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Michael Mays Porsche 550 Spyder war ein geflügeltes Rennstreckenwunder

Michael Mays Porsche 550 Spyder war ein geflügeltes Rennstreckenwunder

Dieser Porsche 550 Spyder mit dem esszimmergroßen Flügel über dem Cockpit mag etwas lächerlich aussehen, aber damit gelang dem unterschätzten deutschen Ingenieur Michael May ein bahnbrechender Beitrag, der 1956 der künftigen Brisanz der Aerodynamik im Motorsport weit voraus war.

Die Gerüchteküche in der Boxengasse vor dem Sportwagenrennen Nürburgring 1000km im Jahr 1956 betraf weniger die Ambitionen der vier Fahrzeuge, die von den Werksteams von Ferrari und Maserati nach ihren beeindruckenden Leistungen bei der Mille Miglia hier an den Start geschickt werden würden noch die berühmten Fahrer wie Juan Manuel Fangio, Phil Hill oder Stirling Moss, die sie pilotieren sollten.

Nein, der Klatsch der Motorsportszene drehte sich um den Porsche 550 RS Spyder, den der erst 22-jährige deutsche Fahrer und Ingenieur Michael May mit seinem Bruder Pierre angemeldet hat, genauer um die aberwitzig große umgekehrte Tragfläche, die über dem offenen Cockpit des Sportwagens montiert war. Und warum? Weil im Qualifying Mays Porsche mit seiner kuriosen Vorrichtung auf dem anspruchsvollen, 23 Kilometer langen Kurs atemberaubende vier Sekunden schneller unterwegs war, als die 550 Spyder des Werks. Als wäre das nicht Hohn genug, waren die Werkswagen vorher auch noch umfassend optimiert worden.

So skurril der Porsche auch wirkte, hinter diesem Wahnsinn steckte eine ausgeklügelte Methode. Als Maschinenbauer, der an der ETH in Zürich studiert hatte, erkannte May, dass ein umgekehrter Flügel nicht nur die Stabilität erhöhen, sondern auch Anpresskraft erzeugen würde. Er platzierte die Tragfläche in der Mittel des Mittelmotorwagens, um den Spyder zu verstärken und damit auch den Schwerpunkt nach unten zu verlegen.

Dieser Flügel war übrigens nicht fest fixiert. Mit einem Hebel im Cockpit konnte man während der Fahrt den Winkel um bis zu 17 Grad verändern. Die Folge waren höhere Spitzengeschwindigkeiten auf den Geraden und höhere Anpresskräfte in den Kurven. Die Luftwiderstand reduzierenden Endplatten war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal der Standard bei Verkehrsmaschinen und setzten der Fülle an Innovationen noch die Krone auf. Bei knapp 150 Stundenkilometer soll die Downforce in etwa dem Gewicht des Fahrzeugs entsprochen haben.

Porsches Rennleiter Huschke von Hanstein war nicht nur über Mays Tempovorgabe verärgert, er rätselte auch den Beitrag des Riesenflügels zu diesem Ergebnis. Sofort wurde bei den Organisatoren des Rennens Beschwerde eingereicht: Von Hanstein argumentierte, dass dieses Ungetüm nicht nur die Sicht der anderen Fahrer behinderte, sondern auch bei einem Unfall eine tödliche Gefahr für die Zuschauer darstellen würde. Der Einspruch hatte Erfolg und May musste die Tragfläche abbauen. Mit seinem gestutzten Flügel hatte der Porsche keine Chance mehr.

Der 550 Spyder trat nie wieder mit montiertem Flügel bei einem Rennen an. Aber Mays erfinderische Entwicklung war eine bahnbrechende Innovation, die über zehn Jahre später von Größen wie Jim Chaparral, Colin Chapman und Bruce McLaren aufgegriffen wurde und das Gesicht des Motorsports für immer verändern sollte. 

Aber das sollte nicht der einzige Beitrag dieses Pioniers zu dem Sport, den er so liebte bleiben. Mit dem Wissen, das er sich bei Daimler-Benz angeeignet hatte, unterstützte May sowohl Porsche und Ferrari bei der Einführung der Einspritzsysteme und entwickelte später den hochverdichtenden Zylinderkopf „Fireball“ für Jaguar. 

Auch wenn er selbst hinter dem Steuer Platz nahm, war der Ingenieur alles andere als langsam. Mit Leichtigkeit gewann er die internationale Formel Junior-Meisterschaft in 1959. Das führte zu einem Stint in der Formel 1mit dem kleinen deutschen Privatteam Scuderia Colonia. Leider musste er seine Rennfahrerkarriere abrupt nach einem Unfall während des Trainings zum Großen Preis von Deutschland 1961 beenden.

Aber was wurde eigentlich aus Mays visionärem Porsche 550 Spyder, den er ursprünglich erst kaufen konnte, weil er seinen Bruder, den Bankier Pierre, damals überreden konnte, sich an den Kosten zu beteiligen? So bemerkenswert wie die Geschichte des aerodynamischen Flügels ist auch die Tatsache, dass ein ausgemusterter Rennwagen bis heute in Topzustand erhalten blieb. Kürzlich wurde der Spyder umfassend in Padua nach Michael Mays exakter Spezifikation restauriert. Er fungierte auch trotz seiner mittlerweile 82 Jahre als enthusiastischer Berater und gab der Restaurierung letztlich auch seinen Segen. 

Wegen seiner überragenden Bedeutung als weltweit erster Rennwagen mit montierter, beweglicher Tragfläche beehrt Chassis 550-031 seit einiger Zeit die renommiertesten Veranstaltungen wie den Pebble Beach Concours d´Elegance in Kalifornien, die Mille Miglia in Italien, den britischen Salon Privé und natürlich darf auch das Goodwood Festival of Speed in dieser Liste nicht fehlen. Und jedes Mal sorgte dieser Porsche für das Spektakel, dass er 1956 entzündete, als er auf einem Tieflader am Nürburgring auftauchte.

Heute aber gehört dieses geflügelte Wunder ganz uns. Wie passend, dass wir uns durch die wolkenverhangenen hohen Berge Italiens bewegen. Von unserem Begleitfahrzeug vor dem kleinen offenen Prototyp kann man tatsächlich beobachten, wie sich der Flügelwinkel verändert, um Stabilität und Balance zu optimieren. Aber vor allem ist dieses technische Wunderwerk für immer mit dem einfallsreichen Michael May verknüpft, einem Mann, der es verdient hat, für seine Pionierleistung auf dem Gebiet der automobilen Aerodynamik viel mehr Würdigung zu erfahren.

Fotos: Rémi Dargegen © 2020

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