Eine unserer nachhaltigsten Motorsport-Erinnerungen gebührt einem 2014 bei Le Mans Classic gestarteten Porsche 911 Carrera RSR Turbo 2.1. Es war mitten in der Nacht, und als das in Martini-Farben drapierte Monster durch Indianapolis hindurch in Richtung Arnage donnerte, glühte sein riesiger und seltsam nach außen herausragender Turbo feuerrot. Für uns als Zuschauer war er in diesem Moment das coolste Rennauto des Planeten. Jetzt stehen wir wieder vor ihm, und beim Anblick der gigantischen Walfischflosse und der ungemein breiten Hüften kommt das gleiche Gefühl wieder hoch...
2014 wussten wir wenig über die außergewöhnliche Historie des Autos, ebenso wie über jene des 911 Carrera RSR 2.8, der ebenfalls zum Fototermin erschienen ist und mit dem sich das Turbomodell die Chassisnummer teilt. Oft hört man in der Welt der klassischen Geschichte von gleich mehreren Autos, die alle von sich behaupten, das Original zu sein. Und von Besitzern, die mit allen Mitteln beweisen wollen, dass ihr Modell das „echte“ ist.
Im Fall dieser beiden Werks-Porsche ist die Faktenlage jedoch eindeutig: Der Carrera RSR 2.8 ist der „R5“ (Porsches interne Codebezeichnung) in seiner Original-Spezifikation von 1973. Der Turbo 2.1 hingegen ist eine originalgetreue Nachbildung des „R5“, nachdem er für die Saison 1974 zum Turbo weiterentwickelt worden war. Unter Verwendung zahlreicher Originalteile – darunter nahezu die gesamte Karosserie – und abgestempelt mit der identischen Chassisnummer, allerdings ergänzt um den Zusatz „/2“.
Sie mögen sich fragen, warum der Besitzer einen solchen Aufwand betrieb, um zu Ehren des R5 in seiner 1974er-Ausführung einen zweiten RSR aufzubauen. Die Antwort ist einfach: Als erster 911 mit Turboaufladung markierte er den Anfang einer langen Ahnengalerie von erfolgreichen und auf Serienmodellen basierenden Porsche Rennwagen. Was ihn zu einem der wichtigsten Modellen der Porsche Rennhistorie adelt. Noch immer nicht klar? Dann machen Sie mit uns zusammen eine Zeitreise in die Langstrecken-Saison 1973.
Die für die Marken-WM 1973 bei Porsche aufgebauten 911 Carrera RSR Prototypen trugen alle mit einem „R“ beginnende Codenamen und sollten zwei Ziele erfüllen: Rennen gewinnen und rollende Prüfstände für neue Technologien sein. Aus diesem Grund starteten sie oft in der Prototypen- statt in der Gruppe 4-Klasse, für die sie eigentlich homologiert waren. Das dort großzügigere Reglement erlaubte mehr Freiheiten, mit der Folge regelmäßiger Upgrades, die so radikal wie effektiv ausfielen.
Als Konsequenz traten die „bescheidenen“ 911 direkt gegen die lupenreinen Prototypen von Ferrari und Matra an. Was nicht verhindern konnte, dass Carrera RSR sowohl die 24 Stunden von Daytona als auch die Targa Florio gewannen und in Le Mans einen respektablen vierten Platz im Gesamtklassement erkämpften.
Der klassischere der beiden hier auf der privaten Rennstrecke von Lurcy-Levis nahe Magny-Cours (Frankreich) fotografierten 911 – Chassis 911 360 0576 oder R5 – wurde als einer dieser Werks-Carrera RSR-Prototypen in Weissach gebaut. Im „M491“-Paket enthalten waren große Felgen und Reifen, Kotflügelverbreiterungen, eine Karosserie aus dünneren Aluminium-Blechen und ein 2,8-Liter-Sechzylinder-Boxer mit Doppelzündung und guten 300 Pferdestärken.
Als erster komplett in Martini-Farben glänzender 911 feierte R5 bei den 6 Stunden von Vallelunga am 23. März 1973 sein Debüt. Es endete mit den Piloten Gijs van Lennep und Herbert Müller mit Platz acht im Gesamtklassement und Platz 2 in der GT-Klasse, nur geschlagen auf P7 von den Teamkollegen Follmer/Kauhsen im zweiten Auto mit Chassisnummer „R6“. Einige Wochen später dominierten der Holländer und der Schweizer bei den 1000 km von Dijon dann die GT-Klasse und holten sich den ersten Siegerpokal. Beim nächsten Lauf, den 1000 km von Spa, reichte es erneut zum Klassensieg, diesmal errungen durch die Paarung George Follmer/Reinhold Jöst.
Im Mai führte ein Unfall am Nürburgring zum Ausfall des R5 für Le Mans. Das Auto kehrte zurück nach Weissach, und ab diesem Punkt bog seine Laufbahn und Entwicklung in eine komplett andere Richtung ab. In Erwartung einer neuen Silhouette-Formel (Gruppe 5) für die Saison 1975 witterte Porsche die Chance, mit dem durch die Einsätze mit dem RSR und den turbogeladenen Can-Am-Modellen 917/10 und 917/30 gesammelten Erfahrungen einen neuen und erstmals aufgeladenen 911 auf die Räder zu stellen. Der Plan machte auch kommerziell Sinn: Langstreckenrennen waren damals recht populär und Firmenchef Ferry Porsche drängte darauf, bei den Rennwagen auch optisch wieder stärkere Bezüge zur Serie herzustellen. Schließlich war es der 911, der in den Showrooms der Händler stand.
Norbert Singer wurde mit der Leitung des Projekts betraut und nahm sich unverzüglich des „R5“ an. Und so wurde aus diesem Ex-Sauger-911 RSR der erste mit einem Turbomotor bestückte Porsche 911. Der Leichtbau-Motor hatte einen Hub von 66 Millimetern und eine (neue) Bohrung von 83 Millimetern, unterschied sich im Kern aber kaum vom bekannten Sechszylinder-Boxer der Zuffenhausener. Nur der Hubraum war aufgrund des von der CSI festgesetzten Handikapfaktors 1,4 für Turbomotoren auf 2.142 ccm beschränkt. Gestartet wurde so in der Dreiliter-Klasse.
Ein fetter KKK-Lader wurde unter den riesigen Heckspoiler geschnürt, gleich darüber platziert der Kasten für den Ladeluftkühler. Das Gebläse war in der ersten Ausführung noch stehend, später dann über dem Motor liegend untergebracht. Das berüchtigte „Turboloch“ war noch ein echtes Problem, ebenso wie chronische Überhitzung, doch war das Kraftpaket effektiv und gab in seiner letzten Version 500 PS ab.
Parallel zum neuen Motor entwickelten die Porsche Ingenieure eine radikal neue Karosserie aus Polyester und Blech, die zumindest an der Front die Grundform des 911 noch erkennen ließ. Das Rückfenster aus Plexiglas lag nicht mehr in einer Vertiefung, sondern wurde bündig und nahezu horizontal mit der Dachkontur eingeklebt. Auffälligstes Detail waren die abgedeckten hinteren Seitenfenster, in deren Verkleidung Luftbeschleunigerdüsen (NACA-Düsen) integriert waren. Der Einsatz vieler 917-Teile, speziell für die komplexen Aufhängungssysteme, halfen, das Leergewicht auf unter 800 Kilogramm zu drücken. Gebaut wurden insgesamt vier RSR 2.1 Turbo.
Porsche hatte zunächst nicht geplant, den R5 einzusetzen. Doch aufgrund einer Terminkollision mit Le Mans wurde er im Juni 1974 für das 1000-km-Rennen von Imola noch einmal in Dienst gestellt. Der Einsatz mit der Paarung Schurti/Koinigg endete vorzeitig mit Turboladerschaden. Nach zahlreichen starken Ergebnissen – darunter Platz zwei bei den 24 Stunden von Le Mans 1974 – zog Porsche die Carrera RSR Turbo zurück. Ihre DNA jedoch wurde für die Entwicklung der nächsten 911 Turbo genutzt. Auf 934 und 935 folgten die formidablen Prototypen 936, 956 und 962. R5 wurde verkauft und ging in die USA; wo er bis 2012 verblieb.
Zuvor, genauer gesagt 2001, fiel die fragwürdige Entscheidung, das Auto auf seine ursprüngliche Carrera RSR 2.8-Spezifikation zurückzubauen. Zugegeben, in dieser Gestalt hatte R5 seine Rennerfolge gefeiert. Doch nach seiner Umwandlung zum Turbo waren große Teile des Originals verloren gegangen. Zugleich war für Sammler sein Status als erster 911 mit Turbomotor und spiritueller Vorläufer einer der erfolgreichsten Modelle der gesamten Motorsportgeschichte wichtiger als zwei Klassensiege.
Doch die Entscheidung war final, und der bekannte amerikanische Porsche-Experte Gunnar Racing führte die Rückführung des R5 auf den Stand von 1973 auch makellos aus. In weiser Voraussicht legte er jedoch alle vom 1974er-Modell demontierten Teile beiseite und verkaufte sie schließlich an Manfred Freisinger in Deutschland.
2012 erwarb ein Porsche Sammler aus Frankreich den restaurierten R5 und beauftragte Sébastien Crubilé von Crubilé Sportmit dessen Pflege und Wartung. Nach zahlreichen Diskussionen entschieden beide, das zweite Leben von R5 neu aufleben zu lassen und unter Verwendung der demontierten 74er-Teile ein neues Auto aufzubauen.
Es begann eine intensive Forschungsphase. Crubilé aktivierte seine Kontakte zum Porsche Museum, studierte die reiche Fotosammlung von Gunnar, die jede Phase des dort in den 2000er-Jahren ausgeführten Umbaus minutiös dokumentierte und brachte natürlich seine eigene Expertise ein. Eine 911 2.4 Rohkarosserie wurde beschafft und so sympathisch restauriert, dass die unglaubliche Patina der Original-Karosserie erscheint. Die Chassisnummer 911 360 0576/2 dokumentiert, dass dieses Auto eine Hommage an das zweite Leben des R5 ist und keineswegs vorgeben will, das „echte“ Auto zu sein.
Sei es die betörende Patina des 74er-Modells oder die schiere Größe der aufgeschwollenen Karosserie – der Turbo-911er macht uns besonders an, auch wenn der 2,8-Liter-Wagen auf seine eigene Art auch Präsenz verströmt. Die weitgehend originale Außenhaut des RSR Turbo trägt Blasen und Risse; Schmutz und Ruß hat sich in seinen zahlreichen Spalten verkrustet – stille Zeugen zahlreicher Rennschlachten damals und heute.
Viel Aufwand wurde verwendet, seinen Prototypen-Status nachzubilden – keine einfache Aufgabe, unterschieden sich doch die vier RSR Turbo in vielen Details voneinander. Mechanisch ist der Nachbau so authentisch wie irgend möglich. Crubilé ließ kein Teil unangetastet und kennt das Auto daher wohl besser als jeder andere. Nun schwingt der frühere Le Mans-Rennfahrer die federleichte Tür nach oben und lädt uns ein, ins Auto zu springen. Wir beißen ihm vor Begeisterung förmlich die Hand ab...
Einen Porsche 911 Carrera RSR Turbo 2.1 am Limit und vom Beifahrersitz aus zu erleben, ist nur noch gleichzusetzen mit dem Anblick des identischen Autos, das 2014 nachts über den Kurs von Le Mans brauste. Du weißt, dass es sehr schnell sein wird, doch bist nicht ganz sicher, wie all diese Power umgesetzt werden wird. Sébastien steuert das Auto wunderbar und es ist eine echte Freude zu beobachten, wie er jedes Quäntchen an Performance aus dem aufgeladenen Auto herausholt. Der Eindruck ist außerirdisch. Wie zu erwarten, setzt der Turboschub verzögert ein, doch wenn er kommt, fühlt es sich an, als würde man von einer gigantischen Schleuder direkt zum Mond geschossen.
Die Geräusche, die Gerüche und die frenetisch zuckenden Turboanzeigen im Cockpit sind überwältigend, doch ist keine Zeit lange nachzudenken. Gerade als wir erwarten, dass Sébastien für die nächste Kurve anbremst, hält er das Gaspedal gedrückt, um den Ladedruck durch die ganze Biegung hochzuhalten und uns am Kurvenausgang herauszuschießen. Der „Grip“ ist außerordentlich, zweifellos zu verdanken den 917-Felgen und dem 917-Fahrwerk. Einem Auto aus dieser Epoche würde man es nie zutrauen, mit so viel Nachdruck auf dem Asphalt zu kleben. Das auffällige Zwitschern und Zischen des Wastegates (Abblasventil), das bei jedem Zurückschalten bis in die Kabine dringt, verleiht dem ganzen Spektakel noch ein i-Tüpfelchen.
Man könnte wochenlang darüber diskutieren, welcher dieser beiden so speziellen Porsche nun der Bezeichnung „R5“ mehr zur Ehre gereicht. So verwinkelt ist ihre jeweilige Geschichte. Doch die simple Tatsache, dass beide Autos – das eine als Sauger und das andere als Turbo – als eine Art doppeltes Lottchen glücklich unter demselben Besitzer koexistieren – erstickt solche Debatten im Keim. Kurz gesagt: Die Autowelt ist ein besserer Ort mit zwei R5 statt nur mit einem.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2019