Wie heißt es doch so schön: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Wer möchte zu Weihnachten bei einem Glas Buck’s Fizz schon Päckchen mit neuen Skisocken und Duftwässerchen öffnen, wenn Ferraris feinster Grand Tourer draußen vor der Tür mit den Hufen scharrt? Also trotzen Sie der eisigen Kälte, spurten zum Auto, öffnen die federleichte Tür und schmiegen sich in die Schalensitze, die allein für sich schon ein Kunstobjekt darstellen. Dann das Holzlenkrad umfassen und für einen kurzen Moment mit den Gedanken abschweifen zu jenen Motorsportgrößen, die zuvor an Ihrer Stelle saßen. Die Versuchung ist übermächtig, jetzt den reinrassigen V12 zum Leben zu erwecken. Und noch ehe Ihre bessere Hälfte zum Frühstück ruft, sind sie auf die Straße hinaus und durchbrechen die morgendliche Stille mit dem Gänsehaut-Gebrüll des Zwölfzylinders.
Es gibt wohl kaum einen Fan klassischer Automobile, der nicht von einem Ferrari 250 GTO träumt, dem „heiligen Gral“ der Automobilhistorie. Nun muss dieser Ferrari dank eines britischen Classic Driver Händlers nicht länger ein Phantasieprodukt bleiben. John Collins von Talacrest sorgte für Schockwellen in der Szene, als er im November diesen Ferrari 250 GTO von 1962 mit Chassisnummer #3387 öffentlich zum Verkauf ausschrieb. „Dies ist bereits der neunte GTO, den ich anbiete“, sagt Collins. „Ich mag die Geschichte dieses Exemplars und die Tatsache, dass es nicht rot ist. Es gibt so viele Makler, die 250 GTOs anbieten, doch sind die meisten Exemplare mit Vorsicht zu genießen“, weiß der Ferrari-Spezialist. „Dies hier ist nicht ein weiteres mysteriöses Auto am Ende einer Telefonleitung. Sondern real und zum Verkauf. Wer will, kann jederzeit vorbeikommen und ihn mitnehmen.“ Es ist nicht die Regel, solche mythischen Modelle öffentlich zu offerieren. Doch Collins erhörte unseren Geschenkwunsch und lud uns ein, etwas Zeit mit dem blaumetallischen Biest zu verbringen. Eine Einladung, die wir so kurz vor Weihnachten nicht abschlagen konnten.
Die Präsenz des GTO ist fühlbar, noch ehe man ihn genauer in Augenschein genommen hat. Ist es der astronomische Wert (in der Gegend von 55 Millionen US-Dollar, falls Sie es unbedingt wissen möchten), die atemberaubende Schönheit, die siegreiche Rennsporthistorie oder das unwiederholbare Vermächtnis? Vermutlich von jedem etwas. Geht man dann auf Tuchfühlung, zieht die Aura des Ferrari den Betrachter komplett in ihren Bann. Die Augen scannen jede der bei Scaglietti perfekt mit der Hand geformten Flächen und Sicken der Karosserie. Und kämpfen damit, nicht in einigen der wundervoll ausgeführten Details zu ertrinken. Sie können sich einreden, dass dieser Wagen Ihnen nichts Gutes tun könnte. Doch verbringen Sie eine gewisse Zeit mit ihm, und sie werden ihre Meinung garantiert ändern.
Könnten Autos sprechen, hätte der Ferrari mit Chassisnummer #3387 sicherlich einige gute Stories auf Lager. Denn selbst im ultraexklusiven Kosmos der GTOs gibt es gute und schlechte Vertreter. Müßig zu betonen, dass „unser“ Modell zur ersten Gruppe zählt. Als zweiter jemals gebauter GTO diente es zunächst in Italien dem Werk als Entwicklungsfahrzeug, ehe es an die Östküste der USA gelangte, wo es dann unter dem Banner von Luigi Chinettis N.A.R.T.-Team an Rennen teilnahm. Als erster GTO überhaupt, wohlgemerkt. Obwohl sie erst verärgert darüber waren, einen unerprobten GT anstelle eines für den Gesamtsieg tauglichen Prototypen fahren zu müssen, eroberten Phil Hill und Olivier Gendebien damit 1962 bei den 12 Stunden von Sebring Platz zwei im Gesamtklassement und einen Klassensieg. Und pflanzten so den Samen zur GTO-Legende.
Doch war das nur der Anfang. Denn im Laufe seiner Motorsportkarriere nahm #3387 an 27 Rennen teil, wovon er 16 auf Podiumsplätzen beendete. Nach Abschluss seiner aktiven Laufbahn blieb das Auto in Amerika, wo es durch die Hände mehrerer renommierter Sammler ging. Der letzte Besitzer besaß den GTO 19 Jahre lang und setzte ihn regelmäßig bei historischen Rallyes und anderen Events ein. Wenn Sienun ebenfalls den Mount Everest der Automobilwelt erklimmen wollen, legt ihnen John Collins keine Steine in den Weg. Er betont, dass das Auto darauf wartet, aus seinem Showroom in Ascot hinausgefahren zu werden. Als ultimative Ausdrucksform der legendären 250 GT-Serie ist ansonsten alles zum GTO gesagt. Bleibt uns nur noch, Sie mit Tom Shaxsons fabelhafter Fotoproduktion und ein paar Träumen zum kommenden Fest allein zu lassen.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2016