Der Mineralöl-Konzern Shell ist längst nicht mehr für bahnbrechende Filmproduktionen bekannt – eher sorgt er für negative Schlagzeilen. Wie zuletzt im Zuge von auf sein Konto gehende Ölkatastrophen im Niger-Delta. Doch 1953 genoss nicht nur Shell selbst, sondern auch seine Abteilung für Dokumentarfilme einen noch „sauberen“ Ruf. Als Folge eines schon in den 1930er-Jahren eingesetzten Konkurrenzdrucks unter den Ölriesen dienten die Shell-Filme weniger als Werbemittel in eigener Sache, sondern als ein Medium, welches das Publikum informieren und unterhalten sollte. Und ganz nebenbei mit viel Action und Animationen die technischen Wunder der Zeit anschaulich erklärten. Dazu verfolgten die Filmemacher einen journalistischen Ansatz, was ihnen ungeteilten Respekt einbrachte. Einer von ihnen war R.H. Bill Mason.
So authentisch wie möglich
Als Shell 1953 beschloss, einen Film über die Mille Miglia zu drehen, kam für den Job des Regisseurs nur ein Mann infrage: eben Bill Mason, Vater des Pink Floyd-Schlagzeugers und berühmten Ferrari-Sammlers Nick Mason. Da er nicht nur ein Dokumentarfilmer, sondern auch ein erfahrener Gentleman Racer war, wusste Mason, dass er für ein wirklich authentisches Porträt des Rennens Aufnahmen aus dem Cockpit eines teilnehmenden Rennwagens bräuchte. „Diese Idee stand irgendwie im Raum, und ich glaube, es war Enzo Ferrari persönlich, der sie möglich machte“, erinnert sich Nick Mason während unseres kurzen Austauschs über das Auto. „Denn er kannte die Fahrer und wusste auch, dass der Pilot dieses 166 MM, Doktor Alberico Cacciari, noch keinen Beifahrer hatte. Vielleicht ist auch etwas Geld geflossen oder es half die Tatsache, dass mein Vater etwas Rennerfahrung besaß und falls nötig auch das Steuer hätte übernehmen können.“
Crewmitglied
Cacciaris Einsatzauto war jener Ferrari 166 MM Spider von 1953 mit Chassisnummer 0272M, der in der nächsten Woche bei der RM Sotheby Auktion in Paris versteigert werden soll. Es handelt sich um den fünften von 13 für 1953 gebauten Ferrari 166 MM, zeichnet sich aber durch einige charakteristische Details aus: Flache „Nase“, großer Kühlergrill, Stromlinien-Design, zwei Luftlöcher pro Seite, winzige Türen, Aluminium-Karosserie und ein Heck in Form einer Zahnpastatube. Bei so vielen mutigen Features mag man denken, sehr schnell auf den verantwortlichen Karosseriebauer zu kommen, doch findet sich kein einziges Detail, das mit 100-prozentiger Sicherheit auf ein spezielles Designhaus schließen ließe. Auch lässt sich nirgendwo in den Fahrzeugpapieren ein Hinweis auf den Erbauer des 166 MM finden. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Aurelio Lampredi der Designer war und Ferrari das Auto komplett selbst gebaut hat.
Mit seinem nur zwei Liter großen V12 war der kleine Ferrari vielleicht nicht der ideale Kamerawagen – zumal das Filmgerät in jenen Jahren noch in der Hand gehalten werden musste. Was man an den zum Teil doch recht stark verwackelten Inboard-Aufnahmen sehen kann. Doch war er definitiv der coolste.
Intensive Eindrücke
Während des 37 Minuten langen schwarz/weiß-Films hat das Auto ein paar wenige kurze Auftritte vor der Linse, doch sind es die aus dem Cockpit gefilmten Sequenzen, die den Film zu etwas Besonderem machen. Weil sie eine Perspektive zeigen, die nur Bill Mason einnehmen konnte. Mit italienischem Kommentar unterlegt gibt der Streifen einen guten Einblick in das Rennen, vom Anfang bis zum Ende. Man sieht die Menschenmassen, wie sie die Fahrer umringen und die Straßen zu Tausenden säumen, hört die Anfeuerungsrufe, wenn die Autos durch die Städte und Dörfer brausen, sieht, wie sie kurvige Passagen angehen, wie sie zum Teil liegenbleiben oder Reifen wechseln. Und zum Schluss dann die Zieldurchfahrt in Brescia. Mason fing sogar die Schauspielerin Ingrid Bergman ein, wie sie ihrem Gatten Roberto Rosselini beim Zwischenstopp in Rom zuschaut. Der berühmte italienische Regisseur fuhr einen Ferrari 250 MM Vignale, konnte das Rennen wegen eines Getriebeschadens aber nicht beenden. Angeblich war Ingrid Bergman gegen einen Start. Sie protestierte wirksam gegen die Ambitionen ihres Mannes, in dem sie sich in Rom während des Stopps auf den Ferrari legte. Diese Szenen sind im Shell Film allerdings nicht zu sehen, da schien Mason wohl einen Verhaltenskodex für solche Situationen befolgt zu haben...
In doppelter Rolle
Den schnellen Schnittwechsel zwischen Rennszenen und Reaktionen der Zuschauer verfeinerte Mason über die Jahre und baute ihn zu einem regelrechten Markenzeichen aus. Was vielleicht ohne diesen Ferrari nie passiert wäre. Der im übrigen ja auch noch ganz normal im Rennen mitfuhr – und das gar nicht mal schlecht. Denn Doktor Caccciari lief am Ende als 56. von 475 Startern und 22. in der Sportwagen-Klasse bis 2 Liter ein. Ein tolles Ergebnis für jedes Auto, noch dazu, wenn es zugleich als Filmauto unterwegs war.
Geschichte wird geschrieben
Der Wagen ging übrigens 1954 noch einmal bei der Mille Miglia an den Start – erneut im Rahmen eines Films. Diesmal jedoch vor den Kameras des von den MGM Studios produzierten Streifens The Racers mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Bill Mason machte sich derweil im Auftrag von Shell an eine dreiteilige Dokumentation über die Geschichte des Motorsports – eine Arbeit, die über 20 Jahre Arbeit erforderte. Nicht nur hat dieser Ferrari 166 MM Spider einen gebührenden Platz in der Geschichte des Motorsports. Zugleich half er auch dabei, das Genre Autorennen auf die große Leinwand zu bringen. Ohne ihn (und Bill Mason) hätte es vielleicht automobile Kultfilme wie Bullitt, The Italian Job, Gone in 60 Seconds, The Fast and the Furious, oder Baby Driver nie gegeben.
In weniger als einer Woche könnte dieses einmalige Stück automobiler Filmgeschichte Ihr Eigentum sein – wenn RM Sothebys den Ferrari 166 MM Spider bei seiner jährlichen Pariser Auktion am 7. Februar meistbietend versteigert.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2018