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Dieser Ferrari 250 GT „Interim“ ist der Star des Goodwood Revival. Wir drehten eine Runde mit ihm

Dieser Ferrari 250 GT „Interim“ ist der Star des Goodwood Revival. Wir drehten eine Runde mit ihm

Die letztjährige Goodwood Speedweek war ein der Pandemie geschuldeter, aufregender Formatwechsel, doch vermissten wir den ‚Pomp and circumstance’ des Revivals. Und vor allem das Aufgebot an historisch bedeutenden Rennwagen vom Format dieses 250 GT LWB „Interim“...

Der Ferrari 250 GT LWB Berlinetta ,Interim’

Nur sieben Exemplare dieses Modells entstanden im engen Zeitfenster zwischen der 250 GT Berlinetta – die unter anderem bei der Tour de France sehr erfolgreich war – und der Ankunft des wunderschönen 250 SWB. In seinem unermüdlichen Streben nach Innovation, Rennsiegen und um – als Nebeneffekt - von der Nachfrage zu profitieren, die durch den Erfolg des „Tour de France“ geweckt worden war, gab Enzo Ferrari Anfang 1959 die Entwicklung einer kürzeren, schlankeren und technisch fortschrittlicheren Version der 250 GT Berlinetta in Auftrag.

Mit dem Design der neuen Berlinetta wurde Pinin Farina betraut. Und an diesem Punkt kam das so genannte „Interims“-Modell ins Spiel. Der Commendatore war erpicht darauf, die Hochgeschwindigkeits-Fähigkeiten der neuen Karosserie zu erproben. Und wies Pinin Farina und Scaglietti an, das bestehende Fahrwerk des 250 GT LWB (Radstand 2.600 mm) mit einer frühen und für die 24 Stunden von Le Mans von 1959 entwickelten Prototypen-Karosse für den neuen SWB einzukleiden.

Die im Vergleich zur späteren 250 SWB Berlinetta zusätzlichen 200 mm an Radstand lassen die Proportionen des „Interims“-Modells nicht ganz so ausgewogen wirken; wobei er trotzdem noch ein verdammt hübsches Ding ist. Nur drei Monate nach dessen Vorstellung schwang sich aber dann schon die in Paris vorgestellte 250 GT SBW Berlinetta – mit ihrem kompakteren Design und Scheibenbremsen – an die Spitze der Wunschliste aller Ferrari-Liebhaber. Die „Interims“, auf einen Schlag für die Rennstrecke überflüssig geworden, dienten danach ihrer kleinen Zahl an wohlhabenden Besitzern als schnelle Reisesportwagen. 

Der allererste „Interim“ – Chassisnummer 1377 GT – wurde – als Einziger – bei Pinin Farina in Turin aufgebaut. Das zweite Exemplar, 1461 GT, das in Le Mans neben dem oben erwähnten Prototyp auftauchte, schon bei Scaglietti in Modena. Nur fünf weitere bei Scaglietti entstandene 250 GT LWB Berlinetta „Interims“ wurde an Ferrari VIP-Kunden und bekannte Privatiers verkauft. Das beneidenswert originalgetreue Exemplar auf diesen Bildern ist der „Interim“ mit Chassisnummer 1509 GT. Er wird am kommenden Wochenende mit Max Girardo und seinem Partner Philip Kadoorie am Steuer bei der Stirling Moss Trophy in Goodwood starten.

Das vierte der sieben Exemplare wurde im September 1959 neu an den französischen Rennfahrer Jo Schlesser geliefert. Lackiert in den Nationalfarben von Madagaskar – weiß mit zwei grünen und einem roten Streifen. Beim Gespräch mit seinem Besitzer erzählt er uns von einer faszinierenden Entdeckung aus der Zeit, in der das Auto dem Schweizer Privatrennfahrer Balz Amschwand gehörte.

Im Dezember 1962 wurden Fahrer und Auto zu den Bahamas Speed Week eingeladen. Der mit einem feinen Gespür für Abenteuer ausgestattete Amschwand ließ daraufhin sofort einen Kindersitz für seine 18 Monate alte Tochter Francine bauen, der genau zwischen Mama Avril und Dad in den Ferrari passen sollte!

Gesagt, getan, fuhr die Familie von Zürich bis nach Le Havre, um dort samt Ferrari einen Passagierdampfer mit Zielhafen New York zu besteigen. Beim Ausschiffen dort riss dann unglücklicherweise der Auspuff ab, worauf der Sound des Ferrari um 5 Uhr morgens noch meilenweit durch Manhattan schallte!  

Mit repariertem Auspuff ging es dann durch sechs Bundestaaten hinunter nach Miami und von dort auf die Fähre nach Nassau. Beim Rennen trat der Privatier dann gegen Größen wie Innes Ireland, Roger Penske und Lorenzo Bandini an. Was eine Art zu Reisen!

 

In den Worten von Max Girardo

„Meiner Ansicht nach wird der ‚Interim’ innerhalb des Ferrari GT-Ahnengalerie bis heute stark unterbewertet. Obwohl er sich nahezu den identischen Unterbau mit dem ‚Tour de Frane‘ teilt, fühlt er sich doch irgendwie moderner an. Da ist die leicht zurückgelehnte Sitzposition, das aufgewertete Armaturenbrett und der Blick über die leicht erhöhte Motorhaube. Ich kann gar nicht genug betonen, wieviel Spaß es bereitet, ihn zu fahren. Egal ob Runde für Runde auf einer Rennstrecke oder bei einem interkontinentalen Roadtrip. Und es sind diese zwei Seiten seiner Natur, welche ihn heute für Kaufinteressenten so reizvoll machen

Ich kann nicht genau sagen, warum sich der ‚Interim‘ etwas ‚schärfer‘ und spritziger anfühlt als der ‚Tour de France’. Vielleicht liegt es an den Scheibenbremsen des 1509 GT, damals ein häufiges Upgrade an solchen Fahrzeugen. Es ist zwar kein Unterschied wie Tag und Nacht, doch man kann ihn erfühlen. Der ‚Tour de France’ hat seine Wurzeln in den 50er-Jahren, doch der ‚Interim’ richtet den Blick schon ins neue Jahrzehnt.“

 

Eine Runde in Goodwood im ,Interim’ 

Wir beginnen an der Start/Ziel-Linie, bauen im vierten Gang Drehzahl auf, der Dreiliter-V12 singt dazu sein schönstes Lied. Hart in die Bremsen ganz am linken Streckenrand, zurückschalten in den dritten Gang und dann spät einlenken und das Auto mit dem Gas ausbalancieren, um die zwei langen Curbs am Innenrand von Madgwick Corner zu treffen. Es kann dabei sehr geschäftig zugehen im Cockpit – ‚all arms and elbows’, wie es Innes Ireland einmal plastisch beschrieb.

Mit Vollgas geht es zurück auf die linke Fahrbahnseite und wieder in den vierten Gang. Wenn man das Auto exakt positioniert , geht der erste Abschnitt der Fordwater Corner im ‚Interim‘ voll. Doch man muss dafür seine fünf Sinne zusammenhaben, da die Gewichtsverlagerung sehr langsam erfolgt und oft ein kleines Gegenlenken erfordert. Zugleich lauert dort auch eine kleine Bodenwelle, was die Lenkung leicht werden lässt.

Beim Bremsen in den zweiten Abschnitt des Fordwater ist es entscheidend, rechtzeitig runterzuschalten und vor einer weiteren Bodenwelle einzulenken. Die scharfe Links von St. Mary’s ist eine knifflige Ecke – man muss genügend stark verzögern, um das Auto dann wieder geradestellen zu können. Die Strecke ist hier weitaus unebener als es im Fernsehen erscheint. Also geht es jetzt darum, die Unebenheiten zu managen und so viel Streckenbreite zu nutzen wie möglich, um sich dann für die Lavant Corner vorzubereiten. 

Lavant Corner ist eine ewig lange Doppel-Rechts. Bei den Tests durchfuhr ich sie im zweiten Gang, im Rennen geht sie vermutlich im dritten. Man muss sehr genau seine Linie und seine Geschwindigkeit kalkulieren und so viel Schwung wie möglich aus dem langen Bogen mit auf die folgende Lavant Straight nehmen. Die ist zwar streng genommen nicht kerzengerade, aber geht dennoch mit Vollgas. 

Am Ende der Runde fühlte ich mich mutig genug, den Anker für die Woodcote Corner erst am 100-Meter-Schild zu werfen. Doch muss man dabei sehr vorsichtig sein, denn das Auto ‚schwänzelt‘ dabei ziemlich stark. Beim Durchfahren ist Geduld geboten, man muss das Gaspedal so lange streicheln, bis genug Grip vorhanden ist, um wieder mit mehr Gas das kurze Stück bis zur Schikane zu überbrücken.

Die ist vielleicht mein Lieblingsabschnitt während einer Runde. Da man links im Auto sitzt, kann man die Einfahrt und die Distanz zur Mauer perfekt einsehen und den Wagen regelrecht hineinwerfen. Alles geschieht bei niedriger Geschwindigkeit, doch lädt die offenwinklige Ausfahrt zu herrlichen Drifteinlagen ein. Nicht der schnellste Fahrstil, aber eine Gaudi für die Zuschauer.

Goodwood in diesen 60er-Jahre-GT macht so viel Spaß. Die Strecke ist sehr schnell und nötigt Respekt ab. Doch das Gefühl, eine schnelle Runde hingeknallt zu haben, ist unvergleichlich.“