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Ist ein Bentley am längsten Tag quer durch Großbritannien schneller als die Sonne?

Ist ein Bentley am längsten Tag quer durch Großbritannien schneller als die Sonne?

Am 21. Juni hob sich die Sonne in John o`Groats um 4.02 Uhr und verschwand in Land´s End um 21.36 Uhr. Es sind 837 Meilen vom nordöstlichsten Punkt Großbritanniens bis zur südwestlichsten Spitze. Würden wir es schaffen, die Insel zu queren, ehe sich die Sonne hinter dem Horizont verabschiedete?

Für den Wettlauf gegen das Leitgestirn wählten wir einen Bentley Continental GT V8 Convertible, denn da das britische Wetter bekanntlich Kapriolen schlägt, erhöhte es den riskanten Reiz, diese Reise weitest möglich mit eingefahrenem Dach zu meistern. Der erste Mensch, der diese längst legendäre Fahrt erfolgreich abschloss, brauchte dafür in 1879 ganze 72 Tage. Wir hingegen mussten es eiliger angehen: Es blieben uns nur 17 Stunden und 32 Minuten. 

Google Maps berechnete eine Reisezeit von 14 Stunden und 29 Minuten. Locker zu machen, werden Sie sagen. Aber vergessen Sie nicht, dass wir uns zweimal durch den Berufsverkehr quälen, die typischen Sommerbaustellen und natürlich ein paar Tankstopps für unser Team.

Wir sind tatsächlich nicht die einzigen, die so verrückt sind, den längsten Tag des Jahres damit zu verbringen, so weit wie möglich quer durch Großbritannien zu eilen. Als wir uns dem John o´Groats-Schild nähern, entdecken wir eine Reihe von Motorradfahrern, die sich ebenfalls dieser Herausforderung stellen wollen. Warum? Einfach, weil es Spaß macht.

Dabei hatten wir uns 24 Stunden vorher überlegt, unsere Reise aufgrund der erschreckenden Wetterprognose zu streichen. Doch dann erlebten wir die wunderbare Überraschung eines goldenen Sonnenaufgangs. Die angekündigte Sturmfront war offenbar an uns vorbeigezogen. Schnell ein paar Fotos schießen und dann ging es schon Richtung Süden los. Der erste Halt ist in der bekannten schottischen Stadt Inverness: Um zu frühstücken und vor allem, um sich mit Kaffee zu stärken!

Es ist wirklich alarmierend, wie schnell so ein angenehmes Zeitpolster zusammengedrückt werden kann. Auf dem Papier sollten wir zum Frühstück um 6.30 Uhr vorfahren, tatsächlich war es 7.30 Uhr. Irgendwie ist uns eine Stunde abhanden gekommen. Das „on the go“-Essen hat sich wirklich verbessert, es sei denn, man reist antizyklisch, wenn gerade nichts los ist. Dann ist das Angebot dürftig. Was blieb uns übrig, als ein Fastfood-Frühstück? Das genaue Gegenteil von den schmackhaften Sachen, die Körper und Geist für die nächsten 717 Meilen zusammenhalten könnten.

Unser nächster geplanter Stopp ist Teabay Services, von vielen hoch geschätzt, weil es einen Bauernhofladen hat und mit Selbstgemachtem wesentlich gesündere Optionen bietet, als die üblichen Motorway-Raststätten. Dieser Abschnitt umfasst 290 Meilen und etwas über fünf Stunden Fahrzeit. Für den Bentley stellt dieser Wettlauf nicht wirklich eine Herausforderung dar. Ist sein großer, voller Tank bereit für jede Grand Tour: Mit realen 11,3 Liter auf 100 Kilometer (25 MPG) reicht es für über 500 Meilen zum nächsten Tanken. Leider verfügt der menschliche Körper nicht über solche Reichweiten und verlangt nach einer kleinen Pause zwischendrin. Egal, wie rasch man einen Stopp absolviert, es dauert doch mindestens 20 Minuten. Abgesehen davon musste auch unser Begleitfahrzeug tanken, weil am Abend vorher nicht aufgefüllt worden war!

Als wir uns vom Lunch erheben, ist es bereits 14.30 Uhr und unsere kalkulierte Ankunftszeit hat auf 21.30 Uhr verschoben – sechs Minuten vor Sonnenuntergang. Wir haben bis zum Endpunkt noch 433 Meilen vor uns und sollte der Verkehr ein Einsehen haben, dann sollten wir diese Zeit auch schaffen können. Ich möchte als Engländer an dieser Stelle festhalten, dass wir die Wettfahrt bis hier offen gefahren sind. Die beheizten Massagesitze und das Airscarf machen eine Reise im Cabrio sogar auf der Autobahn zu einem genussvollen Erlebnis.

Als wir die Peripherie von Birmingham erreichen, sollten wir eigentlich auf die M6 auffahren, aber der Verkehr steht. Also entscheiden wir uns für die längere Route auf der schneller fließenden M6-Mautstrecke. Damit addieren sich zwar fünf weitere Minuten zu unserer Ankunftszeit, aber wir sind zuversichtlich, dass wir die wieder gut machen. Der Stau hätte unser Vorhaben nahezu unmöglich gemacht. 

Nach einer weiteren kurzen Toilettenpause nördlich von Bristol, so der Plan, wollten wir flott und flüssig nach Cornwall rollen, aber wir haben ein Problem. Während wir bemüht waren, verlorene Zeit zu kompensieren, hat unser Verbrauch prompt reagiert. Wir haben noch eine Reichweite von 190 Meilen, aber noch 202 Meilen zu absolvieren! Zwei Optionen gibt es: Entweder langsamer werden, um Kraftstoff zu sparen oder gnadenlos auf das Gaspedal einzuhämmern. Letzteres würde uns ein kleines Zeitfenster für etwas eröffnen, was Engländer „splash and dash“ getauft haben: Ein Boxenstopp in F1-Geschwindigkeit. Welche Option haben wir gewählt? Ganz klar, hämmern!

Wetterprognosen von Freunden in Cornwall lassen uns sogar auf einen Sonnenuntergang hoffen. Als der Himmel sich nach einigen Hundert Meilen im Regen aufhellt, schießen wir in die letzte Tankstelle für einen Blitzstopp, der selbst Lewis Hamiltons Crew beeindruckt hätte. Schon fünf Minuten später hat uns die Straße wieder und wir nehmen die letzten paar Meilen auf der A30 in Angriff.

Anders als das schottische Pendant ist Land´s End eine eher kitschige touristische Angelegenheit mit kostenpflichtigem Parkplatz und unpassenden Attraktionen, um die Massen anzuziehen. Es war unmöglich, zum Schild zu fahren. Als die Sonne gerade begann, die Wolken zum Abschied zu küssen, versuchen wir, so nah wie möglich an unseren Endpunkt heranzufahren und stoppen die Uhr. Es ist 21.15 Uhr, wir brauchten 17 Stunden und 11 Minuten, um 837 Meilen unter die Reifen zu nehmen. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit betrug gut 80 Stundenkilometer, die Stopps eingerechnet.

Alles in allem nicht schlecht. Aber vielleicht können wir im nächsten Jahr mit noch extremere Planung tatsächlich die ultimative – und „legale“ – Reisezeit einfahren! Der Bentley war wirklich das ideale Auto für diesen „English Job“. Wir waren sogar noch besser als die offiziellen Verbrauchszahlen und erreichten Land´s End in erstaunlich frischem Zustand. Wir hatten schließlich über 17 Stunden in diesem Cockpit verbracht. Der 4,0-Liter-V8 Twin Turbo ist ein großartiger Motor, der beim Cruisen seidenweich schnurrt und ein wenig zum Biest wird, wenn die Straßen Spaßpotenzial entwickeln. In jedem anderen Cabriolet, das zwei Tonnen auf die Waage bringt, hätten wir Land´s End erst nach Sonnenuntergang erreicht. Aber im Continental haben wir unseren Wettlauf mit der Sonne gewonnen – und das auf stilvolle Art und Weise!

 

Fotos: Tim Hutton / Richard Fullbrook © 2021