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Der Vauxhall, der ein Porsche 917 sein wollte

Der Vauxhall, der ein Porsche 917 sein wollte

Vauxhall gilt in punkto Design eher als graue Maus. Doch auf der London Motor Show 1970 sprengten die Briten für einmal alle Fesseln: Mit der vom Amerikaner Wayne Cherry gezeichneten Studie SRV schoss ein Le Mans-Auto auf die Straße.

Ein Auto wie aus dem Weltraum

Es war ein Amerikaner, der Vauxhall für einmal in die ganz großen Schlagzeilen brachte. Wayne Cherry, Absolvent des als Kaderschmiede bekannten Art Center College of Design, startete seine Designer-Laufbahn 1962 bei General Motors, wo er am Original-Chevy Camaro und Pontiac Firebird sowie am 1966er Oldsmobile Toronado mitwirkte. 1965 entsandte der Vorstand den hoffungsvollen Nachwuchsmann nach England, wo GM für die Tochter Vauxhall an deren Stammsitz Luton gerade ein neues Designstudio eröffnet hatte. Für den damals 28-Jährigen Wayne war es eine einmalige Chance, sich anders als in der Konzernzentrale in relativ kurzer Zeit einen Namen zu machen. Der 1966 als erste Vauxhall-Konzeptstudie überhaupt auf dem Genfer Salon vorgestellte XVR war zwar durchaus attraktiv und auch voll fahrfähig, ähnelte aber zu sehr der gerade erst herausgekommenen Corvette, dem in kleiner Serie gebauten Chevrolet Cheetah oder auch dem Opel GT. Doch im Oktober 1970, rechtzeitig zur London Motor Show, holte Cherry als Assistant Design Director im Konzert mit seinen Kollegen Chris Field und John Taylor zum ganz großen Coup aus: Der Vauxhall SRV – das Kürzel stand für Style and Research Vehicle – landete im Earls Court wie ein Raumschiff von einem anderen Autoplaneten. So etwas von Vauxhall? Presse und Publikum überschlugen sich beim Anblick des als Experimental-Studie ausgewiesenen Viersitzers mit patriotischen Begeisterungsstürmen. Während die zweite Messe-Neuheit von Vauxhall, der HC Viva, dagegen zwangsläufig verblasste.

Die Langhecks von Le Mans standen Pate

Wayne Cherry war Motorsport-Fan und mit dem betonten Langheck und der Cab Forward-Sitzposition des fünf Meter langen Concept Cars zitierte er nach eigenen Angaben jene Porsche 917-LH, die sich 1969 in Le Mans in Geschwindigkeitsbereiche oberhalb von über 330 km/h vorgewagt hatten. Der hintere Übergang war mit 1,31 Meter länger als die Fahrzeughöhe von 1,05 Meter! Ähnlich wie die 917er sah Cherry auch für den SRV bewegliche Aerodynamik-Hilfen vor; allerdings keine „Flaps“ am Heck wie bei den Porsche, sondern ein über ein Pedal im Cockpit verstellbares Flügelprofil in der Bugschürze. Zugleich war für die Hinterachse eine elektrische Niveauregulierung vorgesehen. Darüber hinaus war es möglich, Benzin in verschiedene Tanks zu pumpen, um den SRV wie ein Flugzeug zu „trimmen.“

Mittelmotor war nur ein Dummy

Als reines Experimentalmodell war der SRV ohne Antrieb – dazu fehlte Vauxhall auch schlicht das Geld. Die De-Dion-Hinterachse wurde daher auch nur provisorisch an das hintere Rahmenteil geschraubt – und öffnete man die Heckhaube, kam ein wie der übrige Wagen aus Holz, Glasfaser und Aluminium gebastelter Motor zum Vorschein. Es war ein quer installierter 2,3 Liter-Vierzylinder mit Benzineinspritzung und Bi-Turbo-Aufladung in perfekter Fake-Anmutung. Was Showbesucher dann doch etwas enttäuschte – erwarteten sie doch eher einen V8 oder besser noch V12. Hinter dem Motor gähnte eine leere Reserveradmulde und ganz am hinteren Abschluss fand sich noch Platz für sechs Rundanzeigen, Sicherungen und Anschlussstecker für externe Prüfgeräte. Es gab unter anderem Anzeigen zum Ladedruck und zur Abgastemperatur; ein Manometer zeigte den an verschiedenen Punkten der Karosserie gemessenen Staudruck an.  

Vier Sitze und unsichtbare Türgriffe

Durch die großen vorderen Türen gelang ein bequemer Einstieg auf die vorderen Plätze; der Weg zu den hinteren Sitzen durch gegenläufig öffnende Pforten war jedoch eher für Schlangenmenschen konzipiert. Eine echte Innovation waren allerdings die versteckten Griffe – ein erst Jahrzehnte später in die Serie einfließendes Feature. Zugang zu den zur Hälfte verkleideten Hinterrädern gewährten ausschwenkbare Paneele. Im Interieur war höchstens das wie aus einem ausgemusterten U-Boot wirkende Lenkrad ein Schönheitsfehler. Die Sitze hätten sich auch gut in einer Raumkapsel gemacht und waren fest moniert. Doch für eine optimale Sitzposition ließen sich nicht nur das Lenkrad, sondern auch die Sitzneigung und die Pedale einstellen. Ansonsten fielen neben einem Ferrari-artigen Schaltknüppel und vom Dach herunterkommenden Sicherheitsgurten vor allem die zwischen Instrumentenbrett und Fahrertür untergebrachten Armaturen ins Auge. Beim Öffnen der Tür schwenkte der klobige Klotz dank eines Schiebemechanismus mit nach außen, was den Einstieg erleichterte. In der Tür untergebrachte Zusatzinstrumente tauchten 1992 auch wieder beim Jaguar XJ220 auf – dessen Designchef war ein gewisser, 1970 auch zum Vauxhall-Designteam gehörender Geoff Lawson!

Inspiration für junge Designer

Der SRV wurde 1971 nochmals auf dem Genfer Salon gezeigt und tauchte auch noch weitere Jahre bei Automessen auf – unter anderem 1978 zum 75. Firmenjubiläum Vauxhalls. Es dauerte auch bis 1978, ehe Cherry, Taylor und Co. mit dem Equus – einem Roadster mit Frontmotor – noch einmal für Aufsehen sorgten Der SRV kam derweil in die Heritage Collection von Vauxhall, wo er bis heute davon zeugt, dass das Vauxhall-Designstudio – gab man ihm einmal freie Hand – es einst mit jedem der arrivierten Konkurrenten hatte aufnehmen können. Für Wayne Cherry, dem GM 1975 die Leitung des Designcenters in Luton anvertraut hatte, war die kreative Zeit in England der Startschuss zu einer großen Karriere. Ab 1983 leitete er aus Rüsselsheim das Design von Opel beziehungsweise GM Europe, kehrte dann 1991 in die USA zurück, um sich in leitender Position um das Design der Marken Chevrolet und Geo zu kümmern. 1992 dann der Höhepunkt: Beförderung zum Vice President Design GM weltweit. Am 1. Januar 2004 trat Cherry in den Ruhestand, nach 42 Jahre in derselben Firma. Der Vauxhall SRV bleibt Teil seiner „all time greatest“. Auch wenn er nie in Serie gehen sollte, inspirierte er eine ganze Automobildesigner-Generation. 

Fotos: Alex Lawrence for Classic Driver © 2017

Den Vauxhall SRV – und die hier gezeigten Fotos von Alex Lawrence – finden Sie übrigens auch in unserem neuen Buch "Fast Forward: Autos für die Zukunft, die Zukunft des Autos". Der Bildband ist im Webshop von Gestalten und im Classic Driver Markt erhältlich. Classic Drivers Chefredakteur Jan Baedeker hat Maximilian Funk und Robert Klanten vom Gestalten-Verlag als Mitherausgeber bei der Buchkonzeption und Entwicklung unterstützt.