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24 Stunden unter Strom: Wir waren mit Porsche in Le Mans

24 Stunden unter Strom: Wir waren mit Porsche in Le Mans

Nach 16 Jahren kehrte Porsche an die Sarthe zurück. Es sollte ein großer Schlag werden – doch leider konnte keiner der beiden 919-Hybrid-Racer das 24-Stunden-Rennen beenden. Warum Le Mans dennoch ein Erfolg für die Stuttgarter war, weiß J. Philip Rathgen zu berichten.

Die Sonne lacht über der Rennstrecke von Le Mans. Nur die Damen und Herren in ihren feuerfesten Anzügen haben betroffene Mienen: Knapp eineinhalb Stunden vor dem Ende des härtesten Langstreckenrennes der Welt ist nun auch der zweite Porsche mit Getriebeproblemen ausgeschieden. Ungefähr zwanzig Minuten zuvor hatte es bereits den Porsche 919 Hybrid mit der Startnummer 20 erwischt. Mit dem Aussscheiden beider Porsche 919 scheint die Mission „Rückkehr nach Le Mans 2014“ verloren. Doch ist das Projekt wirklich gescheitert? Weit gefehlt! Auch wenn Porsche das Auftaktrennen nach sechzehnjähriger Abstinenz in Le Mans nicht mit einem Zieleinlauf abschließen konnte, so waren die beiden Vierzylinder-Hybrid-Racer die Publikumslieblinge - und das eindeutig vor den Konzernkollegen des Audi Motorsport-Teams. Doch zurück zum Start.

Mittelschwere Anspannung

Es ist Samstag, 14 Uhr 22. Nur mit Mühe können die Mechaniker-Teams die futuristisch anmutenen Rennboliden der Langstrecken-Königsklasse LMP1 durch die Menschenmasse in der Boxengasse zur Startaufstellung schieben. Die Anspannung ist groß. Die Nerven aller Teams sind bis zum zerreißen gespannt. Mit schrillen Trillerpfiffen versuschen die Pit-Stewarts den Rennwagen „freie Bahn“ zu verschaffen. Im Marsch der PS-Gladiatoren ziehen auch die beiden Porsche 919 Hybrid in Richtung Start. Auf den beiden LMP1-Porsche-Teams #14 und #20 lastet ein noch höherer Druck als beim Le-Mans-Erfolgsteam Audi und der starken Konkurrenz aus Fernost: Toyota. Denn die Erwartungen sind hoch, man wünscht sich nicht weniger als den 17. Gesamtsieg in Porsches Le-Mans-Geschichte. Für die Mission „Rückkehr nach Le Mans“ haben LMP1-Teamchef Fritz Enzinger und seine Mannschaft seit 2011 hart gearbeitet. Jetzt, kurz vor dem Start, steht dem Rennprofi die Anspannung zwar nicht ins Gesicht geschrieben, doch die Nervosität wird durch das ständige „kneten“ seiner Wasserflasche deutlich. Wie es ihm denn so kurz vor dem Start gehe, fragen wir? Enzinger lächelt: „Mittelschwere Anspannung.“

High Noon um 15 Uhr 

Die „mittelschwere Anspanung“ macht sich mittlerweile auch im 107 köpfigen Porsche-Team breit. In einem guten Qualifizierungsrennen hatten es die beiden Porsche auf die Startplätze 2 und vier geschafft, jeweils hinter den beiden Rennwagen von Toyota und verfolgt von den R1-Audis. Als aus den Lautsprechern der unermüdliche französische Streckensprecher die beiden Porsche nennt, bricht spontaner Jubel unter den rund 250.000 Besuchern aus. Einer der Mechaniker des Porsche-Teams sieht besorgt auf seine Uhr, es sind noch 10 Minuten bis zum Start. Nervös maltertiert er seinen Kaugummi, wie damals auch Steve McQueen im legendären Film „Le Mans“. Der hochkomplexe Vierzylinder-Motor – der kleinste in der LMP1-Klasse – und das Getriebe haben bisher keine 24 Stunden durchgehalten. Doch es bleibt keine Zeit, sich Gedanken zu machen. Die letzten Klänge der Titelmelodie von Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ verstummen und exakt um 15 Uhr wird die Startfahne geschwenkt. Der Countdown läuft und das Porsche-Team legt einen guten Start hin, doch die Platzhirsche von Audi zeigen schon in der Anfangsphase Zähne und greifen an.

Götterdämmerung

Langsam legt sich der Schleier der Nacht über die 13,6 Kilometer lange Le-Mans-Strecke. Es ist diese blaue Stunde, die auch die Zuschauer seit jeher in den Bann zieht. Unermüdlich ziehen die Rennwagen nun seit mehr als sieben Stunden ihre Runden. In der Porsche-Kurve durchschneiden die grellen Scheinwerfer das Dämmerlicht, begleitet von höllischem Zylinder-Dröhnen. Die Rennwagen brausen mit 275 Stundenkilometer in die Rechtskurve ein, um sie keinen Lidschlag später mit einer Geschwindigkeit von 245 km/h wieder zu verlassen. In der Porsche-Box herrscht eine seltsame Stimmung: Vom Schreck kurz nach dem Start – bei Romain Dumas gab es einen Defekt in der Benzinzufuhr – hat man sich mittlerweile wieder erholt. Der Franzose vom Porsche-Team Nummer 14 schaffte es mit Hilfe des E-Motors in die Boxengasse, und das Problem konnte schnell behoben werden. Zufrieden ist man auch mit dem Zwischenstand, denn Timo Bernhard hat mit dem Schwesterauto Nummer 20 kurzzeitig die Führung übernommen.

Die Nacht ist länger 

Es ist drei Uhr nachts und ein eisiger Wind bläst durch das Paddock. In der Porsche-Box ist Ruhe eingekehrt, die nur jede 13. Runde von einem Tankstopp, Reifen- oder Fahrerwechsel unterbrochen wird. Kommt das Signal, funktionieren die maskierten Männer und Frauen wie auf Knopfdruck. Wer eben noch auf einem der Klappstühlen in der Box geschlafen hat, ist jetzt 100 Prozent da. Es wird nicht viel gesprochen, die Telemetriedaten werden ausgewertet und über den Team-Funk werden die Fahrer über das Renngeschehen informiert. Beide Porsche liegen sehr gut im Rennen, bis auf kleinere Probleme laufen die 919er sehr zuverlässig. Jede Minute, jeder Kilometer, jede Runde lassen die Chancen steigen, die 24 Stunden erfolgreich zu beenden. Doch jetzt, nach der Halbzeit, scheint die digitale Countdownanzeige viel langsamer herunterzuzählen, als noch in der ersten Hälfte.

Der Schreck am Vormittag

Die Porsche-Teams können ihren guten Lauf aus der Nacht auch am Morgen fortsetzen, allerdings liegt Audi nun in Führung. Hier zeigt sich die Erfahrung des zwölffachen Le-Mans-Siegers. Doch dann der Schreck: Knapp zwei Stunden vor dem Zeileinlauf fällt der an 3. Position liegende Porsche Nummer 20 mit Mark Webber am Steuer aus. Der Australier schafft es noch aus eigener Kraft in die Box, doch schnell ist klar: Er wird nicht weiter am Renngeschehen teilnehmen. Die Stimmung ist auf einmal wieder angespannt im Porschelager. Einige Mechaniker wollen sich mit dem Ausfall nicht zufrieden geben, probieren alles, den Wagen wieder in Gang zu bekommen – ohne Erfolg. Jetzt liegen alle Hoffnungen auf dem Team Nummer 14. Marc Lieb liegt auf Platz 7 und dreht weiter seinen Runde. In der Porsche-Box sitzt jetzt keiner mehr, alle stehen, auch die anderen Piloten verfolgen gebannt die Bildschirme und Rundenzeiten. Doch dann geschieht das, was sich keiner im Porsche-Team gewünscht hat: Auch Wagen Nummer 14 muss nur eineinhalb Stunden vor dem Ende des Rennens in die Box. Fieberhaft wird der Fehler gesucht, der Wagen wird nicht aus dem Rennen genommen. Doch mit jeder Minute in der Box verliert das Team wertvolle Plätze. Nach 25 Minuten steht fest: Auch für die Nummer 14 ist das Rennen vorbei.

Die Enttäuschung ist gewaltig. Doch Porsche hat bewiesen, dass der 919 auch auf langen Strecken vorne mitfahren kann - auch über eine längere Distanz. Und ist es nicht gerade diese Mischung aus Drama und Freude, die den Mythos Le Mans weiterleben lässt? Wir haben das Aus in letzter Minute deshalb als „Cliffhanger“ verstanden – und freuen uns auf ein noch spannenderes Rennen im kommenden Jahr.