfach ehrlich!
Fotos: Robert W. Cooper for Classic Driver © 2018