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Die Wellen brechen mit Gianni Agnellis spektakulärem Speedboot G. Cinquanta

Die Wellen brechen mit Gianni Agnellis spektakulärem Speedboot G. Cinquanta

1968 nahm Italiens Industriemagnat, Stilikone und Frauenschwarm Gianni Agnelli die G. Cinquanta entgegen; ein vom renommierten Bootsbauer „Sonny“ Levi entworfenes und auch gebautes Speedboot von betörender Schönheit. Ehe es RM Sotheby’s versteigert, sprang Rémi Dargegen an Bord und stach in See...

Der Bordmechaniker feuert die vier BPM V8 Vulcano Motoren an. Das kakophonische Grollen, das nun in dieser belebten Ecke des weitläufigen Hafens von Neapel ausbricht, erinnert mich an den Start der RAC TT Celebration beim Goodwood Revival. Wenn ein gefühlt endloser Strom donnernder AC Cobras vom Fahrerlager in die Startaufstellung fährt.  

„G. Cinquanta“. RM Sotheby’s ließ mir im Vorfeld nur den Namen der Yacht und ein wenig Material aus ihrer Geschichte zukommen. Dass sie 1967 von Renato „Sonny“ Levi für den schillernden Fiat Patriarchen Gianni Agnelli designt und auch gebaut wurde – doch eine Google Suche ergab nur eine Handvoll kleiner, grobkörniger Fotos und nahezu keine Informationen. 

Jedenfalls hatte ich nicht erwartet, dass mir beim ersten Anblick des in den Hafen transportierten und dann vorsichtig zu Wasser gelassenen 11,3-Meter-Cruisers die Spucke wegblieb. Einfach nicht zu glauben, dass dieses Boot über 50 Jahre sein soll. So unglaublich stilsicher und ästhetisch führte sein Designer jedes Detail aus – von den elliptischen Lattenrosten aus Mahagoni an den Seitenflanken des Rumpfes bis zu der feinen Leiste aus Teak, welche kragenförmig den Kabinenbereich umfasst. 

Levi wurde 1926 in Karatschi (Pakistan) geboren, wohin er mit seiner Familie wegen des Faschismus in Italien geflohen war. Erste Lektionen zum Design von Booten erhielt er von seinem Onkel, der in Bombay Boote baute. Levi zog 1944 nach England, wo er als Spitfire-Pilot für die RAF im Einsatz war. In den Nachkriegsjahren siedelte er nach Italien um und gründete 1960 in Anzio südlich von Rom seine eigene Werft. Bald war Levi die angesagte Adresse für wohlsituierte Playboys, die ihre maritimen Nachbarn mit schönen, schnellen und innovativen Yachten, die ihrer Zeit wirklich vorauseilten, beeindrucken wollten. Seine „Delta“-Rümpfe, eine Evolution der bahnbrechenden Deep-V-Rümpfe von Raymond Hunt aus den späten 50er-Jahren, waren ganz besonders nachgefragt. 

Unvermeidlich, dass Levi bald auch die Aufmerksamkeit des führenden Industriellen des Landes, Gianni Agnelli, erweckte. Ein charismatischer Playboy, gleichermaßen bekannt für seine Liebe zum Segeln, seinen exquisiten Modestil, die Wertschätzung der feinen Künste und den lockeren Umgang mit Frauen. Als Kulmination seines großen Wissens, das Levi durch den Bau von High Performance-Offshore-Rennbooten (darunter zwei für den L’Avvocato) angesammelt hatte, war die im Vergleich dazu luxuriöse G. Cinquanta seine bis dahin feinste Kreation.  

G. Cinquanta wurde von Grund auf als „schnelles „Pendlerboot“ für Agnelli konstruiert  - mit einer den Puls stark beschleunigenden Leistung und der schlanken Optik eines Rennbootes, aber gepaart mit einem Plus an Komfort und Sicherheit sowie Allwettertauglichkeit. Ein Spaß-Shuttle, mit dem man mal eben schnell vom Cap d’Antibes nach St. Tropez oder San Remo zum Lunch düsen konnte. Die vier Achtliter-V8 Vulcanos von BPM leisteten jeder für sich 320 PS und waren in zwei getrennten, komplett gekapselten sowie vor und hinter dem Zentralcockpit liegenden Motorräumen untergebracht. Für das Design des Cockpits kontaktierte Agnelli seinen alten Kumpel Sergio Pininfarina. 

Die Kraftübertragung übernahmen vier unabhängige Sätze Wellen und Schiffsschrauben, wobei schon mit nur zwei der vier Motoren eine komfortable und sichere Reisegeschwindigkeit von 25 Knoten erreicht wurde. Schob der Pilot die beiden restlichen Schubhebel nach vorn, beschleunigte die Yacht auf 50 Knoten. 

Ich bin an Bord, als wir auf das offene Wasser hinaussteuern. Was mich fasziniert, ist die Tatsache, wie sehr die G. Cinquanta einem Sportwagen ähnelt. Sie beschleunigt wie eine verbrühte Katze, und auch die Verzögerung ist kaum weniger beeindruckend. Durch den Einsatz von Holz und Epoxidharz folgte Levi Colin Chapmans Mantra „Light is right“ – und es zeigt Wirkung. Ich habe keine Ahnung, wie schnell wir über die Wellen springen, doch halt ich mich nur krampfhaft irgendwo fest und fange an, unkontrolliert zu lachen. 

Vom Begleitboot, in das ich nun umgestiegen bin, sieht die G. Cinquanta – genauso wie ihr ursprünglicher Besitzer – sportlich UND elegant aus. Mitzuerleben, wie diese wunderschöne Yacht mit Speed über das offene Wasser gefahren wird - untermalt vom staccato-artigen Soundtrack der 1.280 PS - und wie sie mit beeindruckender Wendigkeit ihrer Länge trotzt, ist ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde.

Neben der G. Cinquanta erreichten dem 2016 mit 90 Jahren verstorbenen Levi Aufträge von weiteren Promis für ähnliche Delta-Boote – die offenbar nicht sehr amused waren, wenn der L’Avvocato in seinem spektakulären Cruiser an ihren Ankerplätzen vorbeirauschte. Unter den Kunden waren Karim Aga Khan, Roberto Olivetti und Graf Mario Agusta - allesamt anspruchsvolle und beneidenswert stilvolle Playboys, aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Agnelli. 

„Es ist die wohl beste Möglichkeit, einem Offshore-Rennen zu folgen und sogar noch vor dem Gewinner anzukommen“, beschrieb einmal bewundernd ein Fachjournalist den unnachahmlichen Reiz der G. Cinquanta. Agnelli schien auch sehr viel Spaß an seinem Schmuckstück gehabt zu haben, denn allein im ersten Jahr legte er über 2000 Meilen auf dem Wasser damit zurück. Wir kommen nicht umhin, uns auszumalen, wie er – wie immer mit freiem Oberköper und Zigarette zwischen den Lippen – am hinteren Ruder steht und den langen, spitzen Schiffsbogen mühelos die Côte d’Azur entlangsteuert. Mit einer Geschwindigkeit, die sich der Nonchalance des Bildes widersetzte. 

Ein enger Freund und Verwandter Agnellis war so beeindruckt von der G. Cinquanta, dass er um ein Haar „Sonny“ Levi um den Bau eines identischen Schwesterschiffes bat. Doch stattdessen entschied er sich für die Restaurierung der Vorkriegs-America’s-Cup J-Klasse Segelyacht Astra – kein unbedeutendes Unternehmen für einen Mann in seinen Zwanzigern. Aufmerksam geworden auf die Passion seines jüngeren Verwandten und dessen Willen, die weltweit schönsten Boote zu erhalten, schenkte ihm Agnelli 1975 die G. Cinquanta. Und seitdem blieb sie immer im selben Besitz, ohne Rücksicht auf die Kosten gepflegt und noch immer im absoluten Originalzustand. 

Nun hat RM Sotheby’s das Privileg, einen neuen Besitzer und Behüter der G. Cinquanta zu finden. Der sie genauso hegt, pflegt und genießt wie sein Vorgänger. Die mit neuen BPM Motoren ausgestattete Yacht wird zusammen mit einer Schatztruhe voller Dokumente im Rahmen der Online Only: Open Roads, The European Summer Auction, versteigert. Die heute öffnet und am 21. Juli schließt.  

Es besteht kein Zweifel, dass Renato „Sonny“ Levi ein exakt auf den Stil und den Status von Gianni Agnelli – damals so etwas wie der inoffizielle König von Italien – zugeschnittenes Boot gebaut hat. Der neue Besitzer tritt in große Segler-Fußstapfen, doch muss jemand die Steuerhebel dieser tief in der Geschichte verwurzelten Yacht übernehmen. Er muss auch kein Konzernlenker oder moderner Playboy sein – Hauptsache, der neue Mann am Ruder weiß, dass er den Neid des ganzen Hafens erweckt, wenn er in Mallorca oder Marina del Rey vor Anker geht. 

Fotos: Rémi Dargegen für RM Sotheby’s © 2020 

Die Ex-Gianni Agnelli 1968 Sonny Levi G. Cinquanta G50 Yacht wird von RM Sotheby’s auf der Online Only: Open Roads, The European Summer Auction, versteigert. Gebote werden ab heute und noch bis zum 21. Juli entgegengenommen. Sie finden den gesamten Katalog gleich hier auf Classic Driver gelistet.