Und wieder ein Tunnel – Jens treibt seinen Lamborghini Countach LP400 S mächtig an. Der Sound ist zugleich ohrenbetäubend und auf wunderbare Weise melodiös. Jeremy Clarkson fand einst Worte für dieses Phänomen: „Pavarotti in einer Gefängnisdusche.“ Oder meinte er damals Tom Jones? Für gewöhnlich werden diese Autos auf dem manikürten Rasen eines Concours d`Elegance ausgestellt oder in klimatisierten Garagen gehalten, wo Temperatur und Luftfeuchtigkeit eingestellt sind wie in einem Kunstmuseum. Dieser Countach aber hat einen Eigner, der ihn tatsächlich fährt. Kompromisslos.
Der Wendekreis des Stiers ist groß und mit den breiten, „klebrigen“ Reifen hat Jens alle Hände voll zu tun, um dieses Biest durch die extrem engen Serpentinen zu manövrieren. Der Countach lässt sich bändigen und wir beißen uns durch diese herausfordernden Passagen des Splügenpass. „Ein Stratos wäre für diese Straßen und Umstände viel geeigneter“, ruft er mir durch das Motorengeheul durch, während wir den Berg hinunter beschleunigen. Man kann sich kaum vorstellen, dass er mit dem Lamborghini die ganzen rund 850 Kilometer von Berlin bis hierher in die Schweiz gefahren ist.
Der Begriff „Garage Queen“ tatsächlich ein Fremdwort bei Flitzer, einem informellen Autoclub aus der deutschen Hauptstadt, der von dem Anästhesisten und passionierten Maserati-Sammler Dirk Rumpff ins Leben gerufen wurde. Seit der ersten sorgfältig komponierten Ausfahrt haben wir die Flitzer bei Touren in ganz Deutschland begleitet – und jetzt verwandelte sich die Schweiz zum Flitzerland. Berits letztes Jahr fand der ersten Stint in Helvetien statt, nun sind sie mit mehr Autos, mehr Fahrer und einem noch anspruchsvolleren Programm zurückgekehrt. Denn hier warten nicht nur einige der großartigsten Fahrerlebnisse der Welt, zum Programm gehören auch verborgene Juwelen der Kunst, Architektur und Design. Die Tour wurde für zwei Routentypen entwickelt und Teilnehmer dürfen wählen, welche Charakteristik ihrem Auto angemessener ist: die vergleichsweise gemächliche „GT“ oder „Forza“ für den Hardcore-Enthusiasten, wobei die letztere mehrfach auf verschlungenen Wegen die Alpen kreuzt und zweimal italienischen Boden berührt. Auch wir lieben eine Grand Tour, aber über Pässe zu röhren statt sie zum umfahren, ist schon die ganz große Liebe.
Ein paar Stunden nachdem wir aus dem Lamborghini geklettert waren, im leichten Regen kurz vor Sonnenuntergang, jagen wir Daniel Hoffmanns BMW M1 talwärts auf dem Julierpass – am Steuer eines Porsche Boxster der ersten Generation von 2002 in der Signalfarbe Speed Yellow, den uns freundlicherweise das Porsche Museum für die Flitzer-Tour überlassen hat. Plötzlich werden wir von einem roten Ferrari Testarossa überholt, der dem Architekten und Dozenten Fabio Don gehört. Die beiden Sportwagenkeile leisten sich ein hart-herzliches Duell, dass wir beeindruckt aus dem Logenplatz unseres kleinen Sportwagens heraus beobachten dürfen.
Unser kleiner Boxster hat keine Mühe, mit ihnen mitzuhalten. Gut, er besitzt im Vergleich zu diesen Keil-Ikonen der achtziger Jahre nicht ganz die Leistung, aber er ist agil und man kann ihn mit höheren Geschwindigkeiten in die Kurven fahren, ohne gleich aufs Bremspedal drücken zu müssen. Wir folgen Fabio und Daniel bis zur Passhöhe des Albula dicht auf den Fersen. Dieser Anblick ist für sich genommen eine Kostbarkeit, denn wo sonst könnte man diese beiden italienischen Legenden bei Katz-und-Maus-Spiel vor den letzten Sonnenstrahlen erleben?
Zwei Maserati Mistral brüllen an uns vorbei. Ihr fulminanter Krach belegt lebhaft, dass noch soviel moderne Auspufftechnologie nie an den Sound alter Schule eines italienischen Saugmotors heranreichen wird. Und schon flitzt Dirks Khamsin vorbei, um diese Feststellung nochmals zu beweisen. Es ist Tag Zwei des Flitzer-Wochenendes. Der Tagesordnungspunkt heute lautet: moderne Kunst. Nach einer Übernachtung im Hotel Castell in Zuoz, wo sich eine beeindruckende Kunstsammlung mit Objekten wie dem von James Turrell entworfenen Turm Skyspace Piz Uter befindet, springen wir hinters Steuer von Lars Christiansens Porsche 968 Club Sport in der markanten schwarz-goldenen TAG Heuer-Livree. In den engen Kurven der Alpenstraßen erlebt man einmal mehr die überlegene Balance der Transaxle-Konfiguration.
Wir steuern das berühmte aber notorisch bevölkerte Stilfser Joch an. Dicht hinter uns folgen Enzo Stegel in einem Ferrari 512 BB, zwei V12-E-Type und ein „Outlaw“ Porsche 356 als. Man erlebt nicht oft einen so eigenwilligen Mix. Aber wer den Duft der Kohlenwasserstoffe liebt und beherztes Fahren, das mit kulturellen Highlights gewürzt wird, für den spielt das Autogenre keine große Rolle. Dann ist man willkommen, um mit den Flitzern zu flitzen.
Inklusion als Rezept scheint zu funktionieren, denn seit dem letzten Jahr ist die Gruppe etwas größer geworden. Dank dieser Willkommenskultur erleben wir in dieser atemberaubenden Alpenkulisse Newcomer wie den MG Midget, einen Maserati Ghibli AM336 aus den neunziger Jahren, einen Jensen Interceptor, mehrere Porsche aus verschiedenen Epochen und ein VW Käfer. Ein Käfer? Aber einer mit einem Okrasa-Rennmotor – keine Chance, wenn Michael Gross ihn durch all Gänge hochtreibt.
Unsere Favoriten? Abgesehen von allen anderen dieser Tour! Vielleicht der schöne Ferrari 412 in Burgunder mit der kompletten Sigrist-Familie inklusive Hund an Bord. Oder als weiteres Pininfarina-Meisterwerk Christof und Christina Dames Peugeot 504 Coupé, ein Besitz, der seit mehr als 30 Jahren gehegt und gepflegt wird. Oder vielleicht ist es der hochdrehende Fulvia, oder doch der elegante Maserati Mexico? Selten war der Ausdruck Qual der Wahl treffender.
Nach einem Besuch des beeindruckenden Muzeum Susch und einem Lunch draußen bei der Fondaziun Nairs, wo uns die dort residierenden Künstler durchführen, dreht sich uns etwas der Kopf. Wir baden geradezu in der Reizüberflutung und steuern den Flüelapass an. Ein letztes schwelgen im Drehmoment und wir kehren zurück nach Hause mit schweren Entzugserscheinungen. Wo führst du uns als nächstes hin, Dirk?
Photos: Błażej Żuławski