Die Insolvenz der Carrozzeria Bertone und des mit ihr verbundenen Designstudios gehört zu den großen Tragödien der jüngeren italienischen Automobilgeschichte. Um das Schlimmste zu verhindern, hatte das Unternehmen aus dem Turnier Stadtteil Grugliasco 2011 mit dem Lancia Stratos Zero und dem Lamborghini Marzal schon zwei seiner ikonischsten Konzeptstudien verkauft – beide aus der Feder von Marcello Gandini und anerkannte Meisterwerke des futuristischen Designs. Im Mai dieses Jahres schickte schließlich das Turiner Auktionshaus Aste Bolaffi Schockwellen durch die weltweite Designcommunity, als man in Mailand weitere Showcars sowie Tonmodelle und Sammlerstücke aus dem Bertone-Archiv versteigerte. Überraschenderwiese intervenierte der italienische Staat quasi in letzter Minute und verfügte, dass viele Lose aufgrund ihres archäologisch-künstlerischen Status im Land verbleiben müssten. Was dann die meisten der internationalen Bieter im Saal abschreckte.
Nun hat Aste Bolaffi für den 17. November 2018 eine zweite Auktionsrunde angesetzt – diesmal mit 197 Lots aus Bertone-Beständen sowie 35 erschwinglichen Sammlerautos. Die sorgfältig von den Auktionsspezialisten kuratierten Teile, Sammlerstücke und Stylingmodelle geben einen Überblick über die wechselvolle Geschichte des Designstudios. Auf die Sammler warten zahlreiche wohlbekannte Abzeichen und Logos, manche über zwei Meter hoch. Man kann sogar auf einen riesigen Bertone-Schriftzug bieten, der einst für das Produktionswerk in Grugliasco gefertigt worden war. Zur Versteigerung stehen auch Marcello Gandinis altes Zeichenbrett und ein Handbeil, mit dem Firmengründer Giovanni Bertone seine Initialen ins Holz schlug.
Für geschätzt mehrere hundert Euro kann man die Felgen solch mystischer Showcars wie Lancia Sibilo oder Lamborghini Athon erstehen; für rund 1000 Euro erhält man die Windschutzscheibe oder Sitze aus dem Lancia Stratos – zumindest steht das so in Aste Bolaffis Auktionskatalog. Die tatsächlichen Gebote dürften eher höher ausfallen. Unter den zahlreichen Stylingmodellen aus Holz oder Kunstharz befinden sich neben unbekannten Prototypen auch Ikonen wie der Lamborghini Miura und Countach oder der Alfa Romeo Carabo. Es gibt sogar ein 1:1-Modell des Chevrolet Corvette Mantide Concepts – für gerade einmal 1.000 bis 1.500 Euro. Und auch wenn einige Angebote so niedrige Schätzpreise aufweisen, dass ihre Bedeutung für das Erbe Bertones unbedeutend scheint, so stellen doch auch sie eine Chance dar, ein echtes Stück italienischer Design-Geschichte zu erwerben. Wir sprachen mit Aste Bolaffi-Experte Tommaso Marchiaro, um mehr über die Hintergründe der Versteigerung zu erfahren.
Können Sie bitte erklären, woher diese Gegenstände genau kommen und was zum Verkauf steht?
Bertone war eine Holding mit eigenständigen Geschäftsbereichen. Das 1972 in Caprie am Eingang zum westlich von Turin gelegenen Val di Susa gegründete Designcenter war zuständig für die reine Designarbeit und den Prototypenbau. Es war noch bis 2014 selbstständig. Die Sektion der Versteigerung, die sich mit Automobilia beschäftigt, setzt sich aus den vielen kleinen und großen Gegenständen zusammen, die von dort stammen. Wir sprechen hier von mehreren Dutzend Stylingmodellen im Maßstab 1:5 – für Lamborghini Miura oder Countach über Modelle für Skoda, Citroën, BMW (darunter auch Einzelstücke), Fiat und Alfa Romeo bis zu Tata. Dazu Trophäen, die Bertone für seine Designs erhielt, das große „B“, das am Eingang zum Studio auf der Wiese stand, weitere Logos aus dem Inneren des Gebäudes, zeitgenössische Bilder, Ersatzteile für Fahrzeuge und Prototypen, Poster, Magazine, Bücher und vieles mehr.
Was sind die interessantesten Bertone Lots?
Das ist schwer zu beantworten und hängt schließlich vom jeweiligen Betrachter ab. Wenn Sie bereits ein automobiles Einzelstück von Bertone besitzen und in der Auktion nun Ersatzteile dafür zum Verkauf stehen, dann sind diese sicherlich sehr wichtig für Sie, aber eben nicht so sehr für andere Bieter. Anderseits könnte der Originalrahmen und die Graverbell-Windschutzscheibe für den Lancia Stratos für Restauratoren interessant sein – sie sind die perfekte Blaupause und Referenz, um Teile nach zu fertigen, die es seit Jahren nicht mehr auf dem Markt gibt und nach denen viele Sammler verzweifelt suchen. Viele Teile beziehen sich auf den Fiat X 1/9, ein Modell, das auch bei Bertone produziert wurde, und viele zuvor noch unbekannte Werbeprospekte für dieses Modell. Weiterhin haben wir einen 12-Zylinder-Motor für den Lamborghini Espada, komplett mit Getriebe. Aber auch Werbeplakate von Pirelli aus den 1970er-Jahren, auf denen von Bertone gestylte Modelle zu sehen sind. Besonders attraktiv sind die Aluminiummodelle der wichtigsten jemals von Bertone gezeichneten Modelle. Sie zierten die Wände in Caprie und sind wahre Kunstwerke. Wir haben auch bislang noch nie veröffentlichte Bilder aus der Presseabteilung und den kleinen Hammer, mit dem die Bertones ihre Initialen in Holzteile schlugen und damit deren Produktionsfreigabe bestätigten. Das ist ein wichtiges Stück Geschichte, denn bis heute kann man an den frühen Autos der Firma noch immer die durch die Hammerschläge hinterlassene Markierung erkennen.
Aktuell besteht ein großes Interesse an Bertones Automobildesign, speziell am Werk von Marcello Gandini in den 1960er- und 1970er-Jahren. Was macht den Reiz dieser Autos aus moderner Perspektive so interessant?
Erlauben Sie mir, mit einer Frage zu antworten: Was machen die Zeichnungen von Leonardo so speziell? Marcello Gandini war so talentiert, dass er – noch immer in seinen Zwanzigern – zu Bertone kam und dort sehr schnell ein Designdenkmal namens Giorgetto Giugiaro ersetzte und die Erinnerung an diesen verblassen ließ. In seiner langen Karriere stieg Gandini zu einem der talentiertesten Autodesigner aller Zeiten auf. Heute scheint es daher nur natürlich, dass sich die Resultate seiner Kreativität in den weltweit begehrenswertesten Sammlerautos wiederfinden beziehungswiese diese dazu machen. Interessanterweise stehen Gandini-Autos bei Sammlern oft in gleich hoher Gunst wie die von Giugiaro während dessen Zeit bei Bertone entwickelten Modelle. Es ist eine Art Kampf der Titanen.
Sie haben ja bereits im Mai eine erste Auktion mit Stücken aus dem Bertone-Archiv veranstaltet. Doch lief diese nicht wie geplant. Können Sie erklären, was genau passierte? Und warum sich das nicht wiederholen wird?
In Italien haben wir so viel Kunst, dass sich Institutionen um deren Schutz kümmern. Wird ein Artefakt als historisch wichtig eingestuft, darf es Italien nicht verlassen. Und besteht es aus mehreren Einzelteilen, müssen diese zusammen verkauft werden. Darin liegt eine Logik, und mit kleinen Unterschieden gilt diese Regelung auch in vielen anderen europäischen Ländern. Aste Bolaffi hat diese Regeln immer mit großem Respekt behandelt. Mit der Bertone Collection haben wir etwas angeboten, das schon seit Jahren im Bewusstsein der Öffentlichkeit war. Während dieser Zeit hätten die dafür zuständigen Abteilungen Zeit genug gehabt, fragliche Gegenstände als schützenswert zu bewerten. Doch das Institut zum Schutz der Gegenstände trat erst in Aktion, nachdem wir das Datum für die Auktion festgesetzt hatten. Noch überraschender: Nur wenige Stunden vor dem Beginn der Versteigerung trat plötzlich eine andere Abteilung auf den Plan, die sich mit den Stylingmodellen und einigen der Autos befasste. Sie sagten, dass sie den Prozess jetzt starten würden und die Prüfung einige Monate in Anspruch nehmen würde.
Neben den Lots aus der Bertone Collection verkaufen sie auch einige klassische Sportwagen, zum Großteil italienischer Provenienz. Welche würden Sie herausstreichen?
Die Idee war, zu einer hübschen Auswahl an Youngtimern einige klassischere und sehr ansprechende Modelle zu stellen, nicht zwangsläufig italienische. Die Prämisse lautete: lieber ein gutes Exemplar eines „normalen“ Modells als ein durchschnittlicher Exote. Ich finde Bolaffis Experte für diese Autos hat einen sehr guten Job gemacht. Da gibt es mit dem BMW M6 von 1985 ein typisches 100-Punkte-Auto. Ebenso ein Porsche 911 Carrera von 1993, ein 993 Coupé mit nur 61.544 zertifizierten Kilometern. Symbol der Youngtimer-Bewegung ist der Lancia Delta. Davon haben wir gleich drei: einen 1984er HF Turbo, einen 1988er Integrale 8V und einen 1991er Integrale 16V EVO1 – alle in exzellentem Zustand und mit sehr transparenter Historie. Speziell der EVO 1 zeigt uns in jedem Detail, wie ein Delta Integrale im Neuzustand aussah. Der Talbot Sunbeam Lotus 2.2 ist für viele ein Traumauto, doch sehr selten und in der Regel ein Überlebender aus langen Rennsportjahren. Das Auto von 1979, das wir anbieten, hatte drei Besitzer, es hat nie eine Rallyesonderprüfung gesehen und wurde die ganze Zeit von einem englischen Experten gewartet. Wir haben auch noch einen schönen Fiat Nuova 500 Sport aus 1959, die seltenste und begehrteste Version des Cinquecento, noch mit dem im originalen Bordbuch eingetragenen Verkaufspreis. Und einen 1971er Alfa Romeo Montreal, der so gut fährt, wie er aussieht. Ja, und wer demnächst bei der Mille Miglia starten will, für den ist der Alfa Romeo Matta von 1951 die perfekte Wahl.