Als Bertones brillanter Designer Marcello Gandini 1967 erste Skizzen des Lamborghini Espada aufs jungfräuliche Papier warf, war es offensichtlich, dass er sich vom revolutionären Concept Car Marzal leiten ließ, das er für den Genfer Autosalon im selben Jahr entworfen hatte. Aber es gibt noch ein zusätzliches Auto mit frappanten Ähnlichkeiten zum Espada, das übrigens ebenfalls 1967 von Gandini gezeichnet worden war: der Bertone Pirana. Während das Show Car auf der Basis des Jaguar E-Types nur zwei an Stelle der vier Sitze des Espada aufwies, wurde das Styling dieser Flunder zusammen mit dem hoch angesetzten, ungewöhnlichen Fließheck mit nur minimalen Modifikationen auf den Espada übertragen.
Wie bei den meisten von Gandinis wagemutigen Entwürfen, erwies sich natürlich auch das Espada-Design als provokativ. Gut, es hatte vielleicht nicht den atemberaubenden Sexappeal des Miura, aber jene, die kurzsichtig meinten, der Viersitzer wäre kein „echter” Lamborghini, täuschten sich ganz gewaltig. Nicht vordergründig aggressiv, aber dennoch selbstbewusst, raumfüllend statt muskulös, aber dennoch bereit. Und mit einer Länge von 4,5 Meter und rund 1,8 Meter Breite lässt sich dieses Raumschiff dennoch schwerelos durch den Stadtverkehr steuern.
Gandinis großzügiger Umgang mit Glas war selbst schon ein Indiz seines Genies. Mit vier Reifen, die sich geradezu an die vier Ecken des Autos schmiegten und einem Interieur, das wirkte, als käme es direkt aus einem Privatjet war der Espada wahrhaft alltagstauglich und durchaus praktisch. Im direkten Vergleich erschien der damalige Rivale Maserati Quattroporte als einer der wenigen viersitzigen Sportwagen ein wenig prosaisch. Britische Käufer mussten seinerzeit schon bereit sein, 10.000 Pfund für dieses italienische Meisterstück von Lamborghini zu investieren - doppelt soviel wie der Preis eines Aston Martin DB6.
Unter der ausladenden Motorhaube agierte ein V12, im Wesentlichen baugleich mit jenem des Miura, der in der Serie 1 325 PS entwickelte und für die Serien 2 und 3 auf 350 PS gesteigert wurde. Abgesehen von einem wohligen Grummeln, zählte zu den bemerkenswertesten Eigenschaften dieses Antriebsstrangs, dass man zugleich mühelos mit 180 Stundenkilometern dahin gleiten konnte, aber sich auch bei niedrigen Tempi vom Raffinement und der Gelassenheit dieses Autos überzeugen lassen konnte. Eine Feststellung, die eher nicht auf den Miura zutrifft. Die herrlichen Campagnolo-Räder aus einer Magnesiumlegierung wurden dem Miura entliehen, allerdings wurden sie optional mit Radmuttern statt den konventionellen, geschlossenen Radkappen angeboten.
Vielen galt Gandinis Marzal als seiner Zeit meilenweit voraus. Im Rückblick ist diese Einschätzung kaum überraschend. Als Nachfolger wurde der Espada über zehn Jahre lang verkauft, dann wurde auch Lamborghini ein Opfer der Ölkrise und musste vorübergehend die Produktion einstellen. In dieser Dekade rollten 1.217 Fahrzeuge vom Band in Sant`Agata. Diese hohe Zahl war für die damalige Zeit nicht nur ungewöhnlich, sie belegt auch die Popularität und Leistungsfähigkeit dieses Modells. Innerhalb der gesamten Produktion zählten 575 Stück zu den besonders nachgefragten Serie 2-Fahrzeugen wie beispielsweise dieses Exemplar in Verde Pallido Metallizzato, das derzeit von Albion Motorcars in Belgien angeboten wird. Es hatte vier Vorbesitzer, zeigt 69.000 Meilen auf der Uhr und befindet sich in einem beeindruckend ursprünglichen Zustand.
Im Jahr 2018 jährt sich zum 50. Mal das Debüt des Espada auf internationaler Bühne - wenn das kein Grund zum Feiern ist. Fraglos verlangen Pflege und Reparaturkosten nach starken Nerven. Classic Driver-Händler Simon Kidston rät lapidar jenen, die das Wagnis Espada eingehen wollen: „Sie brauchen eine Ölquelle, einen eigenen Mechaniker und eine Gelddruckmaschine”. Aber wenn dann Familie, Freunde und Geschäftspartner darauf drängen, diesen unterschätzten Lamborghini erleben zu dürfen, vergisst man alle Kosten während des außergewöhnlichen Fahrerlebnisses. Auch 50 Jahre später darf man den Espada als das rühmen, was er war und heute noch beansprucht: der ultimative, exotische viersitzige Sportwagen.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2017