Das Leben ohne Enzo
Fairerweise muss man erwähnen, dass der vorausgegangene Ferrari 348 TB in schwierigen Zeiten entstand. Der 348 verdeutlicht, wie stark Il Commentadore Enzo Ferrari bei der Entwicklung neuer Sportwagen involviert war. Und was passierte, als er nicht mehr mitwirken konnte. In Genf wurde 1994 sein Nachfolger in Form des F355 enthüllt, und die Produktion startete noch im selben Jahr. „Ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Vater der erste in Großbritannien war, der einen F355 erwarb“, blickt Tom Hartley Jnr., Inhaber des gleichnamigen Autohandels, zurück. „Der Unterschied zwischen diesem Ferrari und dem 348 war einfach unblaublich.“
Kleine Änderungen mit maximalem Effekt
Obwohl der F355 nahezu die Proportionen seines Vorgängers behielt, wirkte er viel harmonischer, sowohl aus ästhetischer, als auch aerodynamischer Sicht. Unter der geschmeidigeren Hülle befanden sich zudem weitere Verbesserungen wie eine Servolenkung, variable Dämpfer und ein um 100 Kubikzentimeter vergrößerter 3,5-Liter-Motor, der nun 380 PS bei 8.250/min leistete. Zum Vergleich: Der Achtzylinder im F355 lieferte mehr PS pro Liter als der V12 im McLaren F1. „Es war zudem der erste wirklich zuverlässige Ferrari“, fügt Hartley Junior hinzu. „Anders als den Testarossa oder 348 konnte man den F355 zum Service bringen, ohne danach von einer astronomisch hohen Werkstattrechnung erschlagen zu werden.“
So wie mit dem F355 eine neue Ära anbrach, endete mit ihm auch eine. Denn er war der letzte Ferrari, der von Hand gebaut wurde. Mit dem Ferrari 360 begann schließlich die Massenproduktion. „Vielleicht ist das der Grund, warum der F355 einen ähnlichem Weg einschlägt wie der F40 oder F50, also die Art, wie er dem Trend des Klassikermarktes folgt“, sinniert Hartley Junior. „In den letzten Jahren ist der Wert des F355 – leicht beeinflusst vom 328 GTS – um 25 bis 30 Prozent gestiegen und ich denke, das wird auch weiterhin der Fall sein. Ich sehe das hier gezeigte Auto innerhalb der nächsten 10 Jahre Preise von einer Viertelmillion Pfund erzielen.“
Der Sweet-Spot
Die heutigen Preise für Ferrari F355 variieren in erster Linie hinsichtlich Zustand, Historie und Kilometerstand, Karosserievariante (GTB Coupé, GTS Targa oder Spider) oder Getriebe. Denn obwohl der F355 als erster Straßenwagen optional mit „F1“-Schaltpaddles zu haben war (alternativ stand die Handschaltung mit traditioneller Edelstahlkulisse zur Wahl), war diese Technik noch etwas unausgereift, sodass man heute eher die Finger davon lassen sollte. Überhaupt war der F355 so etwas wie der Sweet Spot im Übergang von analog zu digital, mit einem zeitlosen Look, einem ehrlichen Charakter und trotzdem so modern, dass er heute noch als technisch überzeugend gilt.