Im Zeitalter der Fake News und Verschwörungstheorien können auch wir uns eine kleine Hypothese nicht verkneifen: Die Art Basel ist gar nicht die größte Kunstmesse der Welt, sondern die grandioseste Massenkunstperformance der Menschheitsgeschichte (das globale Finanzsystem einmal ausgeklammert). Alle Teilnehmer, die am vergangenen Dienstag zur Preview strömten – von den Berliner Galeristen mit Dollarzeichen-Kontaktlinsen hinter den Hornbrillen bis zu den sich selbst in den VIP-Schlangen noch grinsend vordrängelnden Supersammlern aus New York – haben sich monatelang in Method-Acting-Kursen auf diesen Auftritt vorbereitet, an ihren Szeneküsschen-Choreografien und der richtigen Intonation von „Amazing“ gearbeitet.
Die besten Kostümbildner haben tausende von Kunstweltkomparsen mit authentischen Attributen ausgestattet, damit bis zu den japanischen Turnschuhen und den ironischen iPhone-Hüllen wirklich alles stimmt. Und die von Denis Rodman eingeleitete, zeitgleich zur Messeeröffnung stattfindende Verbrüderungszeremonie von Donald Trump und Kim Jong-un war nur eine Satelitenschau und Teaser-Performance für die ab kommendem Jahr stattfindende Art Basel Singapore.
Alles Quatsch? Mag sein – doch der amerikanische Künstler Paul Ramirez Jonas setzte als öffentlicher Notar trotzdem seinen Stempel drunter und erklärte für ein paar Goldmünzen unsere so wie zahlreiche weitere dreiste Lügen der Messebesucher im Rahmen seiner Performance „Alternative Facts“offiziell für wahr. Tatsächlich wird es für Künstler und Galerien immer schwerer, dem alltäglichen Realitätstheater noch überraschende Werke, Inszenierungen und Wahrnehmungserlebnisse entgegenzusetzen. Während im Sektor Galleries – der zweistöckigen Power-Shopping-Zone der Art Basel – ironische Tweets im Bildformat fürs Wohnzimmer („There’s a Secret Version of Tinder for Hot People and you can’t use it.“), samt Mauerwerk herausgebrochene Geldautomaten und eine rotierende Autowachanlage mit den großen Klassikern der Moderne um die Pole Position im Milliardärspenthouse wetteiferten, gab es in der Sektion Unlimited wieder einmal die interessantesten Werke zu sehen.
In Barbara Blooms „Tip of the Iceberg“ erwächst in einem dunklen Raum ein Eisberg aus Porzellan der RMS Titanic, während sich an der Decke ein Fries aus Weltraummüll erstreckt. Die eindrücklichste wie nervenzehrendste Erfahrung ist derweil das knapp 50-minütige „Dream Journal“ des Kanadiers Jon Rafman – eine äußerst schräge Dystopie im amateurhaften Videogame-Stil der 1990er Jahre, das man auf merkwürdig antrophomorphen Polyurethansesseln ertragen muss. Siegmund Freud hätte seine Freude gehabt. Manchmal sind es jedoch die einfachen Objekte, die einem am längsten in Erinnerung bleiben: Robert Longos „Death Star II“ – ein Todesstern aus 40.000 Kupfer- und Bronzepatronen – verweist auf die tragische Kultur der „mass shootings“ in den USA. 20 Prozent des Verkaufspreises werden dann auch an die Organisation „Everything for Gun Safety“ gespendet; Selfies vor dem beeindruckenden Werk natürlich mit extravielen Likes belohnt.
Doch so liberal und weltoffen sich die Kunstwelt präsentiert, natürlich steht für die meisten aus aller Welt nach Basel angereisten Besuchern während der VIP-Tage nicht die künstlerische Erweckung, sondern das Einkaufserlebnis im Vordergrund. Und weil freilich die ästhetische Gesamtinszenierung zählt, kann man auf der angrenzenden Design Miami / Basel die passenden Möbelklassiker und Design-Objekte zum frisch gekauften Kunstwerk erstehen. Noch immer reicht das Spektrum der Galerien von Prouvé bis Niemeyer, die Postmoderne und die zeitgenössische Designszene haben den Sprung auf den Olymp der begehrtesten Sammlerstücke noch nicht geschafft.
Dass klassisches Design nicht bei Tagesliegen und Freischwingerstühlen aufhört, demonstriert in diesem Jahr der amerikanische Sammler Stuart Parr, der gleich drei Iso Grifos, drei Beach Cars sowie eine ganze Reihe italienischer Motorradklassiker nach Basel gebracht hat. Wie schön, dass in der Welt der Autoklassiker noch alles in Ordnung ist.
Fotos: Jan Baedeker for Classic © 2018