Mercedes-Benz enthüllte den serienmäßigen 300 SL Flügeltürer zusammen mit dem ähnlichen kleineren 190 SL 1954 auf der International Motor Sports Show in New York. Sechs Monate vor dieser fulminanten Premiere hatten die Stuttgarter Vorstände schließlich dem Drängen des amerikanischen Importeurs Max Hoffman nachgegeben, der seinen wohlsituierten Kunden endlich einen Sportwagen anbieten wollte. Als Entwicklung aus den erfolgreichen 300 SL-Rennwagen war das Coupé mit den Flügeltüren, obwohl es für die damalige Zeit atemberaubende 29.000 D-Mark kostete, sofort ein Verkaufsschlager. Zum Vergleich: Für den Mercedes 170 Vb mussten nur 7.900 DM investiert werden.
Eine konservative Farbtafel
Möglich, dass der heftige Preis dann doch viele Käufer bewog, den spektakulären Sportwagen in serienmäßigem metallischem Silber zu ordern. Bemerkenswerte 530 (oder 39%) der 1.400 gebauten 300 SL wurden in diesem Lackton ausgeliefert - 27% mehr als die weißen Modelle, die in der Beliebtheit auf dem zweiten Platz rangierten. Gegen Ende der Serienlaufzeit 1956 und 1957 wurden die Kunden in ihren Farbwünschen allerdings immer wagemutiger. Neben den zehn Serienfarben bot Mercedes dann auch die Möglichkeit, individuell fast jede nur erdenkliche Farbe zu bestellen. Dazu zählten ein heller Elfenbeinton, Efeugrün und ein zartes, auf den Namen „Moonstone” getauftes Grau.
Wenn Zeit und Ort ideal zusammenpassen
Egal, ob sich ein Auto in wundervollem Originalzustand befindet, liebevoll gepflegt wurde oder sich fantastisch fahren lässt, ausschlaggebend beim Kauf scheint immer noch dessen Farbe zu sein. Wenn es um die Lackierung geht, dann geben Geschmack und Persönlichkeit den Ton an, gerade dann, wenn Understatement mehrheitsfähig geworden ist. Andererseits: Es gibt bekanntlich eine Zeit und einen Ort für alles, zum Beispiel für alles, was den Sommer so verheißungsvoll macht. Was passt besser dazu, als dieser aquamarinfarbene Mercedes 300 SL Flügeltürer , der zur Zeit von DPM Motors in Monaco gelistet wird?
Von Understatement und silberner Dezenz kann bei dieser Farbe "Eisblau" natürlich keine Rede sein, aber gleichzeitig überzeugt, wie sehr dadurch die sinnlich-anmutige und breite Formgebung des 300 SL zur Geltung kommt. Wir gestehen, noch nie einen Flügeltürer in diesem Outfit gesehen zu haben - die Farbe wirkt ein wenig satter und leuchtender als das serienmäßige Hellblau. Ein faszinierendes Rätsel. Ohne Frage, eine kontroverse Farbwahl, die für verdrehte Hälse sorgen wird - aber Aufmerksamkeit wird ein 300 SL immer erregen.
Eine Spritztour zum Casino
Das Interieur dieses außergewöhnlichen Coupés steht der Außenfarbe in nichts nach, denn das dunkelrote Leder bildet einen geschmackssicheren Kontrast zum helleren Zyan, das sich in der Gestaltung des Armaturenbretts fortsetzt. Es herrscht ein gelungener Rhythmus aus Rot und Aquamarin mit den Elfenbein-Akzenten des Lenkrads und des Schaltknaufs. Man will auf der Stelle elegant in diese weinroten Sitze gleiten (das Steuer lässt sich wegklappen) und eine Runde in Monte Carlo drehen, eventuell sogar einen Flügel lässig hoch schwingen lassen, ehe man über den Platz vor dem Casino schlendert.
Dieser 300 SL wurde 1956 gebaut und vor einigen Jahren ausgiebig restauriert. Er ist in startklarem Zustand, also warum sich nicht von sicherem Silber verabschieden und diesen Sommer etwas Verrücktes wagen? Man könnte eigentlich eine Wette darauf abschließen, dass der glückliche Käufer keinem weiteren 300 SL als Cyan-Zwilling begegnen wird.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2016