Das Dreigestirn aus ‚50er-Jahre-Rennwagen‘, ‚italienisch’ und ‚rot’ reicht aus, um bei jedem Liebhaber historischer Sport- und Rennwagen Träume im Kopf zu triggern. Okay, dieser Ex-Werks-Maserati 200S/N 2405 aus 1956 ist heute nicht rot, doch geht zurück auf eine andere romantische Epoche. Den in den Fünfzigerjahren zumeist in Florida und Kalifornien ausgetragenen regionalen und nationalen SCCR-Rennen, bei denen die legendärsten europäischen Sportwagen auf amerikanischem Boden und in ausgefallen Farbkombinationen gegen die einheimischen Marken ins Feld zogen.
Dieses Auto war ursprünglich rot lackiert und mit einer Fiandri-Karosserie eingekleidet – genauso wie die Karosserien des Maserati 150S, wie uns Mattia Colpani und Enrico Renaldini von Brixia Motor Classic aus Poncarale bei Brescia in Erinnerung rufen. Doch ehe sie uns mehr zur die Geschichte des Wagens verraten, nehmen sie uns auf eine frühmorgendliche Fahrt durch die italienische Landschaft mit. Müßig zu betonen, dass dies ein Angebot ist, zu dem man nicht ‚Nein’ sagen kann. Speziell dann nicht, wenn das Auto dann auch ziemlich zügig bewegt wird.
Während wir nach der spektakulären Spritztour kurzzeitig befürchten, taub geworden zu sein, wollen wir von den beiden jetzt wissen, wie es sich anfühlt, solch ein Vollblut zu fahren: „Der 200S ist sehr laut und schnell“, sagt Mattia. „Tatsächlich fühlt er sich mit zunehmender Geschwindigkeit immer leichter an, man muss sich dann wirklich konzentrieren. Er ist einfacher zu fahren als ein Ferrari 500 Mondial und schneller in Kurven. Weil er aber flacher liegt, fühlt man jede Unebenheit der Fahrbahn“. Enrico ergänzt: „Das Gitterrohrrahmen-Chassis macht einen großen Unterschied. Es sorgt für ein Fahrerlebnis, das nahe an das in einem Osca heranreicht, natürlich hier ergänzt um einen stärkeren Motor.“
Um zu verstehen, warum dieser 200S heute eine Fantuzzi-Karosserie und diese spezielle Lackierung trägt, müssen wir tief in seine Geschichte eintauchen. Zunächst entwickelte Maserati im Jahr 1955 als Nachfolger des A6 GCS auf zwei nahezu identischen Chassis den 150 S und 200S. Der Vierzylinder-Motor aus der Formel 2 war für den Tipo 52 (oder 200S) vorgesehen. Der 150S mit seinem kleineren Aluminium-Triebwerk war auf Privatfahrer zugeschnitten, während die größeren Motoren für Maserati-Werksfahrer wie Fangio und Moss vorgesehen waren.
Der 200S startete erst 1956 richtig durch, nachdem 1955 nur ein Modell fertig geworden war. Laut den meisten Experten ist es sehr wahrscheinlich, dass der hier gezeigte #2405 – im Juni 1956 mit Fiandri-Karosserie, Viergang-Getriebe, Jaeger-Instrumenten, Cibié-Scheinwerfern und Weber Doppelvergasern fertig gestellt – der Werkswagen ist, mit dem Stirling Moss noch im gleichen Monat beim Gran Premio Supercortemaggiore in Monza, besser bekannt als 1000-km-Rennen von Monza, antrat und mit 27 Sekunden Rückstand auf den siegreichen Ferrari Testa Rossa auf Platz zwei einlief.
Sozusagen im Sandwich zwischen dem kleineren 150S und dessen großem Bruder, dem 300S, wurde der 200S für Maserati zu einem großen Verkaufserfolg. Während die ersten fünf Exemplare noch mit Fiandri-Karosserie eingekleidet wurden, übernahm man für spätere 200S die schlankere Fantuzzi-Hülle mit ihrer längeren «Nase». 1957 schrieb ein neues Reglement zusätzliche Anbauteile vor – wie eine vollständige Windschutzscheibe mit Wischer, zwei Türen, einem Reserverad und einem Softtop. Die auf dieses Reglement umgerüsteten Modelle erhielten die Bezeichnung 200 SI, für Sport International.
Das Maserati-Werksteam setzte #2405 beim Bari Grand Prix von 1956 ein, ehe das Auto im August 1956 nach San Francisco verschifft wurde. Der bekannte Privatfahrer Lance Reventlow, Urenkel von Winfield Woolworth, dem Gründer der gleichnamigen Kaufhauskette und einziges Kind von Barbara Hutton, der einzigen Erbin des Woolworth-Vermögens, erwarb das Auto mit dem Ziel, es auch bei Rennen einzusetzen. Solch ein exotischer und wichtiger Importwagen konnte in der lokalen Motorsportszene natürlich nicht unbeobachtet bleiben. So war #2405 nicht nur ein Thema im Magazin Sports Illustrated, sondern brachte es 1957 sogar bis auf den Titel von „Road & Track“.
1957 ließ Reventlow seinen 200S in die amerikanischen Rennfarben weiß/blau umlackieren und den Wagen im Einklang mit dem Reglement der CSI (Commission Sportive International) so umbauen, dass er bei den 12 Stunden von Sebring starten konnte. Dort trat er mit #2405 gegen die drei Werks-Maserati an, einer davon besetzt mit der Starpaarung Fangio/Moss. Nach dem Rennen, das der Wagen nicht beendete, wurde #2405 für eine größere mechanische Revision und einige Upgrades (wie einen größeren Tank) zurück nach Italien spediert – auf demselben Schiff wie die Werksautos.
Reventlows Plan sah nun Einsätze in Europa vor. Los ging es im Mai 1957 mit dem Spa Grand Prix, den er aber ebenfalls nicht beendete. Beim 1000-km-Rennen an Nürburgring sah man #2405 mit Fangio am Lenkrad, aber nur für einige Demo-Runden mit Reventlow auf dem Beifahrersitz. Dann änderte das nächste Rennen, die Vanwall Trophy in Snetterton, das Schicksal von #2405. Ein zeitgenössischer Rennbericht schilderte die Ereignisse: „Reventlow fuhr auf den Lister-Bristol von John Horridge auf, beide Autos drehten sich ins Outfield und überschlugen sich, wobei beide Fahrer aus ihren Autos geschleudert wurden. Reventlow landete am Fuß eines Zuschauerschutzwalls. Sein Maserati kam zwar auf ihm zu liegen, überbrückte ihn aber so, dass er nahezu unverletzt blieb. Sein Auto hingegen war schwer beschädigt.”
Wie so oft in jener Zeit zeigte sich der Fahrer wenig beeindruckt vom Unfall und sah seine Priorität darin, ohne Rücksicht auf die Kosten das Auto bei Maserati schnell wieder flott machen zu lassen. Anstatt die beschädigte Karosserie zu richten, schlug Maserati vor, fürs gleiche Geld eine brandneue Fantuzzi-Karosserie aufzusetzen, die es zugleich erlauben würden, am Heck die neuen Benzin- und Öltanks unterzubringen. Kaum war das in die Tat umgesetzt, wurde das Auto auf die Bahamas für die dortige Speed Week transportiert. Dort erzielte Reventlow einige gute Ergebnisse, ehe es im Januar 1958 weiter nach Laguna Seca ging. Im Juli des gleichen Jahres erstrahlte der 200 S in einem neuen Farbkleid: weiß mit doppelten Längsstreifen in Gold, die am Bug nach außen zogen, dann entlang der Seitenschweller nach hinten liefen, um am Heck in gleicher Krümmung wie vorn wieder hochzuziehen. Dazu kam eine aerodynamische Kopfstütze, ein Grill mit dem Dreizack-Wappen und neue seitliche Luftauslässe. Und so sieht er noch heute aus.
David Lane, der neue Besitzer von #2405, nahm 1958 in diesem Outfit am Cocoa Sports Car Race in Florida teil und holte einen Klassensieg. Der 200 S wurde zu einem gewohnten Anblick bei den meisten regionalen SCCA Rennen der Saison 1958, ehe sich Lane im Juli 1959 einen Ferrari 250TR zulegte. Erst in den späten 1970er-Jahren wurde #2405 in einer New Yorker Sammlung wieder gesichtet. Das jetzt wieder rote Auto wurde in den Neunzigern nach Italien verkauft und bei zahlreichen Mille Miglia eingesetzt. 2014 nahm der 200S mit Fantuzzi-Kostüm und seinem orginalen Soft-Top am Chantilly Art & Elegance Concours teil. Im letzten Jahr entschied sein neuer italienischer Besitzer, das Auto zurück auf sein Outfit vom Juli 1958 zurückzubringen – als Hommage an seine Vergangenheit. Die Lackierarbeiten wurden gerade noch rechtzeitig für unsere Fotoproduktion beendet, ehe das Auto dann im letzten Oktober zur Mille Miglia von 2020 ausrückte.
Das Brixia Motor Classic Duo fast zusammen: „Die besten Events sind doch immer die, auf denen man das Auto auf leeren Straßen ohne Staugefahr genießen kann. Und natürlich ist auch eine gute Rennstrecke immer willkommen.” Beides können die Modena Cento Ore und Journées d’Automne bieten – und wir denken, dass dieses Auto genau dort in diesem Jahr zu sehen sein sollte.
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2021