„Wir fahren unseren Porsche 904 Carrera GTS ein, habt Ihr Lust mitzukommen?“, fragten die Jungs von Boxer Motor & Klassische Automobile in Dotternhausen südwestlich von Stuttgart. Kaum zu betonen, dass wir uns da nicht zweimal bitten ließen. Zumal ich den geduckten 60er-Jahre Sportwagen schon immer für den puristischsten und schönsten aller Porsche gehalten habe.
Das Meisterwerk von Ferdinand Alexander „Butzi“ Porsche ist der erste Porsche mit einer Kunststoffkarosserie, seine Form orientiert sich an den Gesetzen des Windes. Fast zierlich, dazu leicht und effizient, ist das 1963 erschienene Modell die logische Weiterentwicklung der mit dem Glöckler Spyder begründeten und im 718 W-RS gipfelnden Generation der Gitterrohrrahmen-Porsche. Zugleich war er auch der letzte Sportwagen aus Zuffenhausen, der sowohl auf der Straße wie der Rennstrecke bewegt werden konnte. Eine Fähigkeit, die der nachfolgende 906 Carrera 6 nicht mehr aufbieten konnte.
Jetzt stehe ich unter den Dachsparren einer ehemaligen Gießerei und schaue hinab auf „meinen“ Porsche 904. Zumindest für heute. Aus dieser Perspektive sieht er aus wie ein riesiges Stück Seife. Doch selbst aus diesen Höhen ist die starke Präsenz des Autos spürbar. Im Grunde die perfekte Location, um solch einen Wagen zu fotografieren: weiträumig, luftig, kalt und gespenstig leer. Was alles dem 904 zu noch mehr visueller Stärke verhilft – obwohl er es gar nicht nötig hat.
Die Bedeutung des 904 für die folgenden Modelle und die gesamte Motorsportgeschichte von Porsche ist wohl bekannt – selbst für jene, die sich für das Thema nur flüchtig interessieren. Als Idee von Rennbaron und Spin Doktor Huschke von Hanstein, um nach dem enttäuschenden Formel 1-Abenteuer dem Werksrennsport in Zuffenhausen wieder neues Leben einzuflößen, war der Mittelmotor-Sportwagen für Porsche nicht weniger als ein echter Meilenstein.
Der unter Leitung des technischen Direktors Dr. Hans Tomala für die von der FIA neu ausgeschriebene Zweiliter-Klasse entwickelte Prototyp orientierte sich bei Materialauswahl und Produktionsmethoden am Lotus Elite von Colin Chapman. So diente jetzt ein kompakter, gleichwohl aber sehr verwindungssteifer Kastenrahmen aus Stahlblech als Basis, eingekleidet mit einer stromlinienförmigen und ultraleichten Karosse aus Fiberglas, gefertigt bei Heinkel Flugzeugbau in Speyer. Ursprünglich wollte Porsche im 904 den Sechszylinder aus dem neuen 911 einsetzen. Doch gab die hohe Zuverlässigkeit – sowie die hervorragende Ersatzteilversorgung – den Ausschlag zugunsten des bewährten und 155 PS leistenden Viernockenwellen-Vierzylinders („Fuhrmann“-Motor).
Anfangs konnten „Butzi“ Porsche und seine Kollegen aus der Entwicklung nicht ahnen, was für ein Verkaufshit der offiziell 904 Carrera GTS Coupé genannte Wagen werden würde. Die Unsicherheit, ob man die für die Homologation benötigten 100 Exemplare überhaupt verkaufen könne, führte zu einem echten Kampfpreis von 29.700 DM. Doch die Zweifel waren unbegründet: Am 31. März 1964 war die 100 voll, um die hohe Nachfrage zu befriedigen, legte Porsche dann noch mal 20 nach, von denen dann 16 unter die Leute kamen.
Der Carrera GTS war von Anfang an erfolgreich. Noch ehe die Homologation durch die FIA vorlag, errang die amerikanische Straßenrennsport-Legende Briggs Cunningham mit Partner Lake Underwood bei den 12 Stunden von Sebring 1964 einen Klassensieg. Doch das war nur der Anfang, es folgten neben zahllosen weiteren Siegen Erfolge bei der Targa Florio, in Le Mans und Reims und am Nürburgring. Und wie vielseitig der 904 war, zeigte daneben noch der Fast-Sieg der Paarung Böhringer/Wütherich bei der Rallye Monte Carlo von 1965!
Die Strecke hinauf in die malerische schwäbische Hügellandschaft erinnert mich ein wenig an die Seealpen oberhalb von Monaco. „Mein“ Auto ist Chassis 904-010, Baujahr 1964, und begann sein Autoleben als Mitglied einer Serie von Fahrzeugen für die Typprüfung, die im Werk verblieben. Eine Komplettzerlegung mit folgender Rundumrestaurierung durch einen anerkannten deutschen Markenspezialisten in den 1990er-Jahren im Auftrag seines damaligen Besitzers hat zur Folge, dass sich das Fahrzeug bis heute in einem exzellenten Zustand befindet.
Trotz der Teilnahme an vielen prestigeträchtigen historischen Straßenrallyes wie der Tour Auto (zu Fragen nach der Startberechtigung muss sich ein Porsche 904-Besitzer nicht den Kopf zerbrechen) sieht 904-010 noch so proper aus wie an dem Tag vor 56 Jahren, als er das Werk verließ. Von der spartanischen und strikt funktionalen Kabine bis zur Heinkel-Hülle betören alle Details – natürlich originalgetreu – durch ihren Charme.
Ich könnte es mir nicht vorstellen, eine solche Fotoproduktion ohne ein paar dynamische Aufnahmen abzuschließen. Erst in diesen Momenten erwacht das Auto zum Leben und entführt die Bilder in eine komplett andere Dimension. Es wird Sie kaum überraschen, dass es ein fantastisches Erlebnis ist, auf einer kurvigen Bergstraße einen Porsche 904 im Rückspiegel zu haben. Denn er ist so flach und flink, dass er wirkt wie ein aufgeregter, an der Leine geführter Hund. Wie gerne würde ich jetzt auf dem Beifahrersitz hocken. Doch schätze ich mich glücklich, früher schon einmal einen 904 gefahren zu haben. Und die messerscharfe Präzision und dieses Gefühl, eine Einheit mit dem Auto zu sein, ist etwas, das ich nie vergessen werde.
Ich bin erklärter Fan des Fuhrmann-Vierzylinders, kein Zweifel. Doch der in diesem Auto installierte Sechszylinder-Boxer auf 911er-Basis – einer von nur vier in dieser Konfiguration – und dessen aus den Megaphone-artigen Auspuffrohren in die kalte Winterluft dröhnende Sound reichen aus, Gänsehautfeeling zu erzeugen. Wäre ich in der glücklichen Lage, eine stolze Summe Geld in einen historischen Nachkriegs-Sportwagen investieren zu können, stünden der Porsche 904 Carrera GTS und der 906 Carrera 6 ganz oben auf meiner Liste. Beide haben ihren speziellen Charme, Schönheitsfaktor und Sexappeal. Doch bleibt der 904 bis heute das puristischste und sinnlichste Design von allen. Aus diesem Grund parke ich den 904-010 jetzt in der Garage meiner (Auto)träume.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2020