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50 Jahre Lamborghini Countach – der Supersportwagen, der vom Himmel fiel

50 Jahre Lamborghini Countach – der Supersportwagen, der vom Himmel fiel

Vor 50 Jahren landete ein keilförmiges Raumschiff namens Lamborghini Countach auf dem Planeten Erde – und veränderte die Autokultur für immer. Zur Feier des Jubiläums hatten wir die Chance, alle vier Generationen des italienischen Donnerkeils im Piemont zu fahren…

Würde man jemanden bitten, einen Supersportwagen zu zeichnen, dürfte vermutlich der großen Mehrheit der Lamborghini Countach in den Sinn kommen. Zwar gebührt das Prädikat „erster Supersportwagen” fraglos dem älteren Bruder Miura, doch war der keilförmige V12 aus der Feder von Marcello Gandini bei seinem Debüt das ultimative Aushängeschild des Genres. Zur Feier des 50. Jahrestags der Enthüllung des LP500 Prototyps auf dem Genfer Salon von 1971 reisten wir für ein Rendezvous mit je einem Countach aus vier Generation in die piemontesischen Regionen Langhe und Barolo. Im Einzelnen warteten dort: ein 1976er Countach LP400 Periscopio in Marrone Metallizzato, ein roter 1979er Countach LP400 S, ein 1984er Countach 5000 S in Acapulco Blau und ein schwarzer Countach 25th Anniversary Edition Baujahr 1990. 

Nach einem Fotoshooting auf schönen norditalienischen Straßen setzte sich unser Mann Rémi Dargegen mit Francesco Stevanin, Heritage Commercial Manager für Lamborghini Polo Storico, zusammen. Als öffentliches Gesicht der auf die Restaurierung und Instandhaltung von Klassikern der Marke spezialisierten Abteilung könnten wir uns keinen besseren Experten vorstellen, um darüber zu diskutieren, was den Countach vom Rest des Segments abhebt.  

Am besten fangen wir mit dem fraglos kontroversen Namen des LP500 an. Während die meisten Autoliebhaber schnell mit der Erklärung zur Hand sind, „Countach” – im lokalen piemontesischen Dialekt ‘Coon-tac’ ausgesprochen – sei ein italienisches Schimpfwort, so liegt die Wahrheit etwas anders. „Es gibt zwei unterschiedliche Darstellungen darüber, woher der Name stammt, eine stammt von Designer Gandini, die andere von einem seiner Ingenieure, Paolo Stanzani. „Gandini erinnert sich an einen Besuch der Fabrik am späten Abend und wie er einen Mitarbeiter traf, der bei der Arbeit an einem Auto immer wieder „contacc“ wiederholte.” Francesco bestätigt, dass in diesem Fall das Wort eine leicht vulgäre Bedeutung hat, auf jeden Fall soll es einen Überraschungseffekt bewirken. 

„Die zweite Deutung kommt von Stanzani und bezieht sich auf lokale Bauern, die beim ersten Anblick des LP500 Prototypen ‘Countach!’ ausgerufen hätten – um damit ihren Unglauben an etwas, das jenseits ihrer Vorstellungskraft lag, auszudrücken. Es fällt leicht, der zweiten Interpretation zu glauben. Für einen italienischen Landmann in den frühen 70ern muss der außerirdische LP500 einen Grad von Ungläubigkeit hervorgerufen haben, der nur noch von einem durch die Atmosphäre schießenden UFO zu toppen gewesen wäre.

Noch heute ist das Prototypendesign des LP500 kaum weniger beeindruckend und als allererste von vielen Iterationen des Countach der puristischste Ausdruck von Gandinis Ur-Entwurf. Zum Zeitpunkt seiner Enthüllung bedeutete der LP500 für das Verständnis, was einen Sportwagen ausmacht, einem Paradigmenwechsel „Versuchen Sie sich daran zu erinnern, was Lamborghini in dieser Zeit war - ein sehr kleines Unternehmen mit einem visionären Gründer und wenigen, aber hochtalentierten Menschen, die alle danach strebten, das Auto neu zu erfinden und etwas zu schaffen, das es so noch nicht gab“, sagt Francesco. „In diesem Zusammenhang war der Lamborghini Countach nicht nur ein großartiges Design für ein Auto aus dieser Zeit, sondern mit seiner Silhouette und den Scherentüren ein Höhepunkt des Designs der 1970er Jahre im Allgemeinen. Es gab kein anderes Objekt mit ähnlichen Formen und Proportionen. “ 

Abgesehen von der außerirdischen Optik, die Marcello Gandini bei Bertone entworfen und kunstvoll in Aluminium-Karosseriebleche gehämmert hatte, haben die frühen Modelle des Countach so viel wie möglich von der damals führenden Renntechnologie übernommen: das Spaceframe-Chassis, die Uniball-Aufhängungen und das von Paolo Stanzani entwickelte Mittelmotor-Layout wären in jedem reinrassigen Rennwagen von damals perfekt zu Hause gewesen - obwohl Ferruccio Lamborghini nie wollte, dass seine Autos auf Rennstrecken fahren. 

Die Installation des Getriebes zwischen den Sitzen stellte eine wichtige Neuerung für Lamborghini dar, und Francesco scherzt, dass es in einem Countach Platz für drei Insassen gäbe: „den Fahrer, den Beifahrer und das Getriebe!" Nachfolgende Generationen verfeinerten die ästhetische Extremität und verbesserten gleichzeitig den Komfort, wodurch ein interner Überbietungswettbewerb begann, der bis heute bei Lamborghini anhält. Laut Francesco sind es jedoch die frühen LP400-Serienmodelle, die hinter dem Lenkrad den größten Respekt erfordern: „Mit ihren schmalen Rädern und ihrer niedrigen Karosserie erfordern die frühen Autos vom Fahrer ein hohes Maß an Konzentration, um einen sehr eleganten Crash zu vermeiden. ” 

Es gibt viele Ansichten darüber, welcher Countach der Großartigste ist, der wahre Deal. Für Francesco, der nicht nur Ingenieur, sondern auch selbsternannter Petrol Head und Classic Car-Enthusiast ist, gibt es zwei Modelle, die herausragen: „Die erste Serie verkörpert die ursprüngliche Idee immer am ehrlichsten und war der Ausgangspunkt für alle folgenden Generationen samt deren eigenen Charakterzügen – aber mein persönlicher Favorit ist der LP500 S. Mit seiner Kombination aus Frontsplitter, stark ausgestellten Radkästen und dem extravaganten Heckflügel schafft er das ideale Gleichgewicht der Elemente aus den verschiedenen Generationen.“ Zugegeben, hier schwingt ein wenig Voreingenommenheit mit, zierte doch Francescos Schlafzimmerwand wie bei vielen Kindern der 70er Jahre ein LP500 S-Poster.

So futuristisch und zukunftsorientiert das Design des Countach auch heute noch sein mag, ein halbes Jahrhundert nach seiner Enthüllung ist die Erhaltung und Restaurierung dieser Automobilikonen ein heikles Thema. Francesco erklärt, dass die von Lamborghini für den Countach entwickelte innovative Materialkombination heute zu einem zweischneidigen Schwert geworden ist. „Bei den meisten Countach-Modellen wurde das Stahl-Space-Frame-Chassis des Fahrzeugs mit Glasfaser umwickelt, um den Boden und die Karosserie auszubilden. Dies behindert jedoch den Luftstrom und verbirgt den Rost, der sich darunter ansammeln kann. Daher sind gründliche Korrosionsprüfungen erforderlich. Daher empfehle ich jedem potenziellen Countach-Käufer, die Geschichte des Autos gründlich zu überprüfen, ob es zärtlich gepflegt wurde oder nicht, und auf übermäßige Vibrationen der Uniball-Federung zu achten, ein verräterisches Zeichen für einen früheren Unfall.“

Nachdem er in den Werkstätten des Lamborghini Polo Storico viele Autos restauriert hat, möchten wir wissen, ob es einen Countach gibt, der sich für Francesco besonders auszeichnet. „Ich hatte das Glück, an der frühen Phase der Konservierungsrestaurierung des allerersten Serien-Countach beteiligt gewesen zu sein. Er wurde für den Genfer Salon von 1973 rot lackiert, dann als Entwicklungsauto verwendet -und schließlich für den Pariser Salon im Herbst grün lackiert.“ Lamborghini hat das Auto 2003 zurückgekauft und gründlich restauriert.

 „Bei der Demontage zur Restaurierung haben wir einige überraschende Entdeckungen gemacht. Als wir das Lederarmaturenbrett und die Teppiche zurückzogen, fanden wir nicht die erwartete Glasfaserkonstruktion, sondern einzigartige handgeschlagene Aluminiumplatten, die das Chassis 001 zu einem der speziellsten Kreationen machen, die jemals aus dem Werk Sant‘Agata herausrollten. Zur Feier des 50-jährigen Jubiläums des Countach werden wir dieses Modell im August beim Pebble Beach Concours zeigen.“

Zum Abschluss des Gesprächs bemerkt Francesco, dass er hofft, dass auch noch in 50 Jahren seine Nichte und sein Neffe Gandinis Schöpfung ehren und mit der gleichen Kombination aus Aufregung und Unglauben wie der berühmte piemontesische Bauer bei seinem Anblick „Countach!" ausrufen werden. Es gibt eine Faustregel, dass jedes gute Autodesign mit drei einfachen Linien gezeichnet werden kann. Die Tatsache, dass die Form des Countach mit nur einem Strich sofort erkennbar ist, ist ein gutes Indiz dafür, dass Francescos Traum in Erfüllung gehen könnte. 

Fotos: Rémi Dargegen © 2021

Im Classic Driver Markt steht eine kleine aber feine Auswahl von Lamborhini Countach zum Verkauf