Seit 1972 handelt Eberhard Thiesen in Hamburg mit automobilen Raritäten. Dank einer gesunden Mischung aus Leidenschaft, Qualitätsbewusstsein, hanseatischer Verbindlichkeit und Diskretion gilt sein Klassiker-Showroom als eine der besten Adressen in ganz Europa. Im Jahr 2003 gründete Thiesen zusammen mit seinem Freund Helmut Larkamp eine Dependence in Berlin, die dem Hamburger Haus in nichts nachsteht. In der Classic Remise, einem liebevoll restaurierten Straßenbahndepot in Moabit, findet man nicht nur prachtvolle Vorkriegsklassiker von Mercedes-Benz, Horch und Rolls-Royce, sondern auch die großen Nachkriegs-Ikonen wie einen Aston Martin DB4, einen Jaguar E-Type, einen Bentley Continental R-Type oder einen Ferrari 250 GT, die hier allzu verführerisch aufgereiht stehen. Selbst Sammler klassischer Motorräder werden hier fündig. Wir haben uns mit Geschäftsführer Helmut Larkamp über Leidenschaft und Geschäft unterhalten.
Was ist Ihre älteste Erinnerung an ein Automobil?
Ich war immer von Autos umgeben. Die älteste Erinnerung ist die an den Auftritt eines Mercedes 300 SL Flügeltürers, den damals der Chef meines Vaters fuhr.
War das der Beginn Ihrer Leidenschaft für Automobile?
Mein Vater hat seine Autos immer selbst repariert. Und ich war meistens dabei. Es war also ein schleichender Prozess. Mit 14 Jahren habe ich dann Autofahren gelernt und mit 16 Jahren mein erstes Auto gekauft. Als ich 18 wurde, hatte ich schon viele tausend Kilometer auf öffentlichen Straßen zurückgelegt.
Wie sind Sie zu Thiesen gekommen?
Mit 22 Jahren habe ich als Automobilverkäufer bei Mercedes-Benz angefangen. Später wurde ich dort Verkaufsleiter und habe auch sechs Jahre die BMW-Werksniederlassung in Berlin-Weissensee geleitet. Eberhard Thiesen, der Gründer des gleichnamigen Klassiker-Handels in Hamburg, und ich sind seit etwa 37 Jahren befreundet – seit ich 1978 den Mercedes-Benz 190 SL-Club gegründet habe. In meiner Zeit bei BMW entstand dann der Gedanke des Meilenwerkes in Berlin. Ich war früh eingebunden und habe Eberhard Thiesen damals spontan gefragt, ob er mit mir dort ein Unternehmen gründen wollte. Hier sind wir.
Ist Ihre Arbeit bei Thiesen ein Teil Ihrer Leidenschaft?
Ja! Ich gehöre heute zu den wenigen Menschen, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Wenn man etwas wirklich gerne macht, macht man es automatisch gut – Leidenschaft ist die Bedingung.
Was liegt Ihnen bei einem Auto besonders am Herzen?
Ich mochte schon immer alte Autos und schätze die kunstvolle Verarbeitung von Details und sorgfältige Materialauswahl. Nur weil das einst kultiviert wurde, sind wir heute noch in der Lage, uns mit klassischen Autos zu beschäftigen. Die schlechten Autos sind auf dem Schrott gelandet.
Sie sind auch ein begeisterter Rennfahrer, richtig?
Ich fahre natürlich auch alte Autos gern – je älter , desto lieber. Ich bin mit Vorkriegsklassikern wie einem Benz Victoria von 1894, einem Panhard von 1901 oder einem De Dion Bouton von 1898 den London to Brighton Run gefahren und gleich dreimal mit einem Mercedes-Benz SSK von 1928 die Mille Miglia. Später bin ich dort auch mit einem Jaguar XK 120 OTS und einem Alfa Romeo 6C 2500 gestartet. Derzeit bereiten wird einen Ford Weltkugel Taunus für die Mille Miglia 2016 vor, den wir an den PS-Speicher in Einbeck verkauft haben. Dort bin ich übrigens im Kuratorium und im Stiftungsrat.
Wie kommt es, dass Sie sich für einen Showroom im der Classic Remise, dem ehemaligen Meilenwerk, entschieden haben?
Ich hörte über den Berliner Wirtschaftsclub Nordost, dessen Vizepräsident ich damals war, von diesem Projekt und war wohl der Erste, der damals mit dem Initiator darüber gesprochen hat . Ich habe damals zu Ihm gesagt: Wenn Sie das wirklich umsetzen, dann mache ich mich hier selbstständig!
Welche Art von Kunden haben Sie hier in Berlin?
Wir haben eine andere Kundenstruktur, als die Thiesen in Hamburg. Wir leben stark von den etwa 300.000 Touristen, die täglich nach Berlin kommen . Unser Exportanteil ist entsprechend hoch.
Sie führen auch eine Werkstatt. Gehört das ebenfalls zum Angebot?
Wir handeln nur – also Ankauf und Verkauf . Unsere kleine Werkstatt ist nur zur Qualitätssicherung da.
Sie haben immer eine sehr attraktive Auswahl an Klassikern. Wie wählen Sie die Autos aus, die Sie verkaufen möchten?
Wie immer im Handel liegt der Segen im Einkauf. Hier kann ich gut von dem in über 40 Jahren von meinem Partner Eberhard Thiesen und seinen Mitarbeitern erarbeitetem Netzwerk profitieren. Unser Internetauftritt tut sein Übriges dazu.
Besonders beeindruckend sind wir von Ihren Vorkriegsautos, zwei Horch und dem Mercedes. Würden Sie sich als Pre-War-Spezialisten beschreiben?
Sicherlich sind wir über die vielen Jahre zu Vorkriegsspezialisten geworden. Wahrscheinlich hat niemand sonst so viele Sechs- und Acht-Zylinder-Kompressorwagen verkauft, wie wir.
Und wie arbeiten Sie mit Thiesen in Hamburg zusammen? Gibt es einen gemeinsamen Bestand oder hat jeder seine eigenen Autos?
Wir haben einen gemeinsamen Fahrzeugbestand und können unseren Kunden so in beiden Standorten ein entsprechend vergrössertes Portfolio anbieten.
Klassische Automobile erzielen derzeit immer höhere Preise, Millionensummen sind für viele Modelle der Standard. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Als einer der führenden Anbieter im Hochpreissegment haben wir natürlich viel mit den Fahrzeugen zu tun, die von einer bestimmten Klientel derzeit gehypt werden. Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende. Da spielen Dinge wie die Niedrigzinspolitik hinein. Und der chinesische und auch der indische Markt sind noch nicht wirklich für uns offen. Da tut sich noch etwas.
Wenn Budget, Marke und Dekade keine Rolle spielen – welches sind die Klassiker, die man besitzen muss? Als Investment, oder einfach wegen des Fahrspaßes?
Ohne eine Marke oder ein Modell zu nennen – es sind meist die Typen mit der größten Motorleistung innerhalb der Baureihe und der geringsten Stückzahl. Meist sind das auch die, die den größten Fahrspass bereiten.
Und mit welchem Klassiker hatten Sie den größten Fahrspaß?
Mit dem Mercedes-Benz SSK von 1928, mit dem ich die Mille Miglia fahren durfte. Dieses Monstrum, das wir im Renntempo durch Italien bewegt haben, nötigt mir auch heute noch größten Respekt ab.
Haben Sie ein Traumauto?
Ein SSK ist durchaus eines meiner Traumautos.
Fahren Sie auch privat einen Klassiker?
Seit 1978 fahre ich meinen Mercedes 190 SL von 1957. Ich habe noch einen Aston Martin V8 Volante von 1986 und seit 1990 eine Harley.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2015