Die Werkstatt mit der seltsamen Wortkreation Rauh-Welt Begriff, kurz RWB, als Name hinterlässt mit ihrer ureigenen Handschrift beim Tuning luftgekühlter Porsche seit über 15 Jahren eine weltweit starke Duftmarke. Ob man sie nun liebt oder hasst – schon aus einem Kilometer Entfernung lässt sich ein von Nakai-San veredelter Porsche 911er unzweifelhaft erkennen. Mit ihren wunderbar altmodischen, weil angenieteten Kotflügelverbreiterungen, überdimensionalen Flügelleitwerken und am Boden schabenden Stoßfängern sind diese provokanten Monster nicht nur Sinnbild des Nakaischen Freidenkertums, sondern auch Ausdruck einer weltweit blühenden und vielschichtigen Subkultur des Porsche-Tunings.
Doch wie haben es nun Mathieu Bonnefond, Hervé Catrin und Adrian Collot – drei Händler moderner Porsche aus der Champagne – angestellt, RWB auch nach Frankreich zu bringen? „Eigentlich sind Hervé und ich keine Porsche-Fanatiker, doch dafür liebt Adrian individualisierte und modifizierte Modelle um so mehr“, erklärt Mathieu Bonnefond. „Er kannte die Arbeit von RWB und wunderte sich, warum niemand in Frankreich diese Autos baute. So erweckte er auch unser Interesse.“ Bei einem Besuch bei Profusion Customs – dem englischen RWB-Ableger – wurde das Trio Nakai-San vorgestellt. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.
Um die Bandbreite und die maßgeschneiderte Natur der RWB-Projekte zu demonstrieren, sollte der erste Porsche – er wird als Vorführwagen im Bestand von RWB France bleiben – möglichst mutig sein. Weil Preise für 993er-Modelle aktuell durch die Decke schießen und ein 930 inzwischen doch ein wenig old school wirkt, einigte man sich auf einen 964 als Spendermodell. Auch wenn der Kunde in erster Linie die Spezifikationen und Umbauten bestimmt, ist Meister Nakai stets im Entwicklungsprozess involviert. So wurde zum Beispiel beim hier vorgestellten Modell die Farbe Maritimblau dem zunächst vorgeschlagenen Rot vorgezogen, weil, so Nakai, „ich schon zu viele rote Autos gebaut habe.“
Unter den unterschiedlich pompös ausladenden Wide Body-Kits, die man bei RWB per Hand in Form dengelt, wurde für das Premierenmodell ein gesundes Mittelmaß gewählt, um so die französischen Puristen nicht zu sehr zu verprellen. Dafür nahm sich Adrian um so gründlicher der mechanischen Komponenten an – und zwar in Form eines modifizierten Fahrwerks, einer 997er-Bremse und eines ventilklappengesteuerten Auspuffsystems. Mit den Sattlerarbeiten wurden die in Reims ansässigen Spezialisten von Sellerie Rémoise beauftragt, die ebenfalls gleich vor Ort sitzende Carrosserie de Cormontreuil erledigte die Lackierung.
Der aufregendste und exklusivste Teil eines jeden RWB-Aufbaus ist jedoch gekommen, wenn Nakai-San himself erscheint, um persönlich die Karosse alleine und komplett per Hand zu montieren. „Ab diesem Punkt darf man sich als Mitglied seiner Familie willkommen fühlen“, kommentiert Bonnefond. „Am Ende ist das ein menschliches Abenteuer – Nakai-San will nicht, dass die Leute mit seinen Autos spekulieren, sondern sie dazu bringen, die Ursprünge des Fahrspaßes neu zu entdecken. Und er will sich nebenbei mit gleichgesinnten Freunden treffen.“
Auch wenn das Styling nicht jedermanns Geschmack trifft, fällt es schwer, nicht beeindruckt davon zu sein, wie Nakai – immer mit einer Zigarette zwischen den Lippen – mit bloßem Auge die Karosserie des Spendermodells zurechtschneidet. Selbst die Art und Weise, wie er den letzten Feinschliff ausführt – den Aufkleber auf der Windschutzscheibe oder die weißen Schriftzüge auf den Reifen – wirkt beneidenswert mühelos. Schauen Sie nur mal auf YouTube – wir garantieren, Sie werden bezaubert sein.
In Anbetracht der polarisierenden Optik fürchtete das Reimser Porsche-Händlertrio viele negative Reaktionen – speziell in einem Land mit einer solch reichen Automobilkultur wie Frankreich. „Doch überraschenderweise gab es nur wenige negative Kommentare, nachdem wir ein Video gestreamt hatten, das Nakai beim Zuschneiden der Kotflügel auf seiner Facebook-Seite zeigt“, so Bonnefond. „Viele Leute fühlten sich danach zu Karosseriebaumeistern berufen und monierten die fehlende Rostprüfung und die allgemein schlechte Qualität der Arbeit. Doch die, die dabei waren und seine Arbeit mit eigenen Augen sahen, waren ganz anderer Meinung.“
In der Tat besuchten einige bekannte Karosseriebauer die Werkstatt in Reims, um sich die „Show“ von RWB persönlich anzusehen. „Er ist sehr präzise in seinen Arbeitsschritten und muss nichts zwei Mal machen – ich fordere jeden Karosseriespezialisten auf zu versuchen, ihm das in gleicher Zeit nachzumachen“, kommentierte einer der Beobachter. Nachdem der Japaner seine Arbeit mit seiner handgeschriebenen Signatur beendet hatte, ging es mit dem Porsche auf die Straße. „In Paris haben wir nirgendwo einen Parkplatz gefunden, weil ständig Menschen um das Auto herumstanden“, erzählt Bonnefond. „Witzigerweise hielt uns auch der französische Fernsehkoch Cyril Lignac an, lobte das Auto und wollte mehr darüber erfahren!“
Rauh-Welt Begriff, Magnus Walker, Liberty Walk und auch Singer Vehicle Design – neben ihrer jeweils eigenständigen Persönlichkeit vereint die Tuningvirtuosen eine Eigenschaft: Sie polarisieren, ganz besonders in Europa. Doch Nakai-san macht sich nicht viel aus Kritik. Für ihn zählt, dass seine einzigartigen Autos bewegt werden und sich die Besitzer an ihnen erfreuen. Müßig zu betonen, dass seine Auftragsbücher weit offen sind.
Schaut man sich diesen RWB-Porsche noch einmal genauer an, entdeckt man neben dem hinteren Nummernschild einen kleinen Champagnerkorken – ein versteckter Hinweis auf den Namen des ersten französischen Botschafters der RWB-Welt, „Champagne“. Und sicherlich stilvoller als der Dosenring einer Weißblech-Kanne Stella Artois, n'est-ce pas?
Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2017