Als Rem D. Koolhaas letztes Jahr nach Los Angeles zog, kam für den Neffen des weltberühmten niederländischen Architekten gleichen Namens nur ein Ort für das erste Studio seiner Marke United Nudes an der Westküste in Frage: das ultra-trendige Viertel Silver Lake. Koolhaas ist ein Mann der klaren Ansagen. Er weiß genau, was ihm wichtig ist. Seine Überzeugungskraft ist ansteckend – egal, ob er gerade die Designphilosophie hinter dem innovativen Schuhwerk seiner Marke erläutert oder ausholt, um die mangelhafte Kultur der modernen Autoindustrie zu beschreiben.
Im Jahr 2016 präsentierte Koolhaas eine rollende polygonale Skulptur namens Lo Res Car, deren radikale Formensprache zugleich die Essenz des Lamborghini Countach verkörperte. Dafür erhielt Koolhaas neben dem Wallpaper* Design Award auch weltweite Anerkennung für dieses Grenzen sprengende Konzept. Getragen vom Erfolg und überzeugter denn je von der Richtigkeit seines Ansatzes, will Koolhaas jetzt ein eigenes Autounternehmen gründen, dass sich über die Vergangenheit hinwegsetzen soll und die Zukunft kompromisslos im Blick hat.
Was ist Ihre früheste Erinnerung an ein Auto?
Als kleiner Junge war ich verrückt nach Autos. Meine Bücher waren Autobücher und ich habe sie wie besessen studiert, um zu entdecken, wie schnell manche Autos waren und wie viel sie kosteten. Ich habe auch ständig Autos gezeichnet. Zunächst wollte ich Autodesigner werden, aber während meines Architekturstudiums habe ich erlebt, wie Autodesigner tatsächlich arbeiten – mir war dann klar, dass das nichts für mich ist.
Stattdessen haben Sie dann beschlossen, Schuhe zu entwerfen.
Als wir damit anfingen, haben wir Schuhe gefertigt, die spezialisierte Schuhdesigner nie so machen würden. So wie ein Autodesigner unser Auto nie auf diese Weise entwerfen würde, weil es Aspekte besitzt, die man für dumm oder unlogisch halten kann. Weil ich keine Ahnung hatte, wie Schuhe eigentlich entworfen werden, hatte ich keinen Bezug, keine Vorgaben – ich wollte nur etwas schaffen, das cool ist. Diese Unbekümmertheit habe ich zu meinem Vorteil genutzt. So wurden meine Schuhe, was sie heute sind.
Was ist Ihr Lieblingsauto?
Der DeLorean zählt unbedingt dazu – so ein hartes, kantiges Design. Während meiner Kindheit haben mich meine Eltern aufs Land in New Jersey geschickt, um dort den Sommer mit Freunden zu verbringen. In der Straße, in der sie wohnten, lebte ein Mann mit einem DeLorean. Von diesem Augenblick an habe ich davon geträumt, auch einmal einen zu besitzen.
Warum haben Sie sich keinen gekauft?
Ich bin zu praktisch geworden. Meine Philosophie lautet: genug Geld zu verdienen, um mir keine Sorgen machen zu müssen und nicht Dinge zu kaufen, die ich nicht brauche. In meinem Leben kaufen wir keine Dinge, um sie zu sammeln, wir bauen sie. Alte Autos verführen mich trotzdem von Zeit zu Zeit – ich würde gerne einen Citroën SM kaufen und ihn elektrifizieren.
Was ist das Lo Res Project und wie ist es entstanden?
Wir haben 2007 einen 3D-Scanner gekauft und begonnen, damit Objekte einzuscannen. Dank der Software konnten wir mit der Auflösung spielen. Das hat uns sehr inspiriert, weil jede Auflösung eine andere Form hervorgebracht hat. Es war ein Experiment in Redesign und der Ansatz, Dinge durch eine stufenweise niedrigere Auflösung zu vereinfachen. Wir haben mit einem Schuh angefangen, weil wir ja in erster Linie eine Schuhfirma sind. Aber dann haben wir uns an den berühmten Designstuhl von Panton herangewagt und es schließlich mit einem Weinglas probiert. Bei jedem Objekt war dann eine jeweils unterschiedliche Auflösung die schönste.
Wie kommt eine Modemarke dazu, ein Auto zu bauen?
Für mich ist United Nude mehr eine Lifestylemarke, und weniger eine Schuhmarke. Ich empfinde mich nicht als Schuhdesigner – ich bin Designer und Architekt. Ich wusste immer, dass Schuhe der Schritt hin zu anderen Dingen sein würden. Das Auto war eher ein Projekt am Rande ohne echtes Budget und Zeitplan. Wir hatten mit dem Lamborghini Countach angefangen und machten davon eine "Lo Res Sculpture" für unseren Laden in New York. Ursprünglich basierte das Auto auf der Lotus Elise, weil sie eine schöne Form besitzt und weil Lotus bereit war, uns ein Auto zur Verfügung zu stellen. Aber dann haben die Manager dort anders entschieden, weil sie dachten, wir wüssten nicht, was wir tun. In der Rückschau hat uns das geholfen, die Dinge noch einmal mehr aufs Wesentliche zu reduzieren und das Auto von Grund auf selbst zu bauen. Wir haben untersucht, von welchem Schritt aus es am einfachsten zu fertigen wäre, und haben entdeckt, das es die lowest Resolution ist, denn da ergeben sich die meisten flachen Oberflächen – das erleichtert die Rahmenkonstruktion. So entstand aus praktischen Erwägungen die Form des Fahrzeugs
Wie war bisher die Resonanz auf das Auto?
Erstaunlich gut. Wir waren damit im letzten Jahr bei der Grand Basel und die berühmtesten Designer der Welt wie Giugiaro und Zagato waren dort genauso wie die junge Generation. Ich dachte zunächst, sie würden das Lo Res Car hassen und meinen, er gehörte dort nicht hin. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich habe mich sehr gut mit Giugiaro verstanden, fast wie ein Bruder sogar, und er liebte unser Auto. Er verstand, dass nur ein Außenseiter etwas entwerfen konnte, das mit so vielen Regeln des Automobildesigns brach. Er hat den DeLorean gezeichnet – einer meiner Lieblinge. Ich kaufe bei jeder Gelegenheit John DeLoreans Biografie, um sie zu verschenken. Es ist mein Lieblingsbuch. Ich zeigte Giugiaro ein eingeschweißtes Exemplar und fragte ihn, ob er das Buch haben möchte. Er war sehr glücklich.
Sie sagen, dass Sie als Designer, der außerhalb der Autowelt agiert, frei von den Zwängen der Industrie agieren können. Denken Sie, dass es derzeit zu wenig Innovation in der Industrie gibt?
Ich finde, dass im modernen Autodesign ziemlich viel Dummheit und zu wenig Cleverness herrscht. Autos sind viel zu oberflächlich und modisch geworden. Wenn Sie einen aktuellen BMW mit einem sechs oder sieben Jahre alten Modell vergleichen, dann besitzen fast nur die Frontscheinwerfer eine neue Form. Die eigentliche Qualität des Produkts scheint nicht wesentlich verbessert. Das heißt, dass die Hersteller ihr Augenmerk auf die falschen Dinge legen. Das mag von einem geschäftlichen Standpunkt aus sinnvoll sein, weil sie mehr Autos verkaufen müssen. Autos könnten aber eigentlich viel länger halten – man könnte ein Fahrzeug locker zwanzig oder mehr Jahre fahren. Aber die Autoindustrie ist so angelegt, dass Menschen dauernd neue Autos kaufen, das wiederum erzeugt mehr Abfall, der wiederum umweltschädlich ist. Für mich ist nachhaltiges Design vergleichbar mit einer alten Uhr – ein Produkt, das ein Leben lang hält. Autos könnten diesem Konzept folgen, hätten sie weniger integrierte Technologie an Bord. Und für die verbaute Hardware sollte es Updates geben. Aus diesen Gründen denke ich darüber nach, eine eigene Autofirma zu gründen. Wir entwickeln derzeit ein Fahrzeug, das sich leicht bauen und auch verkaufen lässt. Ich sage nicht, dass dies ein Auto für Jedermann wäre, aber es gäbe dafür fraglos einen Markt. Wir eröffnen ein neues Kapitel im Automobildesign, und ich weiß, dass wir dabei nicht die einzigen sind.
Meinen Sie, dass die großen Hersteller jetzt aufmerksam zuhören und mitschreiben?
Nein, die treibende Kraft wird die Bitcoin-Generation sein – man braucht ein neues Denken, das Teil der Zukunft und nicht der Vergangenheit ist. Es ist ein regional agierender Ansatz, der nichts mit den mächtigsten Autoherstellern gemein hat. Er wird den Menschen aufzeigen, das die großen Hersteller nicht so gut für Welt sind – ganz ähnlich, wie Bitcoin illustriert hat, wie unvertrauenswürdig Banken sind. Ich glaube fest an Bitcoin. Man kann gerade beobachten, wie es sich mit dem Establishment anlegt, weil das Produkt cleverer ist und kein Betrug – die Blockchain-Technologoe ist einfach viel transparenter und nachhaltiger. Man sollte die Frage stellen: Warum gilt ein neues Auto als besser, obwohl die Technologie die gleiche ist? Ich habe ein neues SUV für meine Frau gesucht und die einzigen Modelle, die mir wirklich modern und intelligent vorkamen, waren die von Volvo.
Was halten Sie von Elon Musk und Tesla?
Für mich ist Elon Musk eine der führenden Persönlichkeiten der Welt. Er ist für mich wie die Figur Tony Stark, der als Comicheld „Iron Man” zugleich Unternehmer und Visionär ist. Musk ist für mich aus vielen Gründen ein Held. Das Design eines Tesla ist sehr raffiniert und schön, aber trotzdem sieht es wie ein ganz normales Auto aus. Musk wollte etwas entwickeln, dass normal wirkt, aber eigentlich schon etwas völlig anderes ist – er wollte die Menschen nicht verschrecken. Außerdem könnte er womöglich gar nicht beurteilen, was daran unkonventionell ist. Würde er für uns arbeiten, wir würden zusammen ein revolutionäres Elektroauto entwickeln, dass ganz anders aussehen würde als jedes andere Auto. Aber Musk ist Geschäftsmann. Er versteht, was Menschen wollen. Um das zu bedienen, musste er wählen und entweder das Aussehen oder die Technologie verändern. Er entschied sich für letzteres.
Sind Sie mit ihrem Auto von einem technologischen Standpunkt aus dort, wo Sie sein möchten?
Darum geht es eigentlich nicht – unser Fahrzeug könnte man im Lauf der Zeit upgraden und somit wären sowohl die Software wie die Hardware immer auf dem neuesten Stand. Das Design passt sich durch die harten, klaren Formen diesen Anforderungen an. Das Auto lässt sich auch leichter und günstiger herstellen, weil man nichts biegen oder aufwändig formen muss. Das teuerste an der Konstruktion ist die Werkzeugherstellung für die Gussformen. Weil bei uns die Karosserieteile alle rechteckig sind, kann man darauf gut verzichten. Das macht es einfacher.
Ist das Lo Res Car das Auto der Zukunft?
Nein, aber das andere Auto, an dem wir gerade arbeiten schon. Ein SUV...
Fotos: Alex Lawrence/ The Whitewal for Classic Driver