30 Jahre nach der Ausstellung Hommage à Ferrari rückt die Pariser Fondation Cartier pour l’art contemporain mit der wunderbaren Fotoausstellung Autophoto das Automobil in all seinen Facetten und durch alle Epochen wieder in den Mittelpunkt.
Die erste ihrer Art
Die ersten Ideen für Autophoto kamen den Co-Kuratoren Philippe Séclier und Xavier Barral vor rund fünf Jahren. Zum ersten Mal seit der Erfindung des Automobils und der Fotografie wird das Verhältnis der beiden auf solch umfassende Weise beleuchtet. „Wir sind sehr stolz darauf, diese Ausstellung rund 200 Jahre nach den Anfängen der beiden kulturellen Phänomene zu zeigen“, sagt Séclier. „Zumal Frankeich zur Entwicklung der Fotografie wie der ersten Verbrennungsmotoren und Autos sehr viel beigetragen hat.“ Das Duo stand vor der nicht gerade beneidenswerten Aufgabe, einen Fundus aus rund 10.000 Motiven auf 500 herunter zu brechen. Aufgenommen wurden sie von über 90 bekannten und weniger bekannten Fotografen, für die das Auto und seine vielen Nebenwirkungen eine „Obsession“ waren.
Vier Themenbereiche
Die über zwei Etagen der Fondation Cartier ausgerollte Ausstellung schickt den Betrachter unmittelbar auf eine mitreißende und in vier Themengebiete unterteilte Reise. Jede ist thematisch wunderschön zusammengestellt, beginnend mit „First Visions“, in der die Anfänge des Automobils und seine Einflüsse auf die Gesellschaft mit Bildern der deutsch-niederländischen Fotografin Germaine Krull (1897-1985) oder des französischen Fotografen ungarischer Herkunft Brassaï (1899-1984) untersucht werden. Daran schließt sich die Sektion „Auto Portraits“ an, welche die Rolle des Autos als soziales Statussymbol und Erweiterung des Selbst erforscht. „The Car as a Medium“ zeigt, wie es fundamental unsere Landschaften veränderte und „Our Car Culture“ schließlich ordnet das Auto in den Kontext der Geschichte, der Industrialisierung und unserer Zukunft vor dem Objektiv ein.
Ein vielfältiges Phänomen
„Das Auto hat die kulturelle Landschaft verändert und jeder Fotograf musste sich seit seiner Erfindung dem Wandel anpassen“, erklärt Séclier. Und nennt als drastische Beispiele von Straßen durchzogene Landschaften, die damit verbundene Infrastruktur und im Verkehr fast erstickende Städte. Es genügt ein Blick auf eine der von Ed Ruscha (79) stammenden Luftaufnahmen von riesigen Parkplätzen im Los Angeles der 60er-Jahre, um zu verstehen, was Séclier meint. „Darüber hinaus setzte sich auch die Auffassung durch, dass auch Autos einen Charakter haben und mehr sind als nur ein Transportmittel.“ Die Ausstellung zeigt sehr eindrucksvoll, dass das Autos auch eine Erweiterung des eigenen Körpers sein kann, mit einem schlagenden Herzen und einem stabilen Skelett. Ein soziales Symbol, ein Schritt ins Erwachsenenalter und sogar ein Haus. „Fotografie hat immer auch etwas von Voyeurismus“, weiß Séclier. „Daher sehen wir auf vielen Bildern, wie Menschen buchstäblich in ihren Autos wohnen.“
Schlaflos in New York City
Man sollte schon etwas Zeit mitbringen für Autophoto – denn die über 500 Bilder sind in spannenden Serien zusammengehängt. Wir hatten viele Favoriten, darunter jene berühmten Bilder von Langdon Clay, der zwischen 1974 und 1976 in New York und im benachbarten Hoboken (New Jersey) geparkte und zurückgelassene Autos ablichtete. Die zumeist nachts aufgenommenen Kodachrome-Aufnahmen zeigen neben den typischen US-Autos der 70er auch die heruntergekommene Stadtlandschaft im Big Apple jener Jahre. Der 1949 geborene Clay war Gast bei der feierlichen Eröffnung und leistete uns beim Mittagessen am gleichen Tisch Gesellschaft. „Ich war gerade dabei, von Schwarz-Weiß auf Farbe umzustellen. Und diese Autos, in ihren verschiedenen Phasen der Verwahrlosung, waren speziell bei Nacht sehr simple und zugleich stolze Motive, die so viel aussagten. Ich verbrachte allein zwei Jahre mit Wanderungen durch New York City, mit einer Leica, einem 40 mm Objektiv und einem Stativ.“
Mehr als nur ein weiteres Objekt
Die Serie Badly Repaired Cars des 1987 geborenen Italieners Ronni Campana zeigt schlampig instandgesetzte und in London geparkte Modelle – die uns ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Die fast schon humoristisch geflickten Beulen zeigen, wie unabhängig vom jeweiligen Haushaltsbudget Menschen sich schon leicht verzweifelnd an ihren Besitzerstolz und ihre Freude klammern. „Es ist wichtig zu zeigen, dass diese Objekte weder eine Wasch- oder Kaffeemaschine sind – sondern eine Erweiterung des Körpers und ein integraler Bestandteil unseres Lebens“, bemerkt Séclier. „Man kann diese Reparaturen vom Inneren des Autos nicht sehen, doch Fotografen als naturgegebene Voyeure sehr wohl.“ In seinen Luftaufnahmen durch die Windschutzscheibe von an einer roten Ampel haltenden Autos übt sich der 1981 in Malaga geborene Spanier Óscar Monzón in einer besonderen Form des Voyeurismus. Seine Bilder verführen zum Schlüssellochblick, tangieren ungeniert die Intimsphäre und sind damit fast schon unheimlich.
Nach vorne denken
Am Ende wundert man sich, warum es so etwas wie Autophoto nicht schon längst früher gegeben hat. Die Ausstellung wirft auch zahlreiche Fragen auf, hauptsächlich zu den Reizthemen der Gegenwart und Zukunft. „Die Welt der Fotografie und des Autos plagt das gleiche Problem – eine überbordende Verbreitung“, fasst Séclier zusammen. Wobei er sofort zugesteht, dass die Einfachheit, mit der heute Fotos aufgenommen, veröffentlicht und geteilt werden können, prinzipiell eine gute Sache sei. Und das Auto? Es werde wohl noch für einige Zeit eine wichtige Rolle innerhalb der Gesellschaft spielen. „Man kann nicht gegen den Strom schwimmen. Doch kann es sein, dass wir in 30 oder 40 Jahren einen völlig neuen Blickwinkel bei der Erforschung beider Welten einnehmen werden.“ Für den Moment empfehlen wir den Besuch in der Fondation Cartier für zeitgenössische Kunst – Autophoto vereint zwei Disziplinen, denen Sie sich verbunden fühlen werden.
Fotos: Laurent Duchene für Classic Driver © 2017 / mit freundlicher Genehmigung der Fondation Cartier (Bildzeilen geben weitere Hinweise zu Fotografen, Titeln und Bildformaten)