Es ist schon seltsam: Da müssen erst ein paar Petrolheads, Rennfahrer und Kreativköpfe aus Los Angeles in die Heimat von Porsche reisen, um der deutschen Szene zu zeigen, wie locker und zeitgemäß man die Zuffenhausener Sportwagenikonen doch feiern kann. Patrick Long und Howie Idleston, die Gründer des kalifornischen Porsche-Fanfests „Luftgekühlt“, sowie ihr Zeremonienmeister Jeff Zwart haben am vergangenen Wochenende im Werksviertel Mitte in München tatsächlich ein Porschetreffen aus dem Hut gezaubert, wie man es in Deutschland noch nicht erlebt hat. Mehr als 150 luftgekühlte Porsche aus ganz Europa und sogar den USA waren auf dem industriell-unprätentiösen Gelände zwischen Kontainern, Coffeeshops und Graffiti-Wänden instagramtauglich aufgereiht. Dazwischen spazierte, plauderte und fachsimpelte vergnügt ein buntgemischtes Publikum – und Smartphone-Teenager wie Rennlegenden und Designgroßmeister hielten sich an den demokratisch-amerikanischen Dresscode mit T-Shirt, Turnschuhen und Baseballcap.
Natürlich hat die schwäbisch-kalifornische Wechselbeziehung Tradition: Ihren kosmopolitischen Coolness-Faktor und einige der begehrenswertesten Sportwagen verdankt die Marke Porsche dem genialen US-Importeur und Influencer Max Hoffman, der in den 1950er Jahren als Missionar in Hollywood den Schönen und Reichen die schwäbische Sportwagenlehre verkündete und Ferry Porsche den Anstoß zum ersten „Speedster“ gab. Manchmal bedarf es eben eines frischen Blickes von außen, um das ganze Potenzial einer Marke herauszustellen. Nach München geholt wurde das Team von Luftgekühlt dann auch ganz offiziell von Porsche – die Wege zwischen Zuffenhausen und Los Angeles sind kurz, man kennt sich gut aus dem Motorsport. Die Marke übernahm auch den Großteil der Organisation und vermittelte mit Unterstützung von Stefan Bogner – dem Münchener Kurvenfotografen und Herausgeber des Magazins Curves – einige der prominentesten Porsche und Sammler aus ganz Deutschland. Und das Aufgebot war wirklich beeindruckend: Schon am Samstag waren per Kran einige Autos auf die Rooftop Bar des „München Hoch 5“ gehieft worden – darunter jener Porsche 908/2, mit dem Steve McQueen und Peter Revson 1970 in Sebring auf den zweiten Podiumsplatz fuhren, sowie ein gloreicher Rallye-Porsche 911 S/T im Repsol-Livrée und der hellblaue Porsche 935 des berühmt-berüchtigten JPL Racing Teams.
Bei der anschließenden Ausfahrt im kleinen Kreis an den Tegernsee saßen wir neben Patrick Long auf dem Beifahrersitz eines Porsche 911 T von 1969 in „Bahama Yellow“. Als Porsche-Werksfahrer ist der 37-jährige Kalifornier von Le Mans bis Daytona und Sebring bei allen wichtigen Rennen gestartet. 2014 organisierte er gemeinsam mit dem Kreativchef Howie Idleson das erste Porschetreffen unter dem für amerikanische Ohren recht rätselhaften Namen „Luftgekühlt“ im südkalifornischen Venice. „Es sollte ein lockeres Autotreffen sein, zu dem man auch seine Familie mitnimmt“, erinnert sich Patrick. „Auf den Fotos von damals sieht man überall Kinden und Hunde zwischen den Autos herumspazieren.“
Das lässige Konzept traf einen Nerv und gewann von Jahr zu Jahr an Zulauf, mittlerweile ist Luftgekühlt ein globales Phänomen. Im Frühjahr 2018 kamen zur kalifornischen Ausgabe mehr als 600 Autos, Ende August feierte das Team auf dem alten Militärflughafen von Bicester Heritage die England-Premiere. Patrick Long ist stolz sich, dass „Luft“ – wie das Event in der Szene genannt wird – nun ins Heimatland von Porsche kommt. „Mich freut auch, wieviele Freunde aus aller Welt nach München gekommen sind, um die lokale Porschekultur zu erleben. Wir sind mittlerweile so etwas wie ein Wanderzirkus.“
Mit zum Konzept von Luftgekühlt gehört es, dass alle Autos vom Rennfahrer, Filmregisseur und Fotografen Jeff Zwart so in Szene gesetzt werden, dass sie mit ihrer Umgebung korrespondieren – und sich so für die Fotografen einzigartige „Photo Opportunities“ bieten. Die Inszenierung zahlt sich aus, mittlerweile findet man bei Instagram unter dem Hashtag #luftgekühlt mehr als 125.000 Fotos. Und während die deutsche Porsche-Scharia bei Clubtreffen gerne über die historisch korrekten Unterlegscheiben von Radmuttern diskutiert, stehen millionenteure Werksrennwagen bei Luftgekühlt ganz selbstverständlich neben fiktiven Restomod-Geschossen oder rostigen Patina-Wunderwerken.
Zu den Höhepunkten der Münchener Luftgekühlt-Ausgabe gehörten sicherlich der orangefarbene Porsche 914/6 – eines jener drei Werksautos, die beim Marathon de la Route 1970 einen historischen Dreifachsieg feierten – und die wenige Meter weiter geparkte Replik von Ferdinand Porsches Berlin-Rom-Wagens, in die der Österreicher Michael Barbach ganze 9.000 Arbeitsstunden investiert hat. Das abenteuerliche Gespann gleich daneben – ein rattig-roter Elfer mit reichlich Rost und Dellen, einem Surfbrett auf dem Dach und dem passenden Scrambler-Bike auf dem Anhänger – war eigens auf Achse aus Hamburg angereist, um die Münchener Szene mit nordischem Kiezflair durchzuschütteln. Unter den zahlreichen „Restomods“ fiel uns derweil die steingraue Hommage an den 911R von Markus Haub aus Mainz ins Auge – und natürlich der großartige Porsche 911 von Singer, den wir im vergangenen Jahr auf einer Alpentour begleiten durften.
Dass es nicht immer ein Elfer sein muß, demonstrierte der US-Designer Carl Gustav Magnusson mit seinem schiefergrauen, eigens aus New York eingeschifften Porsche 912. In den Details des mit viel Fingerspitzengefühl individualisierten Klassikers – von der eigens entworfenen Motorabdeckung bis zu den französischen Frontleuchten – verlor sich auch Ex-Porsche-Designchef Harm Lagaay. Gleich gegenüber erinnerte der Porsche 964 RSR von Danny Pfeil mit seiner charakteristischen Zündfunken-Beklebung an die jüngere Rennsport-Geschichte der Marke, die gerade wieder so viele Menschen begeistert. Dass nicht nur unzählige Teenager in Luftgekühlt-Shirts begeistert durch die Reihen der Klassiker schlenderten, sondern auch der atemberaubende Porsche 906 ganz locker von einem Schuljungen in Position gelenkt wurde, bewies, dass die Autoszene zumindest bei Formaten wie Luftgekühlt kein Generationenproblem hat. Im Gegenteil: Die Kalifornier haben es geschafft, das alte Porsche mittlerweile so lässig sind wie Skateboarden oder Wellenreiten.
Noch wichtiger als die Auswahl der Autos war letztlich auch die richtige Mischung an Menschen aus aller Welt – und die entspannte Stimmung. Selten haben wir uns bei einem „Concours“ so wohl gefühlt und mit so vielen interessanten Menschen unterhalten. Wer wissen will, wie historische Automobilkultur auch in Zukunft am Leben bleiben kann, sollte die nächste Ausgabe von Luftgekühlt nicht verpassen.
Fotos: Stefan Bogner für Classic Driver © 2018