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Warum die Automobilkunstwerke des Art déco ins Museum gehören!

Warum die Automobilkunstwerke des Art déco ins Museum gehören!

Ab Oktober zeigt das North Carolina Museum of Art unter dem Titel „Rolling Sculptures“ eine große Sonderschau mit vom Art déco-Design inspirierten Autos und Motorrädern. Wer könnte diese spannende Designepoche besser erklären als Kurator Ken Gross...

Alte Autos haben mich seit jeher fasziniert. Als Autor, Historiker, ehemaliger Leiter des Petersen Automotive Museums, Pebble Beach Concours Richter und Gastkurator eines Museums für schöne Künste treiben sie mich seit 45 Jahren um. Unter meinen Favoriten rangieren die Art déco-Modelle aus der Zeit zwischen den frühen 30ern und den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Die gesamte Stilrichtung umgibt eine ganz besondere Magie. Jedermann meint zu wissen, was Art déco und seine schmeichelnden Elemente sind. Von Ertés Illustrationen und Modekreationen über den Ozeandampfer SS Normandie bis zu den stromlinienförmigen Dampflokomotiven der 20th Century Limited sind sie für immer im kollektiven Gedächtnis vieler Menschen verankert. 

Sanfte Kurven treffen auf messerscharfe Kanten

Art déco (kurz für französisch art décoratif, „dekorative Kunst“) ist ein Begriff, mit dem speziell mit Bezug auf Autos recht großzügig umgegangen wird. Er umfasst architektonische, industrielle und modische Stilrichtungen, die nach übereinstimmender Auffassung von Experten etwa ab 1910 auftauchten. Ihre Blütezeit erlebten sie in den späten 20er- und frühen 30er-Jahren. Nach der Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg – in den Amerika 1941 eintrat – erlebte sie dann nochmal eine kurze Renaissance. Auch wenn ihr Einfluss nachgelassen hatte und die Verzierungen schlichter wurden, fanden sich Art déco-Elemente noch bis in die 1950er-Jahre. 

Unter Nutzung wunderschön gerundeter Formen – die sich oft mit barocken Elementen wie stilisierten Sonnenstrahlen vermischten – und der gekonnten Verbindung aus sanft fließenden Kurven und messerscharfen Kanten übernahm der Art déco-Stil bald auch im Autodesign eine führende Stellung. Speziell bei einigen ausgewählten Marken und Modellen – viele davon gelten heute längst als Klassiker. 

Der dem Auge so schmeichelnde Stil war zugleich schlicht wie sehr elegant. Die Verschmelzung mit dem zur gleichen Zeit euphorisch begrüßten Stromlinien-Design verhalf dem Art déco zu einer zusätzlichen Dimension. So beeinflusste dieser von den Zeitgenossen als extrem progressiv empfundene Stilbewegung nahezu alle Lebensbereiche und Gegenstände – von Stromlinien-Lokomotiven und Schnellzügen über luxuriöse Ozeanriesen bis zu Hochhäusern und Brücken, Möbeln, elektrischen Haushaltsgeräten, Radios, modischer Oberbekleidung und sogar dekorativen Elementen wie Hinweisschildern. Und am Ende auch Automobile jeder Preisklasse und einige Motorräder.  

Die perfekte metallische Vorlage

Die Stromlinie galt wie bereits gesagt als sehr modern – und versprach natürlich auch eine bessere Aerodynamik. Das Auto als Kind des 20. Jahrhunderts war die perfekte Folie, um dem populären Art déco-Stil auch hier zum Durchbruch zu helfen. Zumal es sich ja gerade auch mechanisch rasant schnell weiterentwickelte.

Mein Freund Gary Vasilash, Chefredakteur des Magazins Auto Design and Production sagt: „Man kann Art déco als eine Kombination aus großen Gesten und feinen Details charakterisieren.“ Berühmte Architekten und Industriedesigner wie Frank Lloyd Wright, Norman Bel Geddes, Walter Dorwin Teague, Raymond Loewy und Walter Gropius zog der neue Stil in ihren Bann; genauso wie Autodesigner, Rennsport-Innovatoren und Ingenieure wie Jean Bugatti, Harry Arminius Miller, E.T. „Bob“ Gregorie, Harley Earl, Bill Mitchell, Gordon Miller Buehrig und manch anderen.

Ich erinnere mich noch gut an die Ausstellung „Sensuous Steel“: Art Deco Automobiles“, die wir im Sommer 2013 im Frist Center for the Visual Arts in Nashville ausrichteten. Ich war Gastkurator, und wir zeigten 18 Autos und zwei stromlinienförmige Motorräder. Insgesamt kamen in 17 Wochen 125.000 Zuschauer. Vom 21. Februar bis 30. Mai dieses Jahres gingen wir mit der Show dann ins Museum of Fine Arts in Houston, Texas – auch hier war der Zuspruch enorm.

Die Autos wurden zu Stars

Automobile sind für Museen der schönen Künste im Übrigen kein Neuland. Schon 1951 zeigte das New Yorker Museum of Modern Art „8 Automobiles“. Der Kurator für Architektur, Arthur Drexler, sprach schon damals von „rollenden Skulpturen“. Ralph Lauren stellte Autos aus seiner Sammlung im Bostoner Museum of Fine Art und im Louvre aus. Ich selbst habe Modelle für Ausstellungen in Museen von Portland, Phoenix, Salt Lake City, Atlanta, Houston und Raleigh zusammengeholt – und weitere Shows sind in der Planung. „The Art of the Motorcycle“ Show von 1998 im Guggenheim Museum mit 114 Art déco-Bikes aus den 20er- und 30er-Jahren war ein Publikumsrenner. Kaum noch ein Kunstliebhaber stellt heute noch die Inklusion einer Auto- oder Motorradausstellung in das Programm eines Museums infrage. In vielen Kunsttempeln sind die Autos heute die eigentlichen Stars.

Die „Rolling Sculpture“-Ausstellung im North Carolina Museum of Art, die am 1. Oktober öffnen und erst am 15. Januar 2017 wieder schließen wird, zeigt viele der von uns bereits schon in Nashville und Houston ausgestellten Fahrzeuge. Aber um etwas Abwechslung hereinzubringen, habe ich einige weggelassen und dafür spannende Neuheiten arrangiert. Wie ein beeindruckendes Peugeot Darl’mat Coupé, das lange verloren geglaubte BMW R7 Konzept-Motorrad von 1934, die Tatra T87-Stromlinie  von 1940, einen dramatischen Nachbau des Bugatti T57 „Aerolithe“ mit Magnesium-Karosserie, eine Ruxton Limousine von 1930 mit mehrfarbiger Lackierung des bekannten Architekten, Illustrators und Bühnenbildners Joseph Urban, den Pierce Silver Arrow, der 1933 bei der Chicago Century of Progress Ausstellung den ersten Preis errang und den originellen Voisin C28 Clairiere. Auf die Kuratorin des Museums für alte Kunst, Caroline Rocheleau, mit der ich die Ausstellung gemeinsam zusammenstellte, übte der Stout Scarab eine besondere Anziehungskraft aus. Weil er eine Reihe von käferartigen, an alte ägyptische Kunst erinnernde Designelemente besitzt.  

Ich hätte gerne noch viel mehr Autos gezeigt, doch fehlt dazu einfach der Platz. Einer meiner Favoriten aus der Art déco-Epoche ist der Alfa Romeo 8C 2900 B. Alfa baute rund 40 8C Berlinetta und Spider mit dem vom Grand Prix-Rennwagen abgeleiteten 2,9 Liter DOHC-Reihenachtzylinder plus Aufladung über zwei Roots-Kompressoren. Der 8C 2900 Lungo Touring Spider ist ohne Zweifel der ultimative Vorkriegs-Sportwagen – ein Exemplar aus dieser Baureihe wurde nicht umsonst gerade zum Topact für den diesjährigen Monterey Sale von RM gekürt. Und steht auf einer Stufe mit dem Bugatti T57 SC und dem Mercedes-Benz 540 K. Für eine frühere Ausstellung konnte ich mir ein 8C2900 Touring Coupé besorgen und ich hoffe, für die Zukunft wieder mal einen 8C zu erhaschen. Doch hätte ich nur einen Wunsch  frei – ich würde den Lungo Spider wählen.

Verführerischer Stil 

Wir können solche Ausstellung nicht ohne die begeisterte Unterstützung unserer Leihgeber – Privatleute und Museen - ausrichten. Anders als bei Gemälden oder Skulpturen sind Autos funktionsfähige mechanische Gebilde. Sie werden auf die hohen Standards der Schönheitswettbewerbe gebracht und nur zum Spaß bewegt. Für die Besitzer ist es also schon ein  Opfer, sich für fünf Monate von ihren Schätzchen zu trennen. Denn so lange dauert es, die Ausstellung aufzubauen, sie durchzuführen und am Ende wieder abzubauen. Anders als bei einem Concours verleihen wir keinen „Best of Show“-Preis. Jedes Auto in dieser Ausstellung ist ein Sieger. Wir produzieren einen eleganten Katalog als Souvenir für die Besitzer und die Ausstellungsbesucher. Ich habe das Privileg, bei der Aufstellung der Fahrzeuge zu helfen. Manche fahre ich sogar von den von uns speziell angefertigten Transportern - und von dort in die mitunter sehr schmalen Stellplätze im Museum. 

Vor ein paar Jahren musste ich im High Museum of Art in Atlanta sogar mal die vordere Stoßstange eines Duesenbergs abmontieren (natürlich mit Einwilligung seines Besitzers). Der Grund? Nun, das einst vom Schauspieler Clark Gable gefahrene Luxusauto war schlicht zu lang für den Lastenaufzug des Museums. Doch wir schafften es, und der „Duesie“ war ein großer Hit bei den Besuchern jener Stadt, in der Gable Ende 1939 mit „Vom Winde verweht“ zu Kinoruhm gelangt war.  

Ich hoffe, dass einige unserer europäischen Freunde nach North Carolina kommen können, um sich die „Rollenden Skulpturen“ aus der Nähe zu betrachten. Diese Autos sind eine Hommage an eine goldene Ära. Unbeeinflusst von Sicherheitsvorschriften, Abgasgesetzen und Flottenverbräuchen sollten sie nur schön und verführerisch sein. Und das sind sie bis heute geblieben.

Fotos: Peter Harholdt / Joe Wiecha / Michael Furman / Scott Williamson of Photodesign Studios

Ken Gross ist ein renommierter Motor-Journalist und Automobilhistoriker. Er arbeitete als Executive Director des Petersen Automotive Museums, war Jurymitglied beim Pebble Beach Concours und Gastkurator eines Museums für schöne Künste. Zuletzt stellte er die hier beschriebene Art Deco Automobilausstellung  „Rolling Sculpture“ am North Carolina Museum of Art zusammen. Sie öffnet am 1. Oktober 2016 und geht bis zum 15. Januar 2017.