Es ist noch früh am Tag in Notting Hill und Sam Hancock hat gerade mit seinem dunkelgrünen Ferrari 456, der einst einem gewissen Rowan Atkinson gehörte, die morgendliche Stille durchbrochen. Wir begleiten ihn in seinem eleganten Alltagsauto auf seiner Fahrt zur Rennstrecke von Rockingham, wo er im Vorfeld der Spa Classic einen Ferrari 512 BB LM testen soll. Leider will der Rennwagen an diesem Tag dann doch nicht starten – doch zum Ausgleich kann Sam ein paar Kilometer in einem Aston Martin DBR9 seines Freundes Gregor Fisken drehen, da dieser sowieso gerade für einen Test vorbereitet wurde. Wie sagt man so schön? Auf jeden Regenschauer folgt auch wieder Sonnenschein! Während wir also gen Norden fahren, fragen wir Sam über die Anfänge seiner Motorsportlaufbahn aus. Wir wollen wissen, wie es ist, einen Werks-Aston Martin in Le Mans zu fahren und wie man sich fühlt, wenn man für das Fahren historischer Rennwagen tatsächlich bezahlt wird.
Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an ein Auto?
Mein Vater hatte einen roten Ferrari 308 GT4 und ich erinnere mich vor allem an das Heck des Wagens in unserer Hauseinfahrt. An jenem Tag, an dem die Londoner Ringautobahn M25 eröffnet wurde, unternahmen wir eine Ausfahrt. Ich weiß noch, wie ich hinten saß, durch die sonderbar ausgeformten hinteren Seitenfenster lugte und dachte: Wir fahren ja verdammt schnell! Mein Vater verriet mir später, dass wir rund 240 km/h draufhatten.
Wollten Sie immer schon Rennfahrer werden?
Wir hatten einen kleinen Buggy mit Rasenmäher-Motor, den wir „Green Dragon“ nannten. Ich benutzte ihn, um durch die benachbarten Straßen zu fahren, baute mir Sprungschanzen und vollführte Doughnuts auf der Kiesauffahrt unseres Nachbarn. Einmal fuhren wir mit dem Auto nach Goodwood, wo mein Vater einen „Track Day“ absolvierte. Am Ende des Tages ließ mich dann jemand mit dem Buggy auf die Strecke. Ich fand derart Gefallen daran, dass ich mir wünschte, es würde nie enden. Sie mussten sogar einen Suchtrupp losschicken, um mich wieder aufzulesen. Das war mein erstes Erlebnis auf einer Rennstrecke – und es hat einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht.
Nach mehreren Jahren in verschiedenen Monoposto-Klassen wechselten Sie 2001 zu den Sportwagen. Wie erlebten Sie diese Umstellung?
Ich erinnere mich, wie ich mich vor dem freien Training für mein erstes Rennen mit Kremer umzog. Sie wärmten das Auto in der Garage auf, es war ein Lola-Prototyp mit Roush V8-Motor. Ich war regelrecht erschrocken. Der Motor klang so brutal und kräftig, dass ich mich für den Moment überfordert fühlte. Doch schon nach zwei Runden auf der Outlap änderte sich alles. Je höher man die Leiter hochsteigt, desto besser funktionieren die Autos. Du hast zwar mehr Power, aber auch größere Reifen, Bremsen und Spoiler. Ich liebte die Geschwindigkeit und den Anpressdruck, und ich gewöhnte mich auch sehr schnell daran. Da machte definitiv etwas „Klick“.
Wie war es dann, einen Werks-Aston in Le Mans zu fahren?
Ich konnte es ehrlich gesagt nicht glauben. Die beiden Lola-Aston Martin LMP1 in Gulf-Farben waren beim Rennen von 2010 die attraktivsten Autos im Starterfeld. Auch wenn wir gegen die Turbodiesel von Audi und Peugeot im Kampf um den Gesamtsieg keine Chancen hatten, saß ich immer noch im besten Benziner. Mein letzter von bis dahin vier Le Mans-Starts lag vier Jahre zurück und nun konnte ich es kaum glauben, wie schnell das mit einem 6,0-Liter-V12 ausgerüstete Auto ging. Als wir in Le Mans ankamen, verwandelte ich mich von einem Nobody zu einer Person, die mit Autogrammwünschen überhäuft wurde – und das nur, weil ich diesen berühmten Gulf-Rennoverall trug. Doch die Bürde der Aufgabe lastete auf mir. Ich fürchtete, alles zu vermasseln.
Was taten Sie, um das zu verhindern?
Ich ging es so ernsthaft und professionell an wie möglich. Der Wagen war körperlich anstrengend zu fahren, daher nahm ich einen Monat vor dem Rennen frei und trainierte bis zum Abwinken. Am ersten Tag der Le Mans-Woche stellte ich dann mein Telefon ab und blendete alles und jeden aus. Was fast unmittelbar meinen Geist beruhigte. Ich konzentrierte mich jetzt nur noch aufs Fahren, ging vier Stunden lang um den Kurs, um jeden Randstein, jede Bodenwelle, jeden Kanaldeckel und jeden Notausgang in Augenschein zu nehmen. Ich blieb abends lange in der Box und setzte mich eine Stunde lang ins Auto, um mich räumlich einzugewöhnen und die Funktionen aller Schalter noch einmal im Geist durchzugehen. Sollte ich nachts im Regen mit 250 km/h unterwegs sein, noch geblendet von Licht: Würde ich dann diesen Schalter erreichen und die richtige Zahl von Klicks einstellen können? Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich aufgrund eines banalen Fehlers das Auto zerstört hätte. Doch es zahlte sich alles aus, und am Renntag fühlte ich mich sehr ruhig.
Wie haben Sie sich dann geschlagen?
In der In-Lap meines letzten Stints, 45 Minuten vor Schluss, spürte ich ausgangs der zweiten Schikane plötzlich Leistungsverlust. Der Motor klang wie ein Sack Nägel und ich sah im Rückspiegel Rauchwolken und Flammen. Das war es dann. Ich schleppte mich noch bis Indianapolis und parkte das Auto dann auf dem Seitenstreifen. Zuerst dachte ich, die Zuschauer auf der Böschung würden mich ausbuhen, bis ich merkte, dass sie mir applaudierten. Das linderte ein wenig meinen Schmerz. Was ich da noch nicht wusste: Wir lagen zu diesem Zeitpunkt, 40 Minuten vor Rennende, an vierter Stelle, weil auch der letzte verbliebene Peugeot mit Motorschaden kurz zuvor ausfallen war.
Wie wurden Sie in die Welt des historischen Motorsports eingeführt?
Es begann wieder mit meinem Vater, der ein Amateur-Clubrennfahrer war. Er hatte zusammen mit den Twymans ein Restaurierungsprojekt laufen, und wir wurden in der Folge sehr gute Freunde. Dad fuhr das ein oder andere Rennen in ihrem Lotus Eleven und ich wurde freundlich eingeladen, das Auto beim Goodwood Revival zu fahren. Für das Revival des Folgejahres schlug mich Joe Twyman dann als zweiten Fahrer neben Gregor Fisken vor. Und zwar im berühmten Jaguar E-type Lightweight „4 WPD“,der im RAC TT Celebration-Rennen startete. Gregor und ich wurden darüber gute Kumpels und fuhren mehrmals zusammen auf modernen Autos, darunter 2005 und 2006 auch zwei Mal in Le Mans.
Sie haben sich als professioneller historischer Rennfahrer eine gewisse Nische geschaffen – einen Job, den es so vor zehn oder 15 Jahren noch nicht gab.
Da haben Sie sicherlich recht – eine solche Rolle gab es nie zuvor so eindeutig wie heute und ich selbst habe diese Entwicklung auch nicht erwartet. Auf wundersame Weise hat es sich aber so ergeben. Meine Einsätze bei modernen Rennen kamen auf natürliche Weise zum Ende, doch dank einiger wichtiger Personen verfügte ich zu diesem Zeitpunkt bereits auch schon über einige Erfahrung bei den Klassikern.
Wie unterscheidet sich der historische Motorsport vom modernen Racing?
Als Fahrer kommen deine Prioritäten in einer anderen Reihenfolge. Oft buchen mich meine Kunden, weil sie wollen, dass ihr Auto gewinnt. Das bedeutet nicht, dass ich – oder das Auto – das schaffen, aber zumindest werde ich es versuchen. In dieser Hinsicht ähneln sich die Mentalitäten. Der große Unterschied liegt allerdings darin, dass man bei historischen Rennen auf der Jagd nach schnellen Zeiten niemals riskieren sollte, das Auto zu beschädigen. Zumal alle – die Fahrer, Fahrzeugbesitzer und Ingenieure – vor allem Spaß an der Sache haben wollen.
Als Advokaten des Teufels werfen wir die Frage auf, ob der historische Rennsport heute nicht doch zu ernsthaft und verbissen geführt wird. Auf der anderen Seite ist das ja gerade Ihr Job.
Dass wir uns nicht missverstehen: Ich bin nicht so naiv anzunehmen, dass das, was ich betreibe, im Vergleich zum aktuellen Motorsport eine große historische Relevanz hat. Gleichwohl sind die Rennen im Vereinigten Königreich sehr konkurrenzfähig. Die Jungs vom Kontinent sind oft schockiert und irritiert, wenn sie sehen, wie hart hier gefahren wird und wieviel Mühe wir in die Entwicklung der Autos stecken. Ich glaube auch nicht, dass die ursprünglichen Entwickler es anders gemacht hätten. Doch gibt es eine rote Linie, und die beginnt wie gesagt dort, wo die Autos Schaden erleiden. Das ist unnötig und widerspricht dem Spaßgedanken.
Was ist Ihr denkwürdigster Moment im historischen Rennsport?
Der Einsatz unseres Fittipaldi Formel-1-Rennwagens von 1978 beim Grand Prix Historique in Monaco im Jahr 2014 war eindeutig mein eindrucksvollstes Erlebnis. Es ist einfach so herrlich unsinnig, ein solches Auto durch diese engen Straßen zu fahren. Es war auch deshalb bewegend für mich, weil wir immer mit der ganzen Familie zum Grand Prix dort hinuntergefahren sind – und zwar 13 Jahre lang in Folge! Als leicht zu begeisterndes Kind gab es nichts Aufregenderes für mich, als die heulend aus dem Tunnel heraus- und auf uns zuschießenden Autos zu erleben. Es klingt lächerlich, aber ich bin als Kind so oft um den Monaco-Kurs gelaufen und gefahren, dass ich ihn als einzige Strecke niemals lernen musste.
Wie schaffen Sie es, an einem Wochenende wie dem Goodwood Revival von einem Auto zum nächsten und übernächsten hinüberzuwechseln?
Ich denke, dass es auf dem Reifeprozess zu einem echten Allround-Fahrer kein probateres Mittel gibt, als in schneller Reihenfolge verschiedene Autos zu fahren. In einer solchen Situation ist man gezwungen, mit der Herausforderung umzugehen und das Beste aus dem Auto herauszuholen. Wenn man davon ausgeht, dass jeder historische Rennwagen fast die ganze Zeit im Drift bewegt wird, wird man anerkennen, dass es sich hier um eine extrem gute Plattform zur Weiterentwicklung der Piloten handelt. Ich gehe so weit zu sagen, dass jeder, der bei den historischen Rennen schnell ist, auch in einem modernen Auto sofort wettbewerbsfähig wäre.
Wie fühlt es sich an, mit einem historischen Rennwagen in Le Mans zu fahren?
Le Mans in einem klassischen Wagen ist puristisch, unverfälschter Spaß. Und sehr angenehm ohne den Druck des modernen Rennens. Die Strecke erwacht aber erst wirklich zum Leben, wenn Du zum Beispiel mit Tempo 225 durch die Porsche-Kurven fliegst. Diese Geschwindigkeiten ähneln dem Einfädeln eines Fadens ins Nadelöhr. Man muss voll dem Auto und dessen Anpressdruck vertrauen und auch selbst absolut fokussiert sein. Diese Kurvenabfolge, mit diesen Geschwindigkeiten und den nahe an der Strecke stehenden Planken, bricht im Grunde mit allen Regeln des modernen Rennsports und allen Sicherheitsstandards. Doch ich liebe sie und würde sie für nichts auf der Welt eintauschen. Ganz anders fühlt sich das alles in einem alten Rennwagen ein – da durchfährt man diesen Abschnitt in einem einzigen schwerfälligen Drift.
Ziehen Sie bei historischen Rennwagen europäische Finesse oder amerikanische Muskelkraft vor?
Ich habe noch keinen Ferrari 250 GT „SWB“ gefahren, aber zweimal einen GTO. Und dieses Auto umgibt etwas wirklich Wundervolles. Für diese Ära fährt er sich sehr ausgewogen. Man hat eine korrekte Sitzposition, Lenkrad und Aluminium-Schaltknüppel liegen im passenden Abstand und die Balance ist extrem ausgewogen. Ganz ehrlich, ich verstehe nicht, warum der E-type das schnellere Auto ist. Cobras fühlen sich recht grobschlächtig an, doch ein gut abgestimmter GT40 ist etwas Wunderbares. Und auch schneller.
Fotos: Robert Cooper für Classic Driver © 2017