Die Auktion von RM Sotheby’s im September 2016 in London war nicht nur für die Porsche-Sammlerszene ein Schlüsselmoment – und vielleicht auch für die Karriere von Oliver Camelin. Das von ihm zusammengestellte Aufgebot an speziellen Porsche 911 aus den 1990er-Jahren kam deutlich über den Schätzwerten unter den Hammer. Getoppt wurde die Auktion von kaum fassbaren 1,85 Millionen Pfund, die für den rivierablauen Porsche 911 GT2 von 1995 gezahlt wurden. All jene, die nach London von einer Eintagsfliege sprachen, wurden schon im Februar 2017 in Paris eines Besseren belehrt – brachten doch diesmal mehrere junge Porsche, darunter ein 911 Turbo Cabriolet, zusammen 1,34 Millionen Euro ein. Bei der diesjährigen London-Auktion von RM Sotheby's Anfang September gibg es dagegen deutlich ruhiger zu. Grund genug, Camelin nach seinen Einschätzungen und Prognosen für den Porsche-Sammlermarkt zu befragen.
Warum hat sich der Wert verschiedener moderner Porsche in den letzten Jahren derart nach oben bewegt?
Nicht alle Modelle haben sich dramatisch im Wert gesteigert, das gilt nur für besonders seltene und originalgetreue Exemplare. Der Grund liegt in einer neuen Generation von Käufern. Vor fünf Jahren waren unsere jüngsten Kunden in ihren Dreißigern. Doch im Zuge der boomenden Internet-Generation kommen immer mehr Menschen schon in einem jüngeren Alter zu gehörigem Reichtum. Dazu kommt, dass sich Porsche dank seiner Qualität immer schon vom Rest des Marktes abgesetzt hat. Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit sind für heutige Käufer durchaus entscheidende Argumente.
Wie entscheidend war die Londoner Auktion von 2016 für den Wendepunkt im Porsche-Sammlermarkt?
Das war für den Markt ein Meilenstein, obwohl die Rekordpreise für manche Beobachter auch irreführend waren. Viele Menschen dachten, dass nun automatisch jeder moderne Porsche zu Rekordpreisen fähig sei. Doch hätten sie zwischen den Zeilen gelesen, wäre deutlich geworden, dass dies nur auf wirklich spezielle Exemplare zutraf. Aber dennoch erwuchs hier ein weit über diese Auktion hinausgehender Trend. Schauen Sie nur auf Events wie Luftgekühlt in Los Angeles – die Porsche-Szene ist heute größer denn je.
Was macht diese Autos denn so wertvoll?
Bei allen nach 1980 gebauten Porsche ist Originalität das Schlüsselelement. Nicht Originalität im Sinne von Patina, wie man es bei einem klassischen Automobil schätzt, sondern im Sinne von „fabrikneu“. Je weniger ein Auto benutzt wurde, desto begehrenswerter ist es. Es ist eine sonderbare Vorstellung, aber genau das wollen die neuen Sammler. Ich handele nun schon seit rund zwanzig Jahren mit diesen Porsche-Typen und ich habe zuvor kaum jemals so gut erhaltende Modelle gesehen wie die bei der Londoner Auktion von 2016. Sie kamen mit allem, was das Herz des potentiellen Käufers erfreut – bis hin zu Bestellformularen, zum Schriftverkehr zwischen Werk und Erstbesitzer oder zur Originalfarbe für jedes Blechteil waren die Autos vollständig dokumentiert. Man kann immer Dinge neu lackieren und restaurieren, daher sehen wir absolut unveränderte Modelle immer seltener. Zugleich waren das Autos, die zum ersten Mal bei einer Auktion gezeigt wurden.
Nach welchen Kriterien taxieren Sie die Schätzwerte?
Sehr einfach und logisch – indem wir das Wissen aus früheren Auktionen oder Privatverkäufen nutzen. Ganz ehrlich: Das sind die einzigen verlässlichen Erkenntnisse, die eine realistische Einschätzung ermöglichen. Es zeigt, wieviel Geld eine bestimmte Person an einem bestimmten Tag bereit gewesen war auszugeben. Betrachtet man die im Internet geforderten Preise, weichen diese dagegen oft weit voneinander ab – zwei identische Modelle können um bis zu 100.000 Euro auseinanderliegen. Doch es ist schwer vorauszusagen, ob ein Auto gut genug ist, um zum genannten Preis verkauft zu werden.
Aber waren Sie nicht auch überrascht, dass die Londoner Sammlung so durch die Decke ging?
Wir sind nicht dazu da, Regeln und Trends neu zu setzen – das macht der Markt schon selbst. Und die Leute werden immer um das feilschen, was sie besitzen wollen. Man kann den Menschen keine Ideen in den Kopf pflanzen. Man muss nur die Autos so gut und so wahrheitsgemäß wie möglich präsentieren. Die Leute kommen von selbst ihrer Sorgfaltspflicht nach, alles über das Auto zu erfahren. Nach der Auktion kamen viele Leute zu mir und sagten, dass sie alle diesen reichen Amerikaner kennen würden, der die Autos gekauft habe. Geld würde ihm nichts bedeuten, und daher hätte er so hoch geboten. Doch sie vergaßen, dass er nicht gegen sich selbst geboten hatte – es gab zahlreiche Bieter im Saal und am Telefon. Alle boten auf hohem Niveau. Manchmal erleben wir ein ungewöhnlich hohes Einstandsangebot, weil ein Sammler ein Auto unbedingt haben und allen anderen die Luft aus den Segeln nehmen will. Ich hatte einen Klienten, der in 200.000-Pfund-Schritten bot. Das Gebot lag bei 250.000 Pfund und er bat mich, 450.000 zu bieten. Ich musste ihn bitten, das noch einmal zu wiederholen!
Ergibt es Sinn, in günstigere Porsche zu investieren wie zum Beispiel die Transaxle-Typen?
Für die meisten Menschen haben gute Porsche 911 der Generationen 993 und 964 mittlerweile unerschwingliche Preisregionen erreicht. Daher verschiebt sich der Fokus fast automatisch auf Porsche 924, 944 und 968. Lange Zeit wurden diese Modelle nicht wirklich anerkannt, dabei sind sie aufgrund ihrer Spezifikationen großartige Autos. Die Menschen waren regelrecht begeistert von den Transaxle-Modellen aus unserer Schweizer Sammlung. Finden Sie ein Exemplar mit einem hübschen originalgetreuen Interieur, einem gewissenhaft gewarteten Motor, einer makellosen Karosserie – und ich bin sicher, dass es seinen Weg gehen wird.
Was war der speziellste Porsche, den Sie jemals für eine Auktion gewinnen konnten?
Unter den Autos, die Sie kennen, ist es der silberne Porsche 964 RS 3.8, den wir in London für 716.000 Pfund verkauft haben. Ich bin diese Autos viele Male auf der Straße und auf der Rennstrecke gefahren und weiß, wie gut sie sind. Speziell im Vergleich zu den Standard-Modellen. Dieses Auto ist im Grunde ein 964 mit einem 993-Motor – ich habe fast eine Träne vergossen, als es von der Bühne herunterfuhr.
Spielt China bereits eine Rolle im Sammlermarkt für Porsche?
Ich denke, da gehen meine Gedanken in die gleiche Richtung wie bei allen anderen Szenebeobachtern: Sobald China den Import solcher Autos erlaubt, werden wir eine neue Welle und weiter Verkaufsrekorde erleben. Das Land verfügt über eine solche Kaufkraft, und es hat sich viel Frust angestaut. Doch keiner weiß, ob wir diesem Punkt näherkommen – ich habe keine Hinweise darauf, dass irgendetwas in näherer Zukunft passiert. Wir haben versucht, Schlupflöcher zu finden, doch es hat einfach nicht funktioniert.
Wie hat sich der Porsche-Sammlermarkt in den letzten Monaten verändert?
In Bezug auf moderne Porsche hat sich nicht viel verschoben. Der Markt für seltene Autos mit großer Geschichte und niedrigem Kilometerstand ist weiter sehr stabil, vielleicht stabiler als je zuvor. Die ganz speziellen Schmuckstücke erzielen immer verrücktere Preise, auch weil sie immer schwerer zu finden sind. Was für uns erfrischend ist: Die Kunden sind echte Enthusiasten und begeistert von dem, was sie kaufen. Es mag für sie auch eine Investition sein, doch ist das nicht das einzige Motiv für den Kauf. So wie es noch in den Jahren 2011 und 2012 fast schon die Regel war, als viele Investoren mitboten. Der Markt ist heute weitaus gesünder, und die Spekulanten, die weiter aktiv sind, gehen weiser und sorgfältiger vor. Kurz gesagt: Die Leute sind bereit, den passenden Preis für das passende Auto zu zahlen.
Die Auktion in Monterey war in diesem Jahr insgesamt sehr erfolgreich für RM Sotheby’s. London dagegen eher gedämpfter. Waren Sie überrascht von den Resultaten?
Jeder war enttäuscht. Ich denke, der Hauptgrund war die Qualität. Rund ein Drittel der Fahrzeuge war nicht auf dem von uns gewohnten Niveau. Wenn man eine Anzahl von Autos hat, die bei einer Auktion gut abschneiden, profitiert jedes andere Auto auch davon. Verläuft eine Auktion zäher und weniger erfolgreich, tritt genau das Gegenteil ein. Ich hatte zum Beispiel sehr viele Interessenten für den schwarzen Porsche 993 GT2 und denke, dass er für mehr Geld weggegangen wäre, wenn die Auktion insgesamt erfolgreicher verlaufen wäre.
Hat sich irgend etwas geändert in ihrem Blick auf Porsche?
Aus der Marktperspektive betrachtet müssen wir sicherstellen, dass die Autos auch weiter ein spezielles Flair ausstrahlen. Und damit meine ich nicht nur eine spezielle Farbkombination. Der Wettbewerb zwischen Händlern und anderen Auktionshäusern ist hart, weil jetzt alle hinter diesen Autos her sind. Aus der Sicht des Auktionshauses muss man das Ganze noch mehr zu einer Show umgestalten und auch etwas frisches Blut in das Angebot bringen anstatt immer nur die üblichen Ferrari Testarossa oder Porsche 911 Carrera 2.7 RS anzubieten. Es müssen auch nicht immer moderne Porsche sein – nehmen Sie nur das wunderschöne Porsche 356 1500 Coupé, dass wir für eine Million US-Dollar in Monterey versteigert haben. Bei 700.000 Dollar wollten viele Besitzer nicht verkaufen, doch nachdem der Wagen eine Million erreicht hatte, erhielten wir prompt mehrere Anrufe. Vielseitigkeit ist alles.
Wird der Hype für moderne Porsche weitergehen oder platzt die Blase bald?
Ich habe keine Sorgen, dass die Blase platzen könnte. Qualität wird weiterhin der entscheidende Faktor bleiben. Daher rate ich meinen Kunden, sich auf gewisse Autos zu fokussieren und sagen ihnen zugleich, dass sie für die richtig guten Exemplare 30 Prozent mehr bezahlen müssen. Nehmen Sie zum Beispiel einen Porsche 964 RS. Wenn Sie ihn nur fahren wollen, dann ist ein fachgerecht reparierter Unfallschaden kein Problem. Sie werden ihn genauso genießen können. Doch wenn Sie einen hohen Wertzuwachs in Ihrer Sammlung anstreben, kommt einem makellosen Auto eine weitaus höhere Bedeutung zu. Ich ziehe da gerne einen Vergleich zum Wein: Ich liebe Wein – und zwar so sehr, dass ich niemals Weine sammeln würde. Weinsammler finden es spannend, die edlen Tropfen in ihrem Keller liegen zu sehen. Doch wenn sie anfangen, sie zu trinken, haben sie ein Problem!
Fotos: Rob Cooper für Classic Driver © 2017 / Rémi Dargegen für RM Sotheby's © 2016