Ich sage es frank und frei – für mich ist der LM der schönste Vertreter aus der 250er-Familie von Ferrari. Indem er ein elegantes und aerodynamisch ausgefeiltes Dach auf den vergleichsweise hausbackenden Unterbau des offenen 250 P setzte, schuf Pininfarina eines der atemberaubensten Designs des 20. Jahrhunderts.
Sicher, der 250 GTO ist der Ferrari, nach dem jeder am meisten lechzt. Zusätzlich angeheizt wird die Begehrlichkeit durch die absurd hohen Werte. Doch während der GTO, ein voluminöser Gran Turismo, für Langstreckenfahrten durch Europa ebenso geeignet ist wie für Einsätze auf der Rennstrecke, versprüht der flache LM mit seinem hochdrehenden Mittelmotor reinrassiges Rennsportflair.
Der LM ist ein zierliches Auto. Die extrem kurze Nase fällt steil ab und steht in starkem Kontrast zu den weit ausladenden hinteren Hüften. Sie wölben sich dramatisch über die Hinterräder, fallen dann ab, um am Ende in einem leicht hochgezogenen „Kamm“-Heck zu münden. Als Ferrari den LM (das Akronym sollte für Le Mans stehen) auf dem Pariser Salon von 1963 präsentierte, hatte er noch ein kürzeres, abrupt gleich hinter der Kabine endendes Dach. Was dem Auto ein sehr ungewöhnliches Profil verschaffte. Der nachträglich angesetzte Aufsatz, der übrigens dem des 250 GTO für 1964 ähnelt, machte das Auto definitiv hübscher und auch weitaus windschnittiger.
Auch das spartanische Cockpit ist Welten entfernt von dem mit Leder ausgeschlagenen Interieur eines GTO. Wohin man auch schaut: blankes Aluminium. Die versetzt angebrachte Pedalbox ist schon für sich ein Kunstwerk und sorgt dafür, dass Ein- und Ausstieg keine akrobatischen Verrenkungen erfordern. Der fast obsessive Drang zur Gewichtsvermeidung wird überall sichtbar. Wie zum Beispiel an der offenen Schaltkulisse, deren Konsole durchlöchert wurde, um ein paar Gramm einzusparen.
Wenn man über solch einen 250 LM philosophiert, muss man auch einen Blick auf die damalige Motorsportszene werfen. Ende der 1950er-Jahre lag ein Wechsel in der Luft. Die britischen Garagisten von Lotus, Cooper und BRM hatten in ihren Formel 1-Wagen mit hinter statt vor dem Fahrer montierten Motoren experimentiert. Der unmittelbare Erfolg – 1959 wurde erstmals ein Cooper mit Heckmotor Weltmeister – bewies, dass sie den richtigen Weg einschlugen.
Obwohl als notorisch starrköpfig bekannt, konnte sich Enzo Ferrari – der einmal scherzte, dass das „Pferd den Wagen zieht und nicht umgekehrt“ – dem neuen Trend nicht ewig widersetzen. Und präsentierte Ende 1960 den berühmten Mittelmotor-Tipo 156, allgemein auch als „Sharknose“- oder Haifischmaul-Ferrari bekannt. Der dann 1961 die Formel 1 nach Belieben beherrschte. Davon ermutigt, folgte 1963 mit dem 250 P der erste Ferrari-Sportwagen mit V12-Mittelmotor. Als erstes Mittelmotor-Auto in der Geschichte des Rennens blieb er mit der Paarung Bandini/Scarfiotti in der Sarthe siegreich.
Der 250 LM – im Grunde ein 250 P mit Dach – sollte nach Ferraris Vorstellungen auch wieder als „GT-Rennwagen“ homologiert werden. Wundersamerweise war ihm dieser Coup zuvor mit dem GTO gelungen, obwohl jeder wusste, dass noch nicht einmal die Hälfe der von der FIA geforderten Mindeststückzahl von 100 Autos gebaut worden waren.
Doch ein zweites Mal ließen sich die Offiziellen und die FIA nicht überlisten und lehnten Ferraris Gesuch ab. Folge: Der ebenfalls nicht in ausreichenden Stückzahlen gebaute 250 LM musste gegen die Prototypen antreten. Als Retourkutsche (und vielleicht auch aus Furcht vor einer Niederlage) zog ein wütender Ferrari den Einsatz zurück und überließ es Privatiers wie Luigi Chinettis North American Racing Team und Colonel Ronnie Hoares Maranello Concessionaires, den LM auf die Rennstrecken zu bringen.
Womit wir bei unserem Fotoauto, 250 LM mit Chassisnummer #5907 wären. Colonel Ronnie Hoare übernahm den Wagen im Juli 1964 und setzte ihn sofort bei den 12 Stunden von Reims ein. Lackiert in den wunderschönen Teamfarben Rot und Cambridhge Blau, fuhr die Starpaarung Graham Hill und Jo Bonnier im #5907 auf Anhieb zum Gesamtsieg. Auch das nächste Rennen, das Scott Brown Memorial in Snetterton, endete - diesmal mit Roy Salvadori am Steuer – siegreich. Zum Jahresende gelang dann sogar noch der Hattrick - Sieg bei den 9 Stunden von Kyalami mit David Piper und Tony Maggs.
In jüngerer Vergangenheit war #5907 ein regelmäßiger Gast bei historischen Motorsportevents in der ganzen Welt, darunter das Goodwood Revival und Les Grandes Heures at Montlhéry, wo wir ein paar wertvolle Stunden allein mit dem Auto verbringen durften. Der „Just for Fun“ Aufkleber am hinteren Nummernschild ist ein witziges Detail. Das daran erinnert, dass in einer Automobilwelt mit telefonisch getätigten Transaktionen und einem historischen Motorsport, der mitunter professioneller wirkt als manche moderne Serie, die Begeisterung und Passion noch immer die Antriebsfeder hinter allem ist.
Die Erfolge dieses 250 LM in seiner Glanzzeit sind Beleg für die große Kompetenz des Ferrari als Langstreckenfahrzeug. Obwohl oft im Duell gegen weitaus schnellere Prototypen, holten 250 LM insgesamt 33 Siege, darunter in Spa, Zolder, Silverstone und - am prominentesten – Le Mans. Wir stellen uns vor, wie der Überraschungssieg von Masten Gregory und Jochen Rindt 1965 in Le Mans dem missmutigen Enzo Ferrari wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein muss. Es war der sechste Ferrari-Sieg infolge und der neunte insgesamt – doch seitdem hat kein weiterer Ferrari mehr die 24 Stunden gewonnen.
In Anbetracht der Rennerfolge, der Seltenheit (es wurden nur 32 gebaut, also weniger als vom 250 GTO) und der schieren Schönheit seiner Formen ist es kaum verwunderlich, dass die Preise für einen 250 LM in den letzten Jahren durch die Decke geschossen sind. 2015 hämmerte RM Sotheby’s in Monterey den berühmten Ex-Ron Fry-Wagen für 17,6 Millionen US-Dollar weg. Auf Anfrage von uns schätzten mehrere Experten, dass ein gutes Exemplar heute mehr als 20 Millionen Dollar einbringen kann. Um so verblüffender für uns, dass jüngst ein 250 GTO angeblich für mehr als das Dreifache, nämlich 70 Millionen Dollar, weggegangen ist.
Der GTO hat sich zu einem geheimnisumwobenen Mysterium entwickelt, über das man bevorzugt im gedämpften Flüsterton spricht. Und ja, er sicherte Ferrari 1962, 1963 und 1964 den GT-Titel. Doch die Umstände verhinderten, dass der LM jemals als GT-Wagen starten durfte, was dafür die Lebensspanne des GTO verlängerte. Wir akzeptieren auch, dass er ein durchaus straßentaugliches Auto ist – was man vom LM nicht unbedingt behaupten kann. Doch wie wir hören werden Herkunft, Seltenheit, Rennhistorie und allgemeiner Zustand zu immer entscheidenderen Faktoren bei der Bewertung der „Besten unter den Besten“. Auf dem Papier ist ein LM daher auf nahezu gleichem Niveau mit dem GTO. Doch in der Realität ist er halt noch weitaus günstiger. Daher nehmen wir zwei, bitte!
Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2018