Für den amerikanischen Kunsthändler Kenny Schachter gleicht kein Tag dem anderen. Es kann passieren, dass er an einem Tag einen Picasso im Wert von 30 Millionen Dollar verkauft, als nächstes eine seiner witzigen und kontroversen Kunstkolumnen über eben diese Transaktion verfasst und schließlich eine Ausstellung kuratiert, in der seine Kinder und ihre Freunde ihre Werke zeigen. Und doch gibt es eine Konstante in diesem so umtriebigen Leben: Sein Mittagessen nimmt Kenny Schachter im legendären Wolseley im Londoner Stadtteil Mayfair ein.
Angetrieben von der Schönheit der Formen, hat Kenny über 120 Automobile besessen, die allesamt einen unorthodoxen Geschmack und eine Vorliebe für die siebziger und achtziger Jahre vermuten lassen. Zu seiner privaten Flotte gehören zur Zeit ein Alfa Romeo Giulia Sprint GTA, ein kastanienbrauner Lancia Fulvia, ein original Martini Racing Porsche 911 RSR und einer der vermutlich besten Renault 5 Turbos auf dem Markt. Auch darf man auf keinen Fall vergessen, den klassischen Mini zu erwähnen – der ist unverzichtbar. Weil Kenny seine Autos so gerne betrachtet wie seine Kunst, stehen immer ein paar Exemplare in seinem Büro in Kensington – auch wenn es dabei etwas eng werden mag: Der elektrisch-blaue Renault 5 Turbo als Artefakt der wilden achtziger Jahre rückt mit seiner Nase direkt an Kennys Schreibtisch. Beim Lunch wollten wir von ihm nun mehr über seine beiden großen Leidenschaften erfahren.
Was war in Ihrem Leben zuerst da – die Kunst oder die Autos?
Die Autos, ohne Wenn und Aber. Während meiner Kindheit auf Long Island, New York, war ich von der Ästhetik von Autos schlicht hingerissen. Ich kann mich an nichts erinnern – den Namen meiner Frau, was ich zum Frühstück gegessen habe oder meine Teenagerjahre –, aber ich erinnere mich sehr wohl, dass ich in einer Ausgabe von „Road & Track” diesen Renault 5 Turbo gesehen habe. Er sah aus, als stammte er aus einem Cartoon. Der Porsche 911 Turbo war dann das erste Auto, das mich als Kind richtig umgehauen hat. Danach war ich süchtig.
Was war Ihr erstes Auto?
Kaum hatte ich meinen Führerschein gemacht, kaufte ich in New York einen Fiat 124. Auf dem Weg nach Hause blieb er auf der Brücke an der 59. Strasse liegen. Menschen meinen immer, die Kunstwelt sei unreguliert, aber ich finde, dass das Autogeschäft noch viel, viel schlimmer ist. Selbst am oberen Ende des Markts, bekommt man nie eine ehrliche Auskunft. Das war meine erste schlechte Erfahrung beim Autokauf, auf die noch viele folgen sollten.
Wie viele Autos haben Sie insgesamt besessen?
In den letzten 30 Jahren dürften es rund 120 Modelle gewesen sein, wobei ich mein Herz an die siebziger und achtziger Jahre verloren habe. Zugegeben, der Durchlauf ist verrückt – aber ich brauche ständig Geld für mein Geschäft und verkaufe lieber ein Auto als ein Kunstwerk. Mit Automobilen spekuliere ich nicht. Ich kaufe und verkaufe sie, mache aber selten einen Gewinn. Wenn die Preise zu hoch steigen, verdirbt das auch den Spaß. Für mich sind Autos eine reine Leidenschaft – etwas, das mir schon immer viel bedeutet hat. Wenn man ein Auto fährt, sieht man es nicht, parkt man es, verliert man es aus dem Blick. Deswegen stehen meine liebsten Exemplare in meinem Büro. Ich weiß nicht, wie sie technisch funktionieren, aber ich betrachte und genieße die Formen und Farben. Das Zusammenleben mit ihnen ist eine visuelle Erfahrung, die aber auch unter die Haut geht.
Welches Auto ist Ihr ganzer Stolz?
Wahrscheinlich der Porsche 911 RSR „Mary Stewart”, der 1973 in Le Mans Vierter wurde. Ich habe ihn von einem Händler in Monaco gekauft, der ihn zugelassen hatte, so dass ich mit dem Porsche theoretisch direkt nach Mayfair hätte zurückfahren können. Aber ich habe ihn noch nie bewegt. Ich denke immer an diese unersetzliche Maschine im Heck und was passieren würde, wenn sie zu Schaden käme. Irgendjemand hat meinen Porsche einmal in Frage gestellt und behauptet, das Auto sei eine Fälschung. Andy Prill, ein Spezialist für klassische Porsches, gab mir eine Liste mit den drei bedeutendsten Porsche-Ingenieuren. Außerdem arbeitet mein Schweizer Anwalt mit der Porsche-Familie und stellte so den Kontakt zu Norbert Singer her. Er ist so etwas wie der Mick Jagger von Porsche und hat mein Exemplar mit seinen eigenen Händen gebaut. Vier Stunden lang hat er meinen RSR auf Herz und Nieren geprüft: Jede Schraube war korrekt. Ich schickte Andy Prill nach Texas und nach Kalifornien, um der Behauptung auf den Grund zu gehen. Aber dieser Mann, der von einem „Fake“ gesprochen hatte, besaß kein Teil, dass von 1974 stammte – außer einem Nummernschild. Diese ganze Angelegenheit hat mich derart aufgeregt, dass ich anschließend eine Therapie machen musste.
Ihre Autos wirken wie exquisite Exemplare – wie überlegt sind Sie beim Kaufen?
Es gibt immer wieder ein neues Auto, das mich begeistert. Das Beste am Sammeln ist die intensive Suche und die Recherche, um möglichst viel über das Modell zu erfahren. Ich könnte eine Minute, aber auch zwei Jahre nach dem richtigen Auto fahnden – es kommt nur darauf an, wie impulsiv ich gerade bin und wie viel Geld ich habe. Ich hatte einmal eine Einkaufsliste, aber an den meisten Autos habe ich schon ein Häkchen setzen können. Ich mag restaurierte Autos überhaupt nicht. Ich will, dass sie so riechen wie damals, als sie neu waren. Ich habe 20.000 Pfund in die Technik meiner Alfa Romeo Giulietta investiert, aber vom Lack, den Dellen und den zerrissenen Sitzen habe ich die Hände gelassen. Mich sprechen vor allem Authentizität und Ursprünglichkeit an – es geht um die Geschichten, die sich so offenbaren und um die Möglichkeit, in eine vergangene Epoche einzutauchen. Ich wähle aber auch Autos im Hinblick auf ihre Breite aus. Die Straßen Londons sind schmal und ich bin ein miserabler Fahrer. Was hier als zweispurige Fahrbahn gilt, wäre in New York nicht einmal eine Einbahnstrasse. Ich übertreibe nicht!
Mit Ihrer Ausstellung „#Manual“ brachten Sie letzten Sommer erstmals Autos zur Art Basel. Könnten Sie uns mehr darüber erzählen?
Nun, ein von Hand geschaltetes Auto ist eines, dass man tatsächlich selbst fährt. Seit ich nach London gezogen bin, hatte ich keine Automatik mehr, ich würde auch unter keinen Umständen ein Auto mit so einem Getriebe kaufen. Vor diesem Hintergrund habe ich 15 Automobile für die Art Basel ausgewählt, darunter zwei Prototypen der großen Architektin Zaha Hadid. Die Organisatoren haben mir den Stand kostenlos überlassen und die Eröffnung war fantastisch. Die reichsten und prominentesten Vertreter der internationalen Kunstszene haben meine Autos betrachtet. Manche Aussteller fanden es anstößig, dass ihr edles Mobiliar mit Automobilen konkurrieren musste. Aber was kümmert es mich? Es war toll, meine Sammlung in diesem Kontext zu erleben, als im Reservat der Automenschen. Es macht einfach mehr Spaß, wenn man ein Publikum erweitern kann und diese strikten Vorschriften, die regeln, wo und wann etwas gezeigt werden darf, durchbricht.
Sie erwähnten, dass Autos weniger Freude machen, wenn ihre Werte durch die Decke schießen. Gilt das auch für die Kunstszene?
Ganz genauso. Ein Großteil meiner Sammlung wird in einem Freihafen aufbewahrt – eine große, selbständige und steuerfreie Zone, wo man mit Kunst handeln kann ohne Steuern entrichten zu müssen. Menschen besitzen Wein, den sie nicht trinken, Häuser, die sie nicht bewohnen und Kunst, die sie sich nicht ansehen – ich finde das traurig. Andererseits sollte man nicht ein millionenschweres Gemälde im Haus herumliegen haben, dass die Kinder beim Spielen in Brand setzen könnten, oder auf das sich Hund erbricht. Kunst ist ein Teil unserer Natur und unserer Kreativität, deswegen haben sich Menschen immer von ihr anziehen lassen. Dass die Szene so vom Finanziellen bestimmt wird, ist schlecht für Puristen und Connaisseure, aber so wird zugleich ein viel größeres Publikum erreicht und der Markt expandiert. Das kann nur von Vorteil sein.
Auf welche Kunstformen haben Sie sich spezialisiert?
Ich handle mit allem von Picasso und Monet bis Cézanne, aber vor allem im Bereich der zeitgenössischen Nachkriegskunst. Es ist eine verrückte Welt mit wilden, geradezu inflationären Preisen. Ich lerne täglich Neues und es ist eine dauernde Herausforderung. Aber das ist auch der Teil, der Spaß macht. Außerdem lernt man außergewöhnliche Menschen kennen. Im Kunstgeschäft verpassen einem Freunde einen Dolchstoß in den Rücken und dann trifft man sich mit ihnen zum Essen, weil man sich nicht leisten darf, seine Feinde zu verärgern. Die Welt ist dafür zu klein. Wenn man also jemanden findet, mit dem man ins Geschäft kommen kann, dann sollte man den Moment ergreifen.
Was war Ihr denkwürdigstes Geschäft?
Wahrscheinlich der Picasso, den ich für 30 Millionen Dollar verkauft habe. Das Bild gehörte einem Sammler, der aufgrund seines Glaubens und der regionalen Instabilität nicht wünschte, dass es im Mittleren Osten landen würde. Ich hatte einen Freund, der als Zwischenhändler fungierte und dem ich es verkaufte. Ich bat ihn nur, mir nicht zu sagen, wohin das Bild gehen würde. Ich habe später dann doch erfahren, dass es nach Katar veräußert wurde.
Wie unterscheiden sich die Auktionswelten von Autos und Kunst?
Im Kunstmarkt wird viel manipuliert, deswegen muss man bei einer Auktion besonders wachsam sein. Es ist die letzte Grauzone, in der Menschen viel Unfug anstellen können ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Aber die Auktionshäuser tolerieren keine schlechte Kunst, weil sie verklagt werden und ihr Renommee verlieren können. Was mich bei Automobilversteigerungen wirklich nervt, ist, dass die Auktionshäuser jedes Fahrzeug, das sie kriegen können, annehmen. Kunst muss gewissen Kriterien genügen, um bei einer großen Auktion versteigert zu werden – sie muss frisch sein und von einem Künstler stammen, der international gefragt ist. Wenn ich einen Porsche 911 Carrera 2,7 RS Leichtbau mit einer unguten Geschichte und fragwürdigen Provenienz hätte, würde es mir die spezialisierten Versteigerer trotzdem aus der Hand reißen. Bei der Monterey Car Week 2015 wurden 400 Millionen Dollar in einer Woche umgesetzt. Bei Christie’s in New York sind es 700 Millionen Dollar in einer Stunde. Man sagt, der Wert des Kunstmarkts beläuft sich auf 45 bis 60 Milliarden Dollar pro Jahr. Sotheby’s und Christie’s haben jeweils einen Anteil von rund fünf Milliarden. Da sieht man die Größenordnung des Unterschieds.
Was ist Ihr Lieblingsauto?
Ich liebe den Porsche 911, weil er die ultimative Form für einen Sportwagen besitzt – er sieht aus wie eine Schlange, die gerade eine Ratte verschluckt hat. Eines meiner Kinder musste als Hausaufgabe über sein Lieblingsunternehmen schreiben. Ich habe ihm die Aufgabe abgenommen und über Porsche geschrieben. Ich formulierte, dass Ferraris zu auffällig sind und für Animositäten sorgen – aber Porsches dagegen schlicht, elegant und pannenfrei. Am nächsten Tag holte ich einen wunderschönen Porsche 911E, den ich von Fantasy Junction in den USA gekauft hatte, am Hafen ab. Ich steuerte zur nächsten Tankstelle – und dort stand der perfekte Dino, der gerade von der schönsten Frau aller Zeiten aufgefüllt wurde. Es war wie ein Wunschtraum, der plötzlich Gestalt annahm. Als sie wegfuhr, tankte ich, setzte mich hinters Steuer – doch der 911 sprang nicht an. Ich sah ein: Es war nicht richtig, die Hausaufgabe für mein Kind zu erledigen. Mein leuchtend gelber Porsche verweigerte sich. Karma.
Sie haben Ihren Kindern dieses Kunstgen vererbt – ob das auch bei den Autos passieren wird?
Anfangs habe ich meine Kinder zu allen klassischen Events geschleppt, aber ich glaube, dass junge Leute sich nicht mehr sonderlich für diese Autothema interessieren. Ganz allgemein mache ich mir Sorgen, dass das Geschäft mit klassischen Fahrzeugen nicht mehr die Anziehungskraft besitzt, die es zu meiner Jugend hatte. Menschen sind heute dem Auto gegenüber so aggressiv eingestellt. Ich habe diese Theorie, dass man seine Klassiker in 25 Jahren nur noch in speziellen Themenparks bewegen darf.
Was bereitet Ihnen mehr Freude – Kunst oder Autos?
Ich liebe es, dass ich, wenn ich nach Hause komme, von den Dingen umgeben bin, die mir im Leben am wichtigsten sind. Meine Frau scherzt immer, dass es ein Büro für eine einzige Person ist. Aber die Tatsache, dass ich meine Leidenschaft für Autos auf diesem Level ausleben kann, schenkt mir soviel Freude wie ein grandioses Kunstwerk. Kunst zu sammeln ist mein Beruf. Autos werden immer einen wesentlichen Teil meines Lebens ausmachen, aber ich werde sie nie als Investment betrachten. Das ist besser, denn dann betrachtet man sie auf eine pure Art und Weise.
Welchen Rat würden Sie jungen Sammlern oder Händlern geben – sei es für die Kunst oder für Autos?
Das Wichtigste überhaupt ist, sich nicht zu früh zu etablieren oder sich zu verfestigen. Man sollte sich ausreichend Zeit nehmen, um zu entdecken, was man für den Rest seines Lebens machen möchte. Unter den Wochentagen mag ich die Sonntage am allerwenigsten, weil dann das Telefon nicht klingelt. Jeden Tag wache ich zugleich deprimiert und optimistisch auf – egal wie schlimm sich die Dinge entwickeln mögen, ich werde immer eine Email oder einen Anruf erhalten. Ich empfinde das als eine Würdigung meiner Lebensleistung. Mein Motto: Finde deine Leidenschaft und töte sie – ruhe nicht, bis dir das gelungen ist.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2017