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Das Goodwood Festival of Speed ist unser Motorsport-Nirwana

Das Goodwood Festival of Speed ist unser Motorsport-Nirwana

Am letzten Wochenende donnerten gewaltige Pferdestärken durch das malerische West Sussex. Denn auf dem Landsitz des Herzogs von Richmond traf sich der Who´s Who des Motorsports, um beim Goodwood Festival of Speed mit grandiosem Getöse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu feiern.

Manchmal muss man sich schon fest zwicken beim Goodwood Festival of Speed, auch bekannt als die rasanteste Gartenparty der Welt. Ist das wirklich Damon Hill hinter dem Steuer jenes Benetton B194, in den Michael Schuhmacher berühmt-berüchtigt in Adelaide krachte, um den Formel 1-Weltmeistertitel 1994 davonzutragen? Ist das tatsächlich Arturo „Little Art” Merzario, der im Paddock mit Emerson Fittipaldi, Ricardo Patrese und Sir Jackie Stewart herumalbert? Oder der aktuelle McLaren F1-Star Lando Norris, der sich müht, den über 700 PS starken M8D Can Am-Rennwagen an der erschreckend schmalen Steigung des legendären Hillclimbs zu bändigen? Für eingefleischte Motorsport-Connaisseure gibt es keinen anderen Ort auf der Welt, wo man so viel oktanhaltige Historie und lebendige Nostalgie einsaugen kann, als hier in Goodwood.

Dieses Jahr ist bekanntlich reich an Jubiläen. Wie man sich vorstellen kann, wurden sie beim Festival of Speed auf gebührend gefeiert. Auf heimischem Terrain wurde besonders der Jubilar Aston Martin in Szene gesetzt: Auf der spektakulären Skulptur von Jerry Judah thronte mit dem DBR1 der Le Mans-Sieger von 1959 und symbolisierte damit zugleich, dass vor 70 Jahren ein Auto der Marke erstmals das Rennen von Goodwood bestritt.

Das Aufgebot an alten und neuen Aston Martin war so vielfältig wie es einfach nur schön war. Wem werden die Knie nicht weich beim Anblick des von Frank Feeley entworfenen DB3S oder beim vollends entfesselten Sound eines DBR9?  In einem Moment, wie ihn nur die Briten zu inszenieren vermögen, gruppierte sich nahezu jeder Aston um die zentrale Skulptur während die Orchesterversionen von „Rule Britannia” und der James Bond-Themenmelodie erklangen. Für dieses Schauspiel stieg auch am hellen Tag Feuerwerk in die Lüfte, wobei letzteres weniger atemberaubend war als es scheint. 

Bentley feiert 2019 hundertjähriges Bestehen. Während die Marke aus Crewe sehr damit beschäftigt ist, die Feierlichkeiten, die später in dieser Woche über die Bühne gehen, zu organisieren, waren doch die unterschiedlichsten Autos aus dem Jahrhundert versammelt, die entweder temporeich auf dem Kurs oder als stationäre Schönheiten auf dem Cricket-Feld zu bewundern waren. Wie alle wissen, haben wir für Bentley Continental der neunziger Jahre einen Platz in unserem Herzen reserviert, aber ein opulenter Brooklands ist unter den Modellen, die nach 2000 gebaut wurden die unangefochtene Majestät. 

Es ist 50 Jahre her, dass Sir Jackie Stewart seine erste Formel 1-Weltmeisterschaft gewann. Es war ein berührender Moment, als sich der fliegende Schotte den Hügel von Goodwood vornahm - mit seinem Matra-Cosworth MS80 von damals, flankiert von seinen Söhnen Paul und Mark in den Tyrells mit denen ihr Vater seinen zweiten und dritten Titel sicherte.

Und weil die Porsche 917 ebenfalls auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken, gab sich der berühmteste Prototyp der Marke ein Stelldichein in Goodwood. Unsere Freunde bei Crubilé Sport in Frankreich hatten eigens unsere beiden Lieblinge dabei: ein Kurz in silbern - und straßenzugelassen -, der einst Conte Rossi gehörte und die Langheckversion in Martini-Farben auf der 1971 Derek Bell und Jo Siffert in Le Mans an den Start gingen. Bell, der nur einen Katzensprung von Goodwood entfernt im malerischen Pagham lebt, traf hier 48 Jahre später erstmals wieder seinen Rennwagen. Er erreichte zwar nicht ganz die phänomenalen 396 Stundenkilometer auf der Mulsanne-Geraden damals, aber deswegen war er beileibe nicht langsam beim Sprint auf den Hügel. 

Der siebenmalige Formel 1-Weltmeister Michael Schumacher wurde Anfang des Jahres 50 Jahre alt. Noch immer weiß man kaum etwas über seinen Zustand nach dem tragischen Skiunfall 2013. Aber dem Herzog von Richmond gelang das Kunststück, eine fantastische Auswahl der Rennwagen zu versammeln, die Schumachers einzigartige Karriere begleiteten - von seinem ersten Formel-Ford und dem Sauber Mercedes mit dem er 1991 in Le Mans antrat bis zu den Benetton- und Ferrari-Formel 1-Rennwagen mit denen er Weltmeistertitel sichern konnte. 

Außerdem waren eine Reihe von Persönlichkeiten als enge Begleiter von Schumacher dabei wie beispielsweise Jean Todt, Luca di Montezemolo und Ross Brawn. Michaels Ehefrau Corinna und sein Sohn Mick waren von dieser Würdigung und den vielen Gesprächen sehr bewegt. Kämpfe weiter, Michael!

Obwohl der McLaren GT von Angesicht zu Angesicht viel besser aussieht, als auf den Werbefotos und der Ferrari P80/C das Talent besitzt, seine Reifen zu schreddern, waren es doch ein paar klassische Porsche - der „reimagined” DLS von Singer und Lanzantes wilder, mit F1-Triebwerk ausgestatteter 930 - sowie der neue De Tomaso P72, die uns bei der spektakulären Show der Supersportwagen auf Anhieb begeisterten. Gerade letzterer als sinnlicher Karbonfaser-Supercar mit einem den schönsten Renn-Prototypen entlehnten Design ließ am Wochenende unsere Social Media-Kanäle förmlich explodieren. 

Lanzantes 930 ist ein Restomod-911 mit einem ausgesprochen verrückten Ansatz. Die enge Beziehung zu McLaren der in Hampshire basierten Firma, sicherte ihr elf alte TAG-gekennzeichnete und doppelt aufgeladene Sechszylinder-F1-Motoren aus den Regalen. Und weil Porsche damals tatsächlich einen 930 als Basis für den Motorenversuch einsetzte, ehe er dann seinen Weg in Niki Laudas Marlboro-Einsitzer fand, beschloss Lanzante, sie im Heck von elf speziell modifizierten 930 zu transplantieren.

Sie haben richtig gelesen! Für rund eine Million Pfund können Sie ein alten Porsche 911 mit TAG Turbo-Antrieb erwerben, der 26 F1-Siege aus 68 Grand Prix-Rennen zwischen 1984 und 1987 auf seinem Konto hat. Und das Beste? Jedes der fertig gestellten Fahrzeuge besitzt eine Plakette, die aufführt, welche Rennen mit der jeweiligen Maschine gefahren wurden und außerdem wer am Steuer saß.

Wir hatten auch das Vergnügen, uns mit den Singer Vehicle Design-Gründern Rob Dickenson und Maz Fawaz über die Entwicklung der Dynamics & Lightweighting Study - DLS - ein Jahr nach der Enthüllung zu unterhalten. „Wir absolvieren gerade die nervenden Endphasen des umfassenden Abgleichs”, erzählt Dickinson. „Das Konzept war nie einen alten Porsche 911 zu überfrachten, um aus ihm einen Rennwagen zu machen. Der 911 wird geliebt, und er ist auch deshalb auf so vielen Ebenen erfolgreich, weil er diese Dualität besitzt, die wir bewahren mussten.” 

„Wir denken, dass die Maschine jetzt, wo sich im Auto verbaut ist, über 560 PS leistet. Wenn man den Porsche richtig spezifiziert, bleibt das Gewicht unter 1.000 Kilo. Wir haben auch eine vernünftige Anpresskraft durch den überarbeiteten Entenbürzel-Spoiler erreicht. Unser Ansatz war etwas Unbezwingbares zu bauen, das zugleich als Meilenstein in die Geschichte eingehen sollte. Nur allein in unserer Werkstatt in Kalifornien wäre uns das nie gelungen - für uns war dieser 911 alle Mühe wert. Schließlich ist der Porsche 911 der bedeutendste Sportwagen überhaupt. Und warum ihn nicht optimieren dürfen, wenn Geld keine Rolle spielt?” Der erste dieser Porsche 911 „reimagined” by Singer auf der Basis der Dynamics & Lichtweighting Study wird vor Jahresende ausgeliefert. Nur 75 Exemplare werden insgesamt von Singer umfassend überarbeitet.

Eine Reihe von kühnen und opulenten Avion Voisins buhlten mit einem Bugatti Type 57 S Atlantic von 1936 sowie einigen von Zagatos spektakulärsten Schöpfungen um die Gunst der Juroren auf dem Rasen von Cartier Style et Luxe. Allerdings war es der freche kleine Abarth Sperimentale „Goccia” von Vignale - ein Auto, das selbst für Carlo Abarth als zu radikal galt - in den wir uns rettungslos verliebten. 

Einen Menschen gibt es, der mit dem Ausgang des Festival of Speed-Wochenendes nicht restlos zufrieden gewesen sein dürfte- „Quick Nick” Heidfeld. Seine langjährig bestehende Hillclimb-Rekordfahrt von 41,6 Sekunden, de er 1999 am Steuer eines McLaren MP4/13-F1-Rennwagen aufstellte, fiel. Denn der französische Fahrer Romain Dumas wurde in einer kaum zu glaubenden Zeit von 39,9 Sekunden auf der Uhr gestoppt - in einem vollelektrischen VW I.D. R. Traditionalisten müssen dieses Ergebnis vermutlich noch länger verdauen.

Wenn es eine Epoche der Automobilgeschichte gibt - von den Pionieren der Jahrhundertwende, Nachkriegs-GT-Sportwagen, moderne Formel 1 bis zu unserer autonom fahrende Zukunft -, dann hatte der Herzog of Richmond beim Festival of Speed eine reiche Tafel auffahren lassen. Es ist hier manchmal horrend geschäftig und bisweilen höchst kommerziell, aber es lässt sich kein anderer Event nennen, der einen so breiten und doch differenzierten Querschnitt der Autowelt bietet. Warum sonst sollten sich so viele gehende und rollende Legenden jedes in West Sussex ein Stelldichein geben wollen? So, und jetzt bereiten wir uns innerlich auf das Goodwood Revival vor!

Fotos: Robert Cooper für Classic Driver © 2019