Er war der Star der Brimingham Motor Show 1984 – der Lotus Etna. Presse wie Publikum feierten den neuen englischen Supersportwagen. Das Design stammte wie schon beim Esprit von Giorgetto Giugiaros Kreativstudio Italdesign aus Turin und entsprach dem kantigen Stil der Zeit – doch auch unter dem Blech sollte die Lotus-Studie beeindrucken: Lotus-Chefingenieur Tony Rodd hatte für das Projekt einen neuen V8-Mittelmotor mit vier Litern entwickelt – das Aggregat vom Typ 909 hatte viele Gemeinsamkeiten mit den Vierzylinder-Reihenmotoren, die in den meisten Lotus-Modellen zum Einsatz kamen, leistete jedoch stolze 320 PS. Gleichzeitig arbeitete die Entwicklungsabteilung von Lotus an einer zivilen Version der aktiven Radaufhängung, die bei den Grand-Prix-Rennwagen aus Hethel eingesetzt wurden. Bei der Premiere des Etna in Birmingham wurde für die Serienversion eine solche Aufhängung versprochen. Als erster Lotus sollte das neue Mittelmotor-Topmodell auch über ABS, Tranktionskontrolle und eine umfassende Geräuschdämmung verfügen. Auch die Leistung des V8 sollte auf 335 PS ansteigen und den Etna zum Porsche- und Ferrari-Jäger heranwachsen lassen.
Doch auch wenn das Lotus Etna Concept einem fahrbereiten Auto zum Verwechseln ähnlich sah, handelte es sich doch um ein Styling-Modell aus Ton, Glasfaser und Holz. Während sich Lotus um die ingenieurstechnische Entwicklung gekümmert hatte, war bei Italdesign vor allem an der Formgebung gearbeitet worden. Als Basis hierfür diente ein verlängertes Chassis des Lotus Esprit. Der Etna war der erste Botschafter einer neuen Modellreihe und sollte zunächst einmal Aufmerksamkeit erregen – doch Lotus stand finanziell auf wackeligen Beinen und konnte das Projekt im Anschluss an das Messe-Debüt nicht zur Serienreife bringen. Den finalen Gnadenstoß erhielt der Etna schließlich im Jahr 1986, als GM die britische Marke übernahm. Angesichts steigender Benzinpreise waren die Amerikaner überzeugt, Lotus sei mit seinen kleinen, leichten und preiswerten Modellen besser aufgestellt als mit einem ausgewachsenen Supersportwagen.
In der Öffentlichkeit tauchte der Lotus Etna erst 15 Jahre später wieder auf: Das britische Auktionshaus Coys versteigerte das Showcar im Jahr 2001 an den Lotus-Sammler Olav Glasius, der seinen neuen Besitz wiederum an den Ex-Lotus-Ingenieur und Restaurierungs-Spezialisten Ken Myers zur Instandsetzung weiter gab. Und Myers erlebte eine Überraschung: Denn unter Schichten von Ton und Glasfaser fand sich tatsächlich ein funktionsfähiges Getriebe und – noch viel wichtiger – ein V8-Motor vom Typ 909. Nur zwei Exemplare dieses Triebwerks waren jemals gebaut worden, eines blieb im Besitz von Lotus. Wie sich herausstellte, hatte man neben dem Esprit-Chassis auch Teile der Technik nach Turin geschickt, um Giugiaro das Packaging zu erleichtern. Glasius war so begeistert von dieser Entdeckung, dass er Myers beauftragte, das Modell in einen fahrbaren Sportwagen zu verwandeln. Die fehlende Mechanik wurde einfach einem Lotus Esprit entliehen. Kein Jahr später drehte der Etna seine erste Runde in Goodwood.
Was wäre wohl gewesen, hätte Lotus seine finanziellen Probleme in den Griff bekommen und den Etna damals tatsächlich in Serie gebracht? Würde man ihn heute in einem Atemzug mit britischen Supercars wie dem Jaguar XJ220 oder dem McLaren F1 nennen? Es bleibt zu hoffen, dass die Geschichte sich nicht wiederholt und wir einst auf die aktuellen Lotus-Studien zurückblicken und uns fragen, was wohl aus ihnen geworden wäre.
Fotos: Bonhams & Italdesign
Classic Concepts series