Direkt zum Inhalt

Ein nationaler Schatz Frankreichs kehrt für die Le Mans Classic zurück an die Sarthe

Ein nationaler Schatz Frankreichs kehrt für die Le Mans Classic zurück an die Sarthe

Heute Nachmittag wird ein französisches Nationalheiligtum wieder in Aktion treten - und es dreht sich nicht um die Tricolore bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland. Dieser Alpine-Renault A220 wird 49 Jahre nach seinem Start in Le Mans wieder an der Sarthe wutschnaubend von der Leine gelassen.

Beim Gedanken an Frankreich entstehen viele Bilder im Kopf, sei es ein großer, alter Bordeaux, ein Camembert, dessen Duft kilometerweit reicht und - für manche - ein smaragdfarbenes Autojuwel, das Alpine in den sechziger Jahren gebaut hat. Vor allem durch den Rallyesport bekannt geworden, hat Garagiste Jean Rédélés Unternehmen in Dieppe auch bei Sportwagenrennen für Furore gesorgt, nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung von Renault.

Im Jahr 1967, als die FIA die Leistung der Motorsport-Prototypen auf drei Liter Hubraum beschränkte, um sie in Le Mans weniger schnell zu machen, sah Alpine eine Chance wo andere Hersteller verärgert reagierten. Rédélés bewährter Motorenkonstrukteur Amédee Gordini machte sich an die Arbeit und kombinierte ein paar Motorblöcke und Zylinderköpfe von der jüngsten Vierzylindermaschine, um einen konventionellen V8 mit einem Leistungsvolumen, das sich gerade noch unterhalb der Drei-Liter-Grenze bewegte. 

Dieses neue Herzstück wurde in einem Fahrzeug getestet, das liebevoll als Le Grand-Mère, die Großmutter, Berühmtheit erlangte und letztlich eine stark modifizierte Version des erfolgreichen A210 war. Für die Saison 1968 wurde aber ein völlig neues Auto geschaffen. Dieses A220 getaufte Fahrzeug wurde mit Hilfe der Expertise von Aerodynamikern und Ingenieuren entwickelt und besaß ein Rohrrahmen-Space Frame-Chassis, ein ZF-Getriebe und eine windschlüpfige Karosserie mit gestreckt auslaufendem Heck. Ganz unerwartet hatte Alpine damit einen Sportwagen geschaffen, der zumindest in der Theorie einen Sieg in Le Mans davontragen könnte.

Leider sollte dieser Fall nicht eintreten. Dem A220 mangelte es nicht nur bitter an Leistung, ihn plagten auch immer wieder Probleme mit der Verlässlichkeit - ein Phänomen, dass bei der vorherigen, kleineren „M”-Serie von Prototypen überhaupt nicht auftrat. Wie zum Hohn beschloss die FIA dann auch noch als Reaktion auf die geschrumpften Startmeldungen nach der neuen Regel eine neue Kategorie für Fünf-Liter-Prototypen, die in großer Zahl wie der Porsche 917 hergestellt wurden. Wie das ausging, ist Motorsportgeschichte.

Und so erwies sich dieses Kind der Revolution als Alptraum, wenngleich ein schöner. Aber die Rückschau offenbart auch manchmal Wunder, denn von der Gegenwart aus betrachtet, blicken wir mit großer Zuneigung auf diese innovativen, formschönen und außergewöhnlichen Sportwagen. Sie belegen eindrucksvoll Alpines Bereitschaft, dem eigenen Weg zu folgen, ohne sich von Konkurrenten beirren zu lassen, aber dies Sportwagen verkörpern auch den Freiheitsgeist, den Stolz und die Ausdauer Frankreichs.

Dieser spezielle A220 mit der Chassisnummer 1736 und den markanten grünen Identifizierungskennzeichen wurde 1969 bei den 24 Stunden von Le Mans von den französischen Stars Patrick Depailler und Jean-Pierre Jabouille gefahren. Leider ereignete sich in der 209. Runde ein spektakulärer Motorschaden, und damit war der Traum vom Sieg vorbei. Dafür erlebt dieser A220 ein erfolgreiches Comeback im historischen Motorsport - seinen nächsten Auftritt erlebt er bei der Le Mans Classic an diesem Wochenende.

„Mit diesem speziellen Auto nach Le Mans zurückzukehren ist, als käme die Tricolore heim nach Frankreich”, sagt Egon Zweimüller, ein österreichischer Spezialist für Klassiker und klassische Rennwagen, der sich für den Besitzer um den A220 kümmert. „Anders, als bei vielen anderen betagten Rennwagen, spielt dessen starker, ausgeprägter französischer Charakter eine weit größere Rolle als der eigentliche Wert. Mit der Lackierung in Blaumetallic und den bunten Aufklebern wirkt dieser A220 wie ein Bild von Andy Warhol, geschaffen für die Rennstrecke.”

Sollten Sie das Glück haben, heute oder an diesem Wochenende in Le Mans mit dabei zu sein, dann werden Sie erleben können, wie entschlossen und stolz der winzige Alpine über die Mulsanne-Gerade prescht, begleitet vom sonoren V8-Heulen eines Motors, der sich seinem Limit von gut 321 Stundenkilometern nähert.

Schon an einem ganz normalen Dienstagmorgen atmet die Circuit de la Sarthe Geschichte, aber erst recht natürlich an einem Rennwochenende. Aber es ist dennoch besonders bewegend, wenn ein wichtiges französisches Automobil, gekleidet in den Nationalfarben, auf dieser legendreichen Strecke wieder an den Start geht. „Natürlich ist es eine Herausforderung, vor allem das Fahren in der Nacht. Aber es wird ein echtes Abenteuer”, ist sich Zweimüller bewusst. Und dieses Abenteuer werden Sie hier bei Classic Driver hautnah verfolgen können - halten Sie die Augen auf!

Fotos: Stefan Bogner für Classic Driver © 2018

Classic Driver wird live von der Le Mans Classic 2018 berichten - Sie finden unsere kompletten Beiträge in unserem speziellen Überblick.