Direkt zum Inhalt

Freier Fall in Ferdinand Piëchs täglich bewegtem Porsche 959 Prototyp

Freier Fall in Ferdinand Piëchs täglich bewegtem Porsche 959 Prototyp

Selbst in den luftigen Höhen des Porsche 959 finden sich Modelle, die zurecht herausstechen. Wie zum Beispiel dieser extrem seltene Prototyp, der intensiv vom Nürburgring bis zum Nordkap getestet wurde und nach Ende seiner Dienstzeit täglich von Ferdinand Piëch bewegt wurde...

Wenn man das definitive Werk über den Porsche 959 aufschlägt, geschrieben von einem der bekanntesten und renommiertesten Markenspezialisten und die Seiten aufblättert, in denen es um die Test- und Entwicklungsphase des Über-911er geht, wird man eine wunderschöne Sammlung von Fotos mit weißen Vorserien-Prototypen entdecken, die in allen denkbaren Klimazonen der Welt durch die Gegend gescheucht werden. 

Der betörende 959 in Grand Prix Weiß auf diesen Seiten gehört zu diesen Prototypen und ist unter seiner internen Codebezeichnung V5 bekannt. Im Jahre 1985 ließ Porsches Entwicklungschef Helmut Bott 29 Exemplare des 930 Turbo für Testzwecke zu 959 umbauen. Sie wurden in drei Gruppen – F, N und V – eingeteilt, mit jeweils eigener Spezifikation. 

Der V5 gehört zu einer Serie von sieben V-Serie-Prototypen, die in erster Linie als Testträger für das Fahrwerk und das ABS genutzt wurden.  Die V-Versionen waren die finalen Vorserientypen und somit am engsten an die späteren Serienfahrzeuge angelehnt. Daher sind sie auch leicht von den früheren 930 Turbo Mulettos zu unterscheiden. Was den V5 so speziell macht, ist die Tatsache, dass er der einzige Vorserien-959 ist, dessen Entwicklung fotografisch umfangreich dokumentiert worden ist. Die Bilder erzählen die bemerkenswerte Geschichte von den ausgiebigen Reisen zu Beginn seines Prototypen-Daseins bis zum finalen Einfluss auf den Serien-959.

Porsche Versuchstechniker Dieter Röscheisen, der erstaunlicherweise dafür die Erlaubnis des Werkes erhielt, nahm die grobkörnigen und farblich übersättigten Fotos an so unterschiedlichen Stellen wie den endlosen Geraden des VW-Testgeländes Ehra-Lessien, den gnadenlosen Kurven und Bergauf/Bergab-Passagen des Nürburgrings oder den beißend kalten Gegenden Schwedens bis hoch zum Nordkap in Norwegen auf. 

In ihrer Gesamtheit zeigen die Bilder, welche Anstrengungen Porsche unternahm, um den schnellsten und technologisch aufwändigsten Supersportwagen jener Epoche zur Serienreife zu bringen. Röscheisen, der mit 200.000 Kilometern zweifellos mehr Testkilometer in 959- Prototypen zurückgelegt hat als irgendjemand anderer, beschreibt den dreijährigen Reifeprozess als „erschöpfend“. 

Der Porsche 959 mag ein wenig ziviler ausgesehen haben als seine Raumschiff-artigen Rivalen von Ferrari, Lamborghini und Bugatti, doch war er unter der Außenhaut alles andere als konventionell. Ursprünglich konzipiert für die Motorsportkategorie der Gruppe B, sollte er zugleich ein alltagstauglicher, komfortabler und sicher zu beherrschender Sportwagen sein. Eine ausgesprochen breite Spanne an Talenten also. 

Als er 1986 auf den Markt kam, glänzte der 959 mit technologischen Wunderdingen, die heute für viele von uns als selbstverständlich gelten. Wie zum Beispiel Allradantrieb mit variabler Drehmomentverteilung, ABS-Bremsen, Mischbereifung und Reifendruck-Sensoren samt so genannter Denlock-Felgen, weil es keinen Platz im Kofferraum für ein Reserverad gab. Der einst schnellste Wagen der Welt – der 911 Turbo mit 270 km/h - stieg nun mit 450 PS und einer Spitze von gut 320 km/h in den Olymp der Supersportwagen auf. Und war dabei mehr als nur ein Porsche 911 Turbo auf Steroiden.   

Wenig überraschend besitzt V5 eine Reihe von Details, die ihn von seinen späteren Serienbrüder unterscheiden. Er hat zum Beispiel nur einen Rückspiegel, und der Tankeinfüllstutzen auf der Haube ist versiegelt – man muss die Haube öffnen, um nachtanken zu können. Dieser 959 trägt zugleich noch immer stolz sein Werks-Nummernschild „BB-PW 493“ – weil das Porsche Entwicklungscenter Weissach im Landkreis Böblingen liegt. 

Um das Auto auch schon vorab potentiellen Kunden oder Pressevertretern zu präsentieren, verpasste Porsche dem V5 eine „Komfort“-Spezifikation, die unter anderem den Verzicht auf einen Überrollbügel mit sich brachte. Das Auto opferte allerdings seinen Beifahrersitz, um in dem so frei gewordenen Raum die damals noch ziemlich schwere und sperrige Computer-Hardware – Röscheisen spricht vom „Messturm“ - zum Testen der diversen elektrischen Systeme unterbringen zu können.

„Der V5 wurde nur nach Skandinavien geschickt, um abzuprüfen, ob unsere Erfahrungen mit der Elektronik des V1, der Sportversion, auf die Komfortversion übertragbar waren“, erinnert sich Röscheisen im 959-Buch von Dr. Konrad Konradsheim aus Wien. „V5 war mit einem höhenverstellbaren Fahrwerk ausgestattet,  daher mussten wir herauskriegen, ob die Elektronik auch damit funktionieren würde. Wir wollten absolut sichergehen – daher waren die Versuche am Nordkap so extrem wichtig für beide Fahrzeuge.“

Ein weiterer Vorteil des höhenverstellbaren Fahrwerks des V5 lag in der Fähigkeit, damit durch Tiefschnee fahren zu können, was V1 zum Beispiel nicht konnte. Manchmal wurde der V5 auf unserer Nordkap-Tour sogar als Schneepflug eingesetzt, um den Weg für den V1 frei zu räumen.“ 

Nachdem er von den harten Testfahrten befreit worden war, hielt Porsche den V5 in einem guten Zustand und entging dem Schicksal der meisten Prototypen, der Schrottpresse. Im Gegenteil übergab man ihn  sogar an keinen Geringeren als Ferdinand Piëch, damals stellvertretender Audi/NSU-Vorstandsvorsitzender, der ihn eine Zeit lang als tägliches Transportmittel nutzte.  

Der Porsche 959 bot einen faszinierenden Ausblick in die Zukunft des Automobils. Und trotz seiner innovativen und explosionsartigen Performance belegt ein gut gepflegtes Exemplar wie der V5 bis heute die legendäre Zuverlässigkeit der Stuttgarter Marke. Ein alltagstauglicher Supersportwagen eben. Und dazu ein sehr seltener, nur 337 wurden gebaut, darunter 37 Prototypen und Vorserien-Modelle. Der V5 nimmt eine besondere Stellung ein, im Lichte seiner Entwicklungsaufgaben und der Piëch Connection.

Christian Messina Hembry von Messina Classics entdeckte und erwarb diesen so wichtigen Porsche 959 Prototypen im Auftrag eines Kunden. „Für mich ist er der heilige Gral einer Porsche Sammlung“, sagt er. „Es ist bemerkenswert, dass solch ein Auto außerhalb des Porsche Museums steht, speziell aufgrund seiner früheren Zeit als Testfahrzeug und der Verbindung zu Dr. Ferdinand Piëch.

Dazu kommt, dass er sich in einem sehr guten Zustand befindet und weiterhin voll fahrbar ist! Es ist erstaunlich, dass er die winterlichen Bedingungen damals so gut überstanden hat – ich bin nicht sicher, ob man das auch von vielen modernen Supersportwagen behaupten könnte.

In einem Gespräch mit dem Interieur Designer des 959, Freeman Thomas, zeigte er mir auf alten Bildern wie exakt dieser Wagen V5 neben dessen Schreibtisch in der Entwicklung bei Porsche stand. Ein Auto also mit einer einzigartigen Geschichte wie dieser Vorserien-Porsche 959 ist die Krönung für jeden Autosammler und ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich über ihn spreche.“ 

Gäbe man uns die Schlüssel, müsste man uns schon mit Gewalt daran hindern, die kurvige Bugpartie Richtung Nordkap zu richten, um dann so lange zu fahren, bis wir dort ankämen. 

Fotos: Stephan Bauer für Messina © 2020 

Die Produktion dieser Geschichte wurde freundlich unterstützt von  Messina Classics. Mit seinem großen Netzwerk und den engen Verbindungen zu vielen Automobilherstellern hat Christian Messina Hembry von Messina Classics in Böblingen seit 2011 Kunden beim Auffinden und Ankauf von extrem seltenen Sammlerfahrzeugen und dem Aufbau von kompletten Sammlung geholfen. Sie finden alle aktuell bei Messina Classics zum Verkauf stehenden Fahrzeuge im Classic Driver Markt gelistet.