Wir erinnern uns an körnige Schwarzweißbilder, die Rennlegenden wie Stirling Moss, Graham Hill und Willy Mairesse bei meisterlichen Drifts am Steuer von Ferraris überragendem 250 GT „Short Wheelbase“ einfangen. Das war die goldene Epoche des GT-Rennsports: Goodwood, Le Mans, die Targa Florio und die ursprüngliche Tour de France. Es gab keinen Spielplatz für Enthusiasten der Hochgeschwindigkeit, auf dem der gedrungene und rassige, von Pininfarina gezeichnete und von Scaglietti konstruierte V12 nicht der Konkurrenz auf und davon enteilte. Dass dieser Sportwagen aber auch genauso heimisch auf den eleganten Boulevards von Paris und Beverly Hills war, erhöht weiter seinen Nimbus. Besser geht´s nicht, als dieser Grand Tourer, der Rennkurs wie Straße gleichermaßen souverän beherrscht. Und schöner war, ehrlich gesagt, wohl auch keiner.
Es gibt keinen Blickwinkel aus dem die Proportionen des Ferrari 250 GT SWB nicht perfekt erscheinen. Sicher bietet der legendäre 250 GTO noch stärkere, muskulös herausgearbeitete Kurven, aber für uns wirkt der SWB dank seiner abrupten und aggressiven Nase zielorientierter. Der SWB, den Sie auf unseren Fotos bestaunen, ist Chassis 2563GT, eine Stahlkarosserie inklusive Lusso-Ausstattung, die am 15. Mai 1961 an einen italienischen Sammler ausgeliefert wurde. Ursprünglich war der 250 GT in Grigio Conchiglia – Muschelgrau – lackiert, aber vermutlich gibt es keine Farbe, die sich nicht ideal an diese graziösen Bögen und sinnlichen Linien anschmiegen dürfte.
Aber lassen Sie sich nicht von dem aufwändig gesteppten Leder und den Chromelementen hinters Licht führen! Mit dem verkürzten Leichtbau-Chassis, dem mächtigen 3,0-Liter-V12 von Colombo inklusive Zylinderköpfen aus dem Testa Rossa und vier Scheibenbremsen wurde dieses Auto für Leistung pur geschaffen. Der zweite Besitzer des SWB, der Schweizer Gentleman Driver Daniel Siebenmann, erkannte das Motorsport-Potenzial des Ferrari und nahm 1963 an verschiedenen bekannten Rennen teil. Zunächst war da die Trophée d`Auvergne auf dem Circuit Clermont-Ferrand: Zur Startaufstellung zählten damals auch Größen wie Lorenzo Bandini, Lucien Bianchi und David Piper, Siebenmann beendete das Rennen mit dem insgesamt 23. Platz. Einen Monat später startete er beim Ollon-Villars-Bergrennen und erreichte einen sehr achtbaren 7. Platz in der GT-Klasse.
Auf diesen Erfolg folgte das Sierre-Crans-Montana-Bergrennen in Bern. Danach wurde der Ferrari verkauft und nach Los Angeles verschifft. Wir stellen uns lebhaft vor, wie sich das in den Siebziger Jahren anfühlte, mit diesem grandiosen Auto mit heruntergelassenen Fenstern auf dem Sunset Boulevard oder dem Mulholland Drive zu gleiten, akustisch untermalt vom schnurrenden Zwölfzylinder. In 1979 kehrte Chassis 2563GT in die Schweiz zurück und residierte seitdem in einigen namhaften Ferrari-Sammlungen. Die bekannteste darunter dürfte jene von Jean-Pierre Slavic sein, dem das Auto von 1984 bis 2001 gehörte und der damit auch die Tour Auto 1998 bestritt.
Übrigens war das nicht das einzige Gastspiel im historischen Motorsport. Der nächste Besitzer des 250 GT SWB – ebenfalls ein Schweizer – trat bei verschiedenen wichtigen Events wie der Le Mans Classic und der Ferrari Historic Challenge an. Heute ist Chassis 2563GT Bestandteil einer weiteren wichtigen Ferrari-Sammlung, besitzt die bedeutsame Classiche-Zertifizierung und präsentiert sich in der wunderschönen, betörenden Rosso-Lackierung, die 2563GT im goldenen Sommerlicht als Juwel funkeln lässt.
Fern der Boulevards, auf den schlängelnden, mit Haarnadelkurven gespickten Bergstraßen lebt der Ferrari spürbar auf. Das Handling besitzt die Grandezza, Haltung und die Balance einer Primaballerina. Kein Wunder, dass die größten Fahrer dem SWB Bestnoten verliehen. „Ich habe eben das Auto gefahren und bin überwältigt“, schwärmt Laurent Auxietre von Auxietre & Schmidt, der Classic Driver-Händler, der mit dem Verkauf dieses fantastischen Ferrari betraut worden ist. „Es war eine wahrhaft goldene Ära für Ferrari – einerseits bedienerfreundlich im Alltag und dennoch bereit, unerschöpflich Leistung zu entfalten. Dieses Chassis ist so ausgewogen, wie geerdet. Wenn man diesen Ferrari einmal gefahren ist, will man ihn einfach haben.“
Als letzter der echten Straßenrennwagen ist er dennoch zivilisierter, geräumiger und komfortabler, als der kompromisslosere GTO – aber fast so schnell. Für viele ist der 250 GT SWB Ferraris bester Rennwagen. Er verkörpert den ultimativen Grand Tourer für Rennstrecke und Straße. Und auf der Leiter der Sammlerautos, glauben Sie uns, kann man kaum höher steigen. Mit seiner Seltenheit – nur 165 SWB wurden gefertigt -, seiner klaren Historie und den für ein Lusso-ausgestattetes Fahrzeug noch selteneren damaligen Motorsporteinsatz, ist Chassis 2563GT ein krönender Gewinn für jede ambitionierte Sammlung. Man kann sich dieser Erscheinung einfach nicht entziehen!
Fotos: Stephan Bauer für Auxietre & Schmidt © 2020