Es ist fast bis auf den Tag nun drei Jahre her, dass der frühere RM Sotheby Frontman und einer der weltweiten Koryphäen der Klassikerwelt, Max Girardo, einen galerie-artigen Verkaufsraum in Fulham (Südwest-London) eröffnete. Seitdem hat er zusammen mit seinem Team 200 der schönsten (und zumeist italienischen) Blue-chip Sammlerautos verkauft. Die Palette reicht von Vorkriegs-Alfa Romeo und Nachkrieg-Ferrari GT bis zu Rallyeboliden von Lancia – alles Modelle, für die sich Girardo bekanntermaßen besonders begeistert. Martinis im Duke’s Hotel mit Henri Toivonens 037, jemand?
Doch heute sind wir nicht in London. Ein wunderschön restaurierter VW Samba hat uns am Bahnhof von Bergamo abgeholt und shuttelt uns direkt zum zweiten Showroom von Girardo & Co, wo wir neben Girardo auch Daniele Turrisi treffen – der Mann, der als Leiter der neuen Dependance fungiert. Gäbe es eine Gruppe von Autos, die das so breitgefächerte Geschäftsfeld von Girardo & Co. perfekt abbildet, dann steht es nun vor uns. Aufgestellt in einem großzügigen, hellen und sehr italienisch gestylten Gebäude in den Außenbezirken von Bergamo. Und nur einen Steinwurf entfernt von Mailand, Brescia oder Como, um nur einige der benachbarten automobilen Hotspots zu nennen.
In der Mitte des Raumes posiert stolz ein leuchtend roter Maserati 200 Si, auf allen Seiten umringt von automobilen Großkalibern. Ein silberner Bugatti EB110 Super Sport (es ist der letzte gebaute) wird zur Linken von einem Mercedes-Benz 300SL Roadster und einem Porsche 356 Speedster flankiert; zur Rechten stehen drei Lancia Rallye-Ikonen: Stratos, 037 und Delta Integrale. Eine wahrlich hochkarätige Abordnung, die ein starkes Signal für die ehrgeizigen Ziele des neuen italienischen Arms von Girardo aussendet.
Okay, aber warum Italien? Liegt das nicht auf der Hand? „Wir machen sehr viele Geschäfte in Italien, sei es Ankauf, Verkauf, Restaurierungen oder einfach nur das Bewegen und Lagern von Autos”, erklärt der ewig begeisterungsfähige Girardo, während wir in seinem den Verkaufsraum überblickenden Büro Platz nehmen. „Das ist kein Zufall – schließlich bin ich Italiener, die meisten Autos, mit denen wir handeln, wurden in Italien gebaut und die Mehrheit der Spezialisten, mit denen wir zusammenarbeiten – seien es die Baldi Zwillinge oder Cremonini Carrozzeria – sind auch von hier. In vielerlei Hinsicht handelt es sich um einen unterschätzten automobilen Brennpunkt – es gibt hier so viel Wissen, Erfahrung und Passion, und auch die Anzahl an Klassik-Events spricht für diesen Standort.”
Girardos frühere Erfahrungen aus der Auktionswelt – nicht zuletzt die zehn Jahre an der Spitze der Europa-Abteilung von RM Sotheby’s – verschafften ihm fast automatisch persönliche und weltweite Kontakte zu zahlreichen Sammlern, Enthusiasten und Spezialisten. Und es ergab sich halt, dass recht viele von ihnen in Italien sitzen….
„London ist ein fantastischer Platz, weil leicht erreichbar und ein Hub für den weltweiten Reise- und Geschäftsverkehr. Die simple Idee für den zweiten Showroom lag darin, durch die Errichtung der entsprechenden Infrastruktur unsere Reichweite zu erweitern”, so Girardo. „Verstehen Sie mich nicht falsch, das Ziel ist es nicht, zu einer riesigen Maschine zu werden. Wir waren vor drei Jahren eine kleine Boutique und wir sind noch immer vergleichsweise klein. Neben uns vier in London soll der kleinere Betrieb in Bergamo dabei helfen, mit viel mehr Menschen als bislang persönlich in Kontakt zu kommen. Denn wir differenzieren uns vor allem durch einen persönlichen Service. Das sollte uns zu einem großen Wettbewerbsvorteil gereichen, denn ehrlich gesagt sehen wir keinen, der auf einem vergleichbar hohen Niveau operiert.”
Die Wahl von Daniele Turrisi zum Chef des neuen Zweigbetriebs war auch kein Zufall. Er war zuvor als eine Art Einmann-Band unter eigenem Namen tätig, kennt Girardo aber schon seit über 25 Jahren. „Ich traf Daniele zum ersten Mal während meiner Zeit bei Brooks, was später zu Bonhams wurde”, blickt Girardo zurück. „Ich fuhr nach Bergamo, um einen Alfa Romeo GTA zu übergeben, und er nahm mich in einem Citroën Méhari mit zum Lunch. Als ich ausstieg, zerriss ich mir die Hose – und seitdem sind wir Freunde! Wir hielten immer Kontakt und haben zusammen viele Geschäfte abgewickelt.”
Nachdem er sich erste Sporen im familieneigenen Karosseriebetrieb verdient hatte, restaurierte Turrisi im Alter von 17 Jahren und ganz alleine sein erstes Auto. Schon bald bereiste er die Welt, um Autos für die Kunden seines Vaters zu inspizieren – eine Kompetenz, die Max Girardo nicht genug zu betonen weiß: „Ich freue mich sehr, zum Team zu stoßen und Girardo & Co. in Italien aufzubauen”, sagt Turrisi mit unverhohlener Begeisterung. „Nachdem ich so lange für mich allein tätig war, kann ich es kaum erwarten, ein spezielle Truppe zu formen und mit den Jungs tolle Ideen zu entwickeln. Wir werden das Geschäft rocken!”
Der Showroom wird offiziell mit einer Party am nächsten Dienstagabend eröffnet – einen Tag vor dem Start zur Mille Miglia. Und uns wurde versichert, dass aus diesem Anlass einige ganz besondere Fahrzeuge aufgefahren werden – also bleiben Sie am Ball! Doch ehe die Prosecco-Knorken knallen und die Gäste hereinströmen, wollen wir von Girardo wissen, wie es sich anfühlt, schon so früh nach Unternehmensgründung diese Expansion vorzunehmen.„Es sackte heute Morgen, als ich mit meinem Leih-Fiat 500 hier hinfuhr, so langsam ins Bewusstsein”, antwortet er. „Ich konnte es noch kaum glauben, dass wir einen echten Showroom mit unserem Namen über der Tür hier in Italien stehen haben. Dahinter steckt so viel mehr, als jemand Beliebigen für die Leitung anzuheuern – mit Daniele an Bord schwingen viele Emotionen mit.”
„Ich denke zurück an die Tage, in denen wir in unseren Londoner Showroom einzogen. Wir füllten ihn sehr schnell mit Autos, doch war er sonst noch sehr nackt – es gab zum Beispiel keine Bilder an den Wänden. Und wenn ich jetzt auf diesen Showroom schaue, mit all diesen unfassbaren Autos, habe ich genau das gleiche Gefühl. Im Grunde geht es zurück an den Anfang, und Anfänge machen immer Spaß. Wir haben das nötige Wissen und müssen nun nur noch da rausgehen und einige großartige Autos verkaufen!”
Während wir zurück in den Samba-Bus hüpfen, der uns wieder zurück zum Bahnhof bringen wird, müssen wir doch noch eine letzte Frage an Girardo loswerden: Welches der rund 200 Autos, die er unter dem Girardo & Co-Banner verkauft hat, würde er am liebsten wieder zurückkaufen? „Vielleicht den Ex-Werks Maserati 300S, – ich habe ihn zu schnell abgestoßen und dazu auch noch zu günstig. Erst jetzt wird mir bewusst, was für ein überragendes Auto er war.”
Fotos: Andrea Klainguti für Classic Driver © 2019