Das Motorsport-Flair der 20er und 30er Jahre bietet genau die richtige Anfangsdosis des oktanreichen Cocktails
Zeitreisen brauchen eine Bühne. England hat Goodwood. Und Deutschland den Nürburging. Der alljährliche AvD Oldtimer Grand Prix bringt die wichtigen Zutaten an historischem Ort zusammen: absolute Top-Fahrzeuge aus allen Epochen und Klassen, das Who-is-Who der Fahrerelite und Enthusiasten sowie Zehntausende erwartungsfrohe Besucher, die sich von den Knall auf Fall stattfindenden Rennen mitreissen lassen. Die Zeitreise startet am besten im historischen Fahrerlager. Umgeben vom Getöse der Motoren geht es hier beinahe beschaulich zu. Doch das Motorsport-Flair der 20er und 30er Jahre bietet genau die richtige Anfangsdosis des oktanreichen Cocktail, der wahre Motorsport-Enthusiasten weiter oben an Pitlane und Strecke vollends trunken macht.
Motorendonnern vom Morgen bis zum Sonnenuntergang
So auch bei der 41. Auflage des OGP. Die Rennläufe sind allesamt vom Feinsten. Und die Fahrzeuge sind es auch. Vorkriegs-Boliden, ehemalige Formel-Renner verschiedener Klassen, historische Grand Prix Cars, GT- und Tourenwagen - alles ist dabei und auf der Strecke. Praktisch dauernd. Die Luft vibriert. Vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang starten die unterschiedlichen Läufe. Alfa Romeo 8C Monza, Aston Martin DB4 GT, BMW 328, Bugatti B35, Jaguar E-Type Lightweight, Ferrari 250 SWB, Maserati 250F, Mercedes 300 SL Flügeltürer oder Porsche 904 sind nur einige der Chiffres, die Ikonen zitieren.
BMW Group Classic feierte mit einem weitläufigen Paddock Grand Prix Meilensteine der BMW Motorgeschichte. Sogar Opel war vor Ort und präsentierte durchaus ansehnliche Rennfahrzeuge - wenn man nur weit genug in der Firmengeschichte zurückgeht, findet man sie tatsächlich. Ein weiteres Highlight: das Stefan Bellof Tribute in der Grünen Hölle. Vor 30 Jahren fand das letzte 1.000-km-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife statt. Im Training zu diesem irren Rennen fuhr Stefan Bellof im Werks-Porsche 956.007 am 28. Mai 1983 die bis heute schnellste Rundenzeit auf dem Eifelkurs: Mit 6:11,13 Minuten war dies die einzige jemals gefahrene Runde mit einem Schnitt von über 200 km/h. Zwei Autos waren damals von Porsche gemeldet. In dem ersten Wagen teilten sich Jacky Ickx und Jochen Mass das Steuer. Im zweiten Porsche starteten Derek Bell und eben Stefan Bellof, letzter als absoluter Youngster. Dreißig Jahre später präsentiert kein anderer als Derek Bell in Demofahrten mit dem wieder aufgebauten 956.007 rasende Geschichte auf dem Ring. Denn Bellof selbst kam am 1. September 1985 im Renneinsatz tragisch ums Leben.
Legenden am Ring
Auch Fahrerlegende Jochen Mass war beim 41. OGP zugegen. Er pilotierte unter anderem am Samstag die Meilenwerk Historic Racing Cobra bei den Gentlemen Drivers (GT bis 1965), musste sich aber mit defekter Kupplung und einer auf der letzten Runde atomisierten Zylinderkopfdichtung des bulligen V8 auseinander setzen. Perfekt hingegen lief das Rennen einmal mehr für den jungen Briten Alex Buncombe. Er schaffte den Sieg beim legendären Gentlemen Drivers-Rennen. Der E-Type, Baujahr 1961, mit dem er schon am Vorabend beim Qualifying die Poleposition holte, hatte sich bereits letztes Jahr als absolutes Gewinner-Fahrzeug erwiesen und die E-Type Challenge gewonnen. Für Jaguar und Buncombe eine tolle Bestätigung: „Ich hatte bereits beim letzten Oldtimer Grand Prix großen Erfolg mit diesem Fahrzeug und es ist eine Ehre, das in diesem Jahr zu wiederholen. Das Team von JD. Classics und die Mechaniker haben tolle Arbeit geleistet, das Fahrzeug vorzubereiten. Ich habe in jeder Runde alles gegeben und es hat bis zum Ende gehalten – ein tolles Gefühl!“
Demokratischer Motorsport
Auch beim wichtigen historischen Marathon, der bereits am Freitag auf der Nordschleife stattfand, demonstrierte Jaguar bei ehrwürdiger Konkurrenz Stärke: mit eine Jaguar-Rennlimousine vom Typ MkII erlangten Alex Buncombe (GB), Le Mans-Sieger Andy Wallace (GB) und Journalist und Rennfahrer Roland Löwisch (D) einen respektablen dritten Platz in ihrer Klasse. Schon vor 50 Jahren verwies die elegante Sportlimousine von Jaguar die Mitbewerber in die Schranken: zwischen 1961 und 1963 war es den Privatfahrern Peter Lindner und Peter Nöcker dreimal infolge gelungen, im Mk II das zur Europameisterschaft zählende ADAC 6-Stunden-Rennen zu gewinnen. Ganz vorne beim Marathon fuhren diesmal Daniela Ellerbrock und Alexander Furiani in einem Alfa Romeo Giulia S. Und Porsche setzte im Classic-Areal in der Warsteiner-Kurve auf eine Geburtstagsparty: 50 Jahre 911 feierten die Zuffenhausener mit einem großen Fahrzeugtreffen. Und mit einem 911er Korso auf der F1-Strecke. Alfa Romeo, Ferrari und Maserati konnten ebenso einmal mehr auf ihre treuen Anhänger der Markenclubs zählen. Denn die präsentierten italienische Automobilgeschichte überzeugend und zahlreich. Was uns fehlte? Mercedes spielte praktisch keine Rolle am Ring. Der Hersteller hat sich offenbar vollständig vom OGP zurückgezogen. Schade. Ansonsten täte angesichts des fantastischen Aufgebots an Automobilen etwas weniger Kirmes am Rande gut. Doch Motorsport in der Eifel war eben schon immer eine sehr demokratische Angelegenheit. Damals wie heute. Auch das ist Zeitgeschichte.
Fotos: Nanette Schärf