Erinnern Sie sich an diese kleine Serie von unscharfen Erlkönig-Fotos, die in den frühen 2000-Jahren die Runde machte und einen unter äußerster Geheimhaltung um Fiorano donnernden schwarzen Enzo-Versuchswagen von Ferrari zeigt?
Wegen des gewaltigen Heckflügels des bedrohlich wirkenden Protototyps, den kruden röhrenartigen Lufteinlässen auf der Motorabdeckung, Speedline-Leichtmetallrädern und einer ziemlich rohen Karosserie vermutete die Fachpresse, dass hier ein Blick auf Ferraris nächstem Sportrennwagen zu erheischen war, gebaut in ähnlicher Weise wie der F40 GTE und der letztlich zum Scheitern verdammte F50 GT. Aber die Automedien irrten sich.
Tatsächlich waren es die Anfänge von Maseratis MC12 GT1-Projekt – mit diesem Auto würde die Dreizack-Marke nach 37 langen Jahren endlich wieder in die internationale Langstreckenserie zurückkehren. Unter Ferraris Leitung und mit aller Expertise, die Maranello aufzubieten hatte, hatte Maserati entschieden, das ein Supersportwagen als Derivat der bestehenden Enzo-Plattform sich der Herausforderung der FIA GT-Meisterschaft, deren Règlement vor der Saison 2004 erleichtert worden war, stellen konnte. Mit diesem Projekt wollte die legendäre Marke auch wieder die große Bühne betreten.
Um den MC12 für den Rennsport zu homologieren, musste Maserati mindestens 25 straßentaugliche Versionen des Supersportwagens fertigen. Nicht nur, dass diese Serie entstand, man baute auch für 2005 einen zweiten Satz von 25 Fahrzeugen. Es gibt also insgesamt 50 MC12-Straßenfahrzeuge.
Das Monocoque-Chassis des Ferrari Enzo, der aufwühlende 6-Liter-V12 und das manuelle elektrohydraulische Sechsganggetriebe wurden von einer größeren und aerodynamisch aggressiveren Karosserie von Giorgetto Giugiaro mit Feintuning von Frank Stephenson umfangen. Das einzige Designmerkmal, das aus dem Enzo übernommen wurde, war die Windschutzscheibe. Wir denken, dass allein seine schiere extravagante Präsenz dem MC12 einen Ehrenplatz in der Hall of Fame der Supersportwagen aus der Ära der Nullerjahre verschaffen sollte.
Gleichzeitig wurde intensiv der Rennwagen entwickelt. Und da spielt der MC12 seinen Trumpf aus. Während fast alle anderen Hersteller in der FIA GT Championship ihre volumenstarken Serienfahrzeuge in Rennwagen verwandelt hatten, verfolgte Maserati eigentlich eine gegenläufige Strategie.
Der so entstandene GT1-Rennwagen, der bis auf 250 Kilo weniger Gewicht, einem sequentiellen Getriebe und Stahlrotorbremsen seinem straßentauglichen Pendant erstaunlich ähnlich war, sollte sich als umwerfend erfolgreich erweisen. Wir erinnern uns daran, wie Porsche und Mercedes-Benz in den späten neunziger Jahren die Langstreckenszene auf den Kopf stellten mit ihren zielgerichtet entwickelten 911 GT1 und CLK AMG GTR. Geschah das im wahren Geist der Grand Touring-Regularien. Wahrscheinlich nicht. Hat es funktioniert? Ohne Zweifel.
Festzustellen, dass der MC12 ein toller Rennwagen war, grenzt schon an eine freche Untertreibung. Am Start für eine Reihe von werksunterstützten und privaten Teams wie AF Corse, JMB Racing und Vitaphone Racing Team gewann er 46 von den 96 Rennen, bei den er antrat. Im Laufe einer außerordentlichen siebenjährigen Karriere im Motorsport addierte sich dieser Erfolg zu sechs FIA-Teammeisterschaften, zwei Konstrukteurstitel für Maserati und sechs Fahrermeisterschaften. Der einzige Grund, weshalb der MC12 nie in Le Mans gewann – beziehungsweise dort teilnahm -, war die Sorge der ACO, dass der Maserati die Konkurrenz schlicht pulverisieren könnte.
Was ist nun mit diesem speziellen Exemplar, eines von nur elf von Maserati gefertigten MC12 GT, das aktuell von Classic Driver-Händler und Rennwagen-Guru Jan B. Lühn angeboten wird?
„Bei diesem Auto, Chassisnummer 003, handelt es sich um einen der frühesten MC12 GT1, die gebaut wurden und unter den Farben des werkseigenen Maserati Corse-Teams und zwei vom Werk unterstützten Teams gefahren wurde: AF Corse bei der europäischen FIA GT-Meisterschaft 2004 und Risi Competizione in Übersee in der ALMS-Saison 2005“, erläutert Lühn. „Es war eines von zwei Autos mit denen der MC12 sein Renndebüt in Imola 2004 feierte. Dort wurde der Maserati mit Johnny Herbert und Fabrizio de Simone am Steuer dritter – das gab einen Vorgeschmack auf kommende Ereignisse.“
Ein Sieg selbst sollte Chassis 003 nicht vergönnt sein. Der MC12 fuhr 2004 zweite Plätze in Dubai und Zhuhai ein und war auch der einzige MC12, der in 2005 – mit Sondergenehmigung der IMSA - an der zehn Runden langen American Le Mans Series teilnahm und zweimal aufs Podium kam. Dazu kamen Erfolge bei Mosport und der Petit Le Mans und ein beachtlicher fünfter Platz bei den renommierten 12 Hours of Sebring. Nach dem abschließenden Auftritt in dem Jahr, wurde das Auto von einem Sammler gekauft, der es vor allem in der exakten Spezifikation und in dem Zustand erhalten wollte, als der MC12 zum letzten Mal seine Räder im Wettstreit drehte. Damit dürfte dieses Exemplar aber auch der ursprünglichste aus der Riege der MC12 GT1 sein und als frühes Beispiel für einen Rennwagen, der nur von Teams im Auftrag von Maserati selbst agierte, historisch höchst bedeutsam.
„Anders als bei den Rennwagen von Ferrari, die von Michelotto konstruiert wurden, geschah die Entwicklung des MC12 durch Maserati mit der Unterstützung durch Ferrari“, betont Lühn. „Es wurde vom Werk als Werkswagen gebaut, aber auch an „Ultra-Kunden“ wie Michael Bartels vom Vitaphone Racing Team verkauft.“
„Der MC12 war das Auto, das es im Europäischen GT-Motorsport zu schlagen galt – bei allen anderen Konkurrenten handelte es sich um Straßenfahrzeuge, die zu Rennwagen transformiert worden waren. Das Konzept hier war von Anfang an einen Rennwagen zu bauen und ihn dann für die Straße zu homologieren. Dieser Ansatz war damals bahnbrechend. Maserati hat sich das geänderte Regelwerk zu Nutze gemacht und die Strategie ist aufgegangen.“
Der Maserati MC12 ist nicht nur um einiges seltener als der Ferrari Enzo, auf den er basiert. Was ihn auszeichnet ist auch sein besonderer Status als Homologation, zugleich ist sein Design auch viel spannender. Aber warum ist der Wert für die Straßenversion in etwa gleich mit dem Ferrari? Ein Phänomen, das auch Lühn bekannt ist und er weiß, dass es sich bei den Rennwagen genauso verhält. Doch diese Situation dürfte sich mit dem künftigen Erfolg der noch jungen „Endurance Legends“-Serie von Masters und Peter Auto ändern, denn natürlich ist Chassis 003 startberechtigt und vermutlich in dieser zweiten Karriere ein Kandidat fürs Podium.
„Wenn es ein Auto gibt, dessen Verkauf ich im Lauf meiner Karriere bedauert habe, dann der ehemalige Werks-Porsche 911 GT1“, erinnert sich Lühn, „aber wenn ein anderes Fahrzeug diesem Vergleich gewachsen ist, dann dieser Maserati MC12 – für mich einer der attraktivsten modernen Rennwagen. Ich bin von ihm restlos begeistert.“ Großes Lob vom Kenner. Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Wer fährt mit diesem bedeutsamen Exemplar wieder zurück nach Sebring?
Fotos: Michael Jurtin für Jan B. Lühn © 2020