Eigentlich müsste in den Sitztaschen der beiden Recaro-Sportsitze des neuen RS4 jene aus dem Flugbetrieb bekannte Karte mit Sicherheitsinstruktionen bereitliegen. Denn nirgendwo sonst wären Instruktionen zur Sicherheit von Kindern angebrachter, als im Fond des neuen Audi RS4. Durch den umfassenden Umbau der Quattro GmbH wird aus dem etwas biederen Familienkombi Audi A4 ein messerscharfes Sportgerät, bei dem der Fahrer schon einmal die Contenance verlieren kann.
Prägendes Element dabei ist der aus dem Vormodell übernommene 4,2-Liter-V8-Benziner, der 450 PS leistet. Mit ihm im Bug wachsen dem vorläufig nur als Avant erhältlichen Audi sprichwörtlich Flügel. Die Beschleunigung auf 100 km/h vollzieht sich binnen 4,7 Sekunden, und der Vorwärtsdrang endet erst bei 250 km/h. Wem das zu langsam ist, der kann gegen Aufpreis diese Begrenzung aufheben und darf den A4 mit 280 km/h über die Autobahn scheuchen. Doch den RS4 nur auf dieses nackte Zahlenspiel zu reduzieren, wird der Sache nicht gerecht. Viel entscheidender ist, wie es der Entwicklungsmannschaft um Quattro-GmbH-Geschäftsführer Stephan Reil gelang, aus dem weiterhin erhältlichen Audi S4 einen High-Performance-Sportwagen zu formen, ohne das die praktischen Eigenschaften der Avant-Karosse dabei auf der Strecke blieben.
Entscheidend für das gelungene Ergebnis ist vor allem die optimale Abstimmung von Antriebsstrang und Fahrwerk. Audi greift im Gegensatz zu früheren RS-Modellen, beim neuen RS4 ausschließlich auf ein Automatikgetriebe mit der Bezeichnung S-Tronic zurück. Das Doppelkupplungsgetriebe mit insgesamt sieben Fahrstufen und Allradantrieb wechselt die Gänge auch unter höchsten Belastungen ohne Zugkraftunterbrechung, teilt die Kraft dank dem neuartigen Kronenrad-Differenzial zwischen den Achsen geschickt auf und bietet mit einem Sport- und einem Manual-Modus dem Fahrer genug Möglichkeiten, seinen persönlichen Stil zu finden. Für besonders gutes Ansprechverhalten legte Audi den Automaten dabei betont straff aus – zu viel des Guten, denn speziell im Stop-and-Go-Betrieb dringt ein unschönes Klacken aus dem Antriebsstrang.
Doch letztlich ist der RS4 für quälenden City-Verkehr ohnehin viel zu schade und so kann der Audi am ehesten auf der freien Landstraße oder Autobahn überzeugen. Trotz großer 19-Zoll-Alufelgen bleibt der Audi auch bei Längsrillen oder nasser Straße sauber in der Spur und lässt sich ähnlich leicht dirigieren, wie jeder andere A4. Diesen unauffälligen Eindruck untermauert zunächst auch die Motorcharakteristik. Bis 4.000/min bleiben die 430 Nm schön unter der schicken Kohlefaserabdeckung des Aggregates versteckt. Der V8 brummelt zwar ein wenig nervös durch die armdicken Oval-Endrohre, aber wirklich Spektakuläres passiert bis dahin nicht. Erst wenn der Fahrer nachdrücklich das Gaspedal niedertritt, lässt der Direkteinspritzer die Hunde von der Leine. Das dumpfe Brabbeln weicht dank den gesteuerten Auspuffklappen einem bedrohlichen Stakkato, die Nadel des Drehzahlmessers schnellt nach oben und die Köpfe der Insassen drücken sich synchron in die weichen, lederbezogenen Kopfstützen. Jetzt wäre der Moment der bereits erwähnten Sicherheitskarte in den Pompadour-Taschen gekommen, nur man erreicht sie leider wegen der Beschleunigung nicht. Aufgrund des hohen Drehvermögens des V8 hält dieser Zustand bei Bedarf bis weit über 8.000/min an und wird nur durch die salvenhaften Gangwechsel unterbrochen.
Dass der Audi bei derlei Extremübungen keinerlei Traktionsschwäche kennt, ist ebenso Ehrensache, wie die Tatsache, dass auch für den Fall einer plötzlichen Notbremsung alles notwendige an Bord ist. An der Vorderachse versehen riesige 326 Millimeter große Scheiben im Gewicht sparenden Wave-Design samt zweier glanzschwarzer Achtkolbenbremssättel ihren Dienst. Wer Wert auf noch höhere Bremsleistungen legt, dem bietet Audi optional eine Keramik-Bremse an. Ein individuell verstellbares Fahrwerk sowie verschiedene Fahrdynamikprogramme sorgen in nahezu jeder Situation für die zusätzliche Unterstützung. Die Konfiguration der Fahrwerks- und Lenkungsparameter kann der Fahrer individuell während der Fahrt vornehmen. Ein netter Gag, der aber aufgrund der gelungenen Automatik-Grundabstimmung schnell zu einer Spielerei verkommt.
Im Alltag, fern der Rennstrecke, braucht der Audi RS4 seine High-End-Technik nicht, um zu punkten. Da gibt er sich genauso praktisch, wie seine schwächer motorisierten Brüder und bietet mit seinem geräumigen und gut verarbeiteten Innenraum sowie der durchdachten Ergonomie ein hohes Maß an Alltagstauglichkeit. Dass das eventuell schon zu viel des Guten ist, werden die Besitzer des für 76.600 Euro teuren Kombis ab Herbst diesen Jahres merken. Dann nämlich, wenn der bis dato favorisierte Sportwagen immer öfter zugunsten des sportlichen Kombis aus Ingolstadt in der Garage bleiben muss.
Einen Investment-Tipp zur ersten und zweiten Generation des Audi RS4 lesen Sie hier.
Fotos: Audi