Denn im Gegensatz zu heute war Bertone Mitte der 1950er Jahre noch vermögend. Zu der Zeit expandierten die Touriner gerade und erhielten Aufträge von großen Herstellern. Für Alfa Romeo etwa bekleideten Firmengründer Nuccio und der führende Designer Franco Scaglione Modelle wie die Giulietta Sprint – ein Auto, das deutlich die Erwartungen übertraf und Bertone auf Augenhöhe mit Pininfarina katapultierte.
Ein Showcar für die Straße
Als Antwort auf Zagato und den Alfa Romeo SZ auf Giulietta-Basis arbeitete Bertone an einer ganz eigenen Interpretation der Alfa-Karosserie. Der Sprint Speciale war zunächst als Rennwagen konzipiert und nutzte die aerodynamischen Erkenntnisse der spektakulären Bertone-Konzeptstudien B.A.T. sowie der berühmten „Disco Volante“ von Touring. Der „SS“ war so windschnittig wie schön und doch stand die schwere Stahlkarosserie hinter der Aluminium-Kreation von Zagato zurück. Zumindest aber machte es diese Bauart möglich, einen 190 km/h schnellen Straßensportwagen in limitierter Serie zu konstruieren.
Die kompakten Abmessungen des SS und die „herausfordernde“ Türkonzeption machten es dem Fahrer nicht gerade leicht, die ideale Sitzposition zu finden.
Vom Rennwagen zum GT
Als die 1,6-Liter-Giulia im Jahr 1962 durch die Giulietta mit ihrem 1,3-Liter-Motor ersetzt wurde, erhielt auch der Sprint Speciale das neue Aggregat. Neben dem höheren Drehmoment profitierte die Alfa Giulia SS von einem größeren Benzintank und einer besseren Isolierung – aus dem ehemaligen Rennwagen-Projekt war ein vollwertiger Gran Turismo geworden!
Der erste Baby-GT?
Die GT-Sportwagen der frühen 1960er Jahre waren beileibe nicht so gewaltige Gleiter, wie sie es heute sind. Die kompakten Abmessungen des SS und die „herausfordernde“ Türkonzeption machten es dem Fahrer nicht gerade leicht, die ideale Sitzposition zu finden. Hatte man sich hinter dem Steuer jedoch erst einmal zurecht gerückt, nahm man ganz automatisch die typisch italienische Sitzposition dieser Ära ein: Das Gesäß tief im Sitz, die Knie hoch angewinkelt neben dem Volant, den linken Ellenbogen aus dem Fenster gereckt. Und war der Vierzylinder erst einmal erwacht, erfüllte der satte Klang der Weber-Vergaser das gesamte Cockpit – Isolierung hin oder her. Bei der Fahrt stellte sich das im Vergleich zur Giulietta ordentliche Drehmoment und die großzügige Getriebeübersetzung als Vorteil heraus: Die Giulia SS war komfortabel zu fahren und stand doch für südländische Freude am Fahren.
In den letzten Jahren haben mehr und mehr Sammler den Wert der Giulia Sprint Speciale erkannt, was sich in steigenden Preisen äußerte. Die Herausforderung liegt darin, ein gepflegtes Exemplar zu finden: Denn obwohl diese speziell designten Alfas eine hochwertigere Verarbeitung genossen als die Standardversionen, gab es eine Zeit, in der sie so günstig zu haben waren, das sich kaum jemand um ihren Zustand scherte. Nun, da die Giulia Sprint Speciale auf dem Klassikermarkt wieder auflebt, hoffen wir, dass die Firma, die diesen Alfa einst bekleidete, die gleiche Chance erhält.
Fotos: Joe Breeze