Wer 46 „Best of Show“-Preise bei den prestigeträchtigsten Concours der Welt errungen hat, darf von sich behaupten, das ein oder andere über die Restaurierung alter Automobile zu wissen. Zu Paul Russels Kunden gehören so erstrangige Sammler wie Ralph Lauren und Andreas Mohringer, und auf der Liste der Fahrzeuge, an denen er und sein hochspezialisiertes Team Hand anlegten, stehen legendäre Vorkriegsmodelle wie der Mercedes-Benz SSK des Grafen Trossi oder Nachkriegs-Diamanten wie jener Ferrari 335 Sport, der in diesem Jahr den Preis „Best of Show“ bei der Villa d’Este gewann.
Da seine Kunden auf höchste Diskretion Wert legen, gewährt Russell Medienvertretern in der Regel keinen Zugang zu seinen geheiligten Hallen. Doch für einmal erlaubte er Rémi Dargegen, einen typischen Tag in einem Betrieb zu dokumentieren, der sich über die letzten 40 Jahre zurecht den Ruf einer der weltweit feinsten Adresse der Restaurationsbranche erworben zu haben. Also Ladies und Gentlemen, nehmen Sie sich ein wenig Zeit, denn das ist optisch wie textlich ein Schmankerl....
Was sind Ihre frühesten autom0bilen Erinnerungen?
Wie ich im Alter von fünf Jahren auf der Auffahrt rund um den Oldsmobile Futuramic Rocket 88 spielte. Mein Vater war sehr stolz auf dieses Auto, und meine Schwester und ich füllten regelmäßig den Tank mit Kies! Meine wahre Begeisterung für Autos entsprang dann jedoch einem Cord Beverly Sedan, den ich auf dem Weg von der Schule nach Hause neugierig durch die Fenster einer Garage erspähte. Die Form des Autos gefiel mir, und das Armaturenbrett entsprach meiner Vorstellung von einem Flugzeug-Cockpit.
Wie haben Sie die neu entdeckte Passion dann weiter mit Leben erfüllt?
Meine Familie hatte keine interessanten Autos, doch mein Vater war ein Ingenieur, der seine Laufbahn mit einer Mechanikerlehre begonnen hatte. Wir hatten samstags immer irgendwelche Projekte, bei denen Dinge repariert werden mussten. Dabei brachte mir mein Dad viel Handwerkliches und den richtigen Einsatz von Werkzeugen bei. Mein automobiler Erleuchtungsmoment kam, als ein Schulkollege mit seinem Bugeye Sprint öfters zu uns herüberkam. Das war mein erster Kontakt zu einem Auto, das nicht nur zum Transport von Personen, sondern für reinen Fahrspaß entwickelt worden war. Von d an wusste ich: Hier muss ich dabei sein.
Ab wann und wie haben Sie begonnen, an klassischen Autos zu arbeiten?
Das Auto-Thema vereitelte eine mögliche Universitäts-Laufbahn. Ich verließ sogar die Schule, um als Mechaniker-Trainee bei einer freien Mercedes- und Volkswagen-Werkstatt anzuheuern. Zum Glück ließ mich mein Chef nicht nur den Werkstattboden fegen – im Gegenteil bezog er mich beim Ausbau von Motoren oder bei schweren Wartungsarbeiten direkt mit ein. Zwei Jahre später wechselte ich zu einer kleinen, auf die Restaurierung von Mercedes-Modellen der 1950er-Jahre spezialisierten Firma. 1978 entschied sich deren Besitzer, den Werkstatt- vom Verkaufsbereich zu trennen. Ich übernahm das Restaurierungsgeschäft – und damit war die Gullwing Service Company geboren.
Sie wurden dann in der Folge zu einer weltweiten Referenz-Adresse für Mercedes-Benz 300 SL Restaurierungen – wie kam das zustande?
Als ich anfing, konnte man einen zwar etwas müden, aber fahrfertigen „Flügeltürer“ noch für 10.000 Dollar bekommen. Doch egal, wie heruntergekommen solch ein Auto war – wir haben nie auch nur ein einziges dem Schrotthändler übergeben. Die Besitzer waren immer bereit, viel Geld auszugeben, um ihr Modell am Leben zu erhalten. Uns inspirierte die hohe Fertigungsqualität eines neuen 300 SL. Daran maßen wir unsere Arbeit und setzten uns zum Ziel, die Besten auf diesem Gebiet zu werden.
Nach dem 300 SL haben sie sich an die Restaurierung der schönsten Vor- und Nachkriegswagen aller Zeiten gemacht. Woher haben Sie das Wissen bezogen, auch diese Arbeiten so perfekt auszuführen?
Vor allem durch die Entwicklung eines erfolgreichen Prozesses und daran unabhängig von der Marke festzuhalten. Natürlich ist markenspezifisches Wissen sehr wichtig, doch sind entsprechende Recherchen nur Teil des gesamten Restaurierungsprozesses. Zur Materialabgleichung reisen wir auch, um uns andere große Modelle eines Typs anzuschauen, an dem wir arbeiten. Wir haben das Privileg, zu einer tollen Community zu gehören, die uns Zugang zu einigen der außergewöhnlichsten Sammlungen ermöglicht.
Sie haben ja auch einige Fahrzeuge aus der Ralph Lauren-Sammlung restauriert. Hat das Ihrer Reputation genutzt oder waren Sie zu diesem Zeitpunkt schon auf einem hohen Niveau?
Nein, vor der Restaurierung seines Bugatti Atlantic sicher nicht. Aber wir hatten durch die vorangegangene und gemeinsam durchgezogene Mercedes-Restaurierung sein Vertrauen gewonnen. Ich war zu dem Zeitpunkt sehr daran interessiert, mich breiter aufzustellen, darunter Vorkriegswagen und Coachbuilt-Modelle. Als er uns fragte, ob wir den Atlantic machen wollten, antwortete ich, dass ich kein Experte für dieses Auto sei, doch zu einem werden würde. Es ist sehr einfach, mit ihm zu arbeiten – er setzt die Standards hoch und fragt, ob man sie einhalten kann. Er erwartet, dass Du das umsetzt, was Du versprichst.
Wenn Sie ein Auto restaurieren: Steht dann die Originalität im Fokus oder richten Sie sich nach den Wünschen des Besitzers?
Die meisten Besitzer, mit denen wir arbeiten, möchten eine Restaurierung nach Original-Spezifikationen. Die Details überlassen sie dabei mir. Wenn ein Besitzer eine alternative Idee hat, zum Beispiel eine andere Farbe, schlagen wir zumindest vor, einen Farbton zu wählen, der auch schon beim Original-Modell in der Palette stand.
In den 80er- und 90er-Jahren wurden viele Autos übergenau oder inkorrekt restauriert. Heute dagegen legen Besitzer und Restaurateure Wert darauf, die Originalität zu respektieren. Wie bewerten Sie diesen Gesinnungswandel?
Ich denke, es ist sehr wichtig, solche neuen Werte voranzutreiben. Damals ist sicher viel Schaden angerichtet worden, doch orientiere ich mich lieber an den Fakten als an einer diffusen Nostalgie. Ich höre sehr viel darüber, wie schlecht manche Autos zusammengebaut wurden oder über den Zustand der alten Oberflächen. Ich ziehe es vor, mich auf originale Materialquellen zu stützen und darauf die täglichen Entscheidungen zu treffen, die während einer Restaurierung anstehen.
Nehmen wir als Beispiel den Ex-Baillon Collection Ferrari 250 GT California Spyder. Was sind die Herausforderungen bei solch einem Modell?
Zunächst muss man mit der Vorstellung aufräumen, dass dies ein Kandidat für die „Preservation Class“ gewesen wäre. Das Auto wurde insgesamt fünf Mal in unterschiedlich hellen und dunklen Blautönen lackiert! Das Interieur war in Vinyl, die Türen bestanden aus Kunststoff, die Stoßstangen und die Haube waren Spezialteile und das Auto war zudem sehr rostig. Zum Glück hat es bei der Pariser Auktion von Artcurial einen neuen Besitzer gefunden. Und trotz des vernachlässigten Gesamtzustandes sind die wichtigsten Komponenten korrekt. Der Ferrari hat mehr ‚matching numbers’, als ich sie je bei einem anderen Auto gesehen habe.
Gibt es irgendwelche Anekdoten zu Autos, die Sie restauriert haben?
Mir machen die persönlichen Beziehungen, die bei der Beschäftigung mit historischen Automobilen und bei der gemeinsam geplanten Restaurierung entstehen, sehr viel Spaß. Da lernt man eine Person erst richtig kennen. Wir hatten zum Beispiel einen bezaubernden Kunden namens Bud Lyon. Wir hatten schon zuvor einige großartige Autos für ihn gemacht und waren auf halber Strecke bei der Restaurierung eines Alfa Romeo 8C 2300 Castagna Cabriolets. Bud war ein promovierter Ingenieur am MIT und ein sehr ruhiger und nachdenklicher Mann. Es dauerte eine Zeit, bis ich herausfand, dass er kein Freund von Last-minute-Problemen war, wie man sie oft findet, wenn man sich zu einer Deadline verpflichtet hat. Daher achtete ich sehr drauf, ihn immer über den Fortgang der Arbeiten zu unterrichten.
Anfang Juli, als wir uns gerade einer Deadline für Pebble Beach näherten, rief Bud an. Ob er vorbeikommen könne, um Bekannten, die gerade zu Besuch waren, unsere Werkstatt zu zeigen. „Jederzeit“, antwortete ich. Als er dann kam und sich den Alfa anschaute, arbeiteten gerade sechs oder sieben Mann an verschiedenen Teilen des Autos. Es war ein heißer und schwüler Tag, und wir hatten den Kühlschrank mit Eiscreme und Eis am Stiel vollgepackt. Jeder trat zurück und nahm das Angebot einer Erfrischung an, während Bud das Auto studierte und die Sitzposition ausprobierte.
Ich bot auch Bud ein Eis am Stil an, und er nahm es dankend an. Er ließ den Blick sorgfältig über das Auto schweifen und alle warteten gespannt darauf, was der große Mann jetzt sagen würden – meine Jungs liebten es, für Bud zu arbeiten. Es herrschte langes Schweigen, bis ich ihn irgendwann einfach fragte. Seine Antwort: „Dieses Eis schmeckt fantastisch!“
Bei Paul Russell & Co. sind Mitglieder aus unterschiedlichen Altersgruppen tätig. Ist das wichtig für Sie?
Ja, sehr wichtig sogar. Unser jüngster Mitarbeiter ist 22, der älteste 72. Wo immer es sich anbietet, versuchen wir, generationsübergreifende Gruppen zu bilden. Nicht alles kann man aus Büchern oder Werkstattliteratur lernen. Und in unserer Industrie ist schon genug praktische Erfahrung verloren gegangen.
Fast alles wir bei Ihnen in-house erledigt, oder?
Alles bis auf schwere maschinelle Arbeiten, wie das Schleifen von Kurbelwellen oder spezielle Arbeitsschritte wie Chrombeschichtungen. Es fällt schwer sich vorzustellen, wie eine gelungene Komplett-Restaurierung ohne eine reibungslose Koordination zwischen den verschiedenen Abteilungen gelingen könnte. Wir beteiligen uns auch an einem Studiengang Automotive Restoration des McPherson College in Kansas, dem einzigen anerkannten Bachelor-Studiengang für Automobil-Restaurierungen in den USA. Er verfolgt jenseits von Restaurierungen auch Aspekte wie Kommunikation, Automobilgeschichte und Business Management. Damit ist er auch für Museen, Publikationen und private Sammler interessant.
Auch wenn Sie es nicht zugeben werden: Sie stehen an der Spitze des weltbesten Restaurierungsbetriebs. Wie fühlen Sie sich dabei?
Natürlich empfinde ich Stolz, wenn ich als einer der Besten gelte. Speziell, wenn ich meine Runden durch den Shop drehe und jeden Tag sehe, welche hochwertigen Tätigkeiten hier ausgeführt werden. Manchmal, wenn ich für ein paar Tage weg war und dann zurückkomme, bin ich immer wieder begeistert, was diese Handwerker zustande bringen. Wir sind selbst unsere größten Kritiker – doch ich bin von Natur aus Optimist und halte mich nicht lange mit Fehlern auf. Sondern ziehe es vor, eine Lösung zu finden, zu lernen und nach vorne zu denken.
Gibt es ein Auto, auf dessen Restaurierung Sie ganz besonders stolz sind?
Das klingt ja so, als würden Sie mich nach meinem Lieblingskind fragen! Aber auf jeden Fall fallen darunter Ralph Laurens Alfa Romeo 8C 2900 MM, Andreas Mohringers Ferrari 335 Sport und Miles Colliers Mercedes W154 Grand Prix. Ich schätze mich sehr glücklich.
Was fahren Sie in Ihrer Freizeit?
Einen Porsche 356 A, BMW 2002 Tii, einen 73er-Porsche 911 Carrera RS und manchmal meinen Stutz Bulldog Special Baujahr 1916. Und ich fahre auch eine BMW 100RS von 1977.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018