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In Japan blüht eine bunte und verrückte Klassikerszene

In Japan blüht eine bunte und verrückte Klassikerszene

Lassen Sie sich nicht von den irrwitzigen Skyline-Exemplaren und den Lamborghini Aventador täuschen. In Japan können Sie nämlich auch eine reichhaltige Klassikerkultur mit einer ausgeprägten Lust auf Ungewöhnliches und Rares entdecken. Unser Experte Ken Saito führt Sie durch diese fernöstliche Welt.

Japan erscheint als Land, in dem Tradition und Moderne harmonieren, gespeist durch uralte Bräuche, welche die Zukunft formen. Aber dieses Land kennt auch eine Autoszene, die so neonbunt und grell ist wie die Städte selbst - wilde Lamborghini und Nissan Skylines mit allem, was die Tuner bieten.

YouTube-Videos und Posts auf Instagram, die danach schreien, geteilt zu werden - das ist der Aspekt der japanischen Autokultur, den die meisten zu sehen bekommen. Es macht zwar Spaß, diese irrwitzig getunten FahrzeugeMarke Fernost zu bestaunen, aber dahinter verbirgt sich viel mehr. Es gibt nämlich auch eine große Zahl an Enthusiasten, die klassische Automobile fernab des Rummels der sozialen Medien schätzen und pflegen.

Schwer ist es nicht, in Japan Klassiker zu entdecken. Vor allem in den eher bürgerlichen Vierteln von Tokio, wo durchaus Altes und Interessantes am Straßenrand parkt oder vorbeifährt. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass man gerade hier auch eine Fülle an spezialisierten Werkstätten und Händler findet. Setagaya im Süden der Millionenmetropole beispielsweise beherbergt einige wunderbar eigenwillige Händler, die ihren Fokus auf ungewöhnliche moderne Klassiker legen. 

Zugleich bieten die wöchentlichen und monatlichen Treffen rund um Autos und Kaffee, die sich inzwischen in ganz Tokio breit gemacht haben, auch reichlich Gelegenheit für Klassiker-Spotting - zum Beispiel an Orten wie Daikanyama T-Site, wo an jedem zweiten Sonntag im Monat zu einem jeweils thematischen Stelldichein mit einem pfiffigen Mix an exzentrischen Fahrzeugen geladen wird. Auch der berühmte Daikoku-Parkplatz vierzig Minuten südlich von Tokio gelegen ist an jedem dritten Sonntag im Monat ebenfalls Schauplatz der Enthusiasten. Obwohl man hier eigentlich an jedem Sonntag das Glück haben kann, das eine oder andere unvergessliche Auto bestaunen zu können.

Allerdings sind die Eigner bei diesen Events nicht mehr ganz jung. Japans älter werdende Gesellschaft drückt sich als Phänomen auch in der Autoszene aus. Natürlich nutzen auch Junge diese Bühne, um ihre Autos zu präsentieren, aber lange nicht so viel wie im Westen. Die Männer mit ihren getunten Lamborghini sind dann eben keine Millennials, sondern seriösere Herren in den Vierzigern oder Fünfzigern. Aber von ihrer Lust, ihrem Auto so oft wie möglich einen Ausflug zu gönnen, lebt auch die japanische Autokultur.

In jüngerer Zeit wurde eine ganze Reihe von viel beachteten Veranstaltungen entwickelt, die vor allem einzigartige und seltene Automobile im Blickpunkt haben. Kurioserweise finden de besten Events alle im November statt wie beispielsweise der Suzuka Sound of Engine. Diese noch relativ junge Veranstaltung, die 2015 ins Leben gerufen wurde, lockt Mitte November und wird Jahr um Jahr größer und gelungener. Es ist sogar mein liebster Event in Japan, denn hier wird der Verbrennungsmotor in Reinkultur zelebriert. Elektroautos lassen sich hier nicht finden.

Was dieses Treffen so auszeichnet, dass man sogar die sechsstündige Fahrt von der Hauptstadt auf sich nimmt, ist die Tatsache, dass alle Teilnehmer Runden auf der Rennstrecke drehen können. Es ist ja nicht irgendein Circuit. Fragt man hier wahre Motorsportfans nach ihrem Lieblingskurs, dann würden sie sich bestimmt für dieses historische Motodrom in Suzuka entscheiden.  

Die Stars an diesem Wochenende sind fraglos die Gruppe C-Rennwagen. Stellen Sie sich die Sound of Engine wie Japans Antwort auf die Le Mans Classic oder das Goodwood Members´ Meeting vor: die rare Chance, Rennwagen einer vergangenen Woche zu erleben und sich auf dem Kurs packende Kämpfe liefern zu können. Mit von der Partie sind auch historische Formel 1-Fahrzeuge sowie klassische Motorräder und natürlich Supercars.

Außerdem gibt es eine Versteigerung durch Best Heritage Auction. Abgesehen von den Mega-Auktionen, die Sie vielleicht in alten Folgen von „Top Gear” verfolgt haben, gibt es in Japan kaum Top-Versteigerungen von Klassikern. Bei der Sound of Engine-Veranstaltung im letzten Jahr kamen hochkarätige Autos und Erinnerungsstücke aus Mr. Chibas persönlicher Sammlung unter den Hammer, darunter ein Ferrari F40 JGTC, ein R32 Skyline und der in Le Mans siegreiche Porsche 911 GT3.

Ebenfalls im November lädt Tokios Supercar Day die Öffentlichkeit zu einer kostenfreien Begegnung mit unglaublichen Autos ein. Dieser Tag für alle findet in Odaiba in Tokio statt, an einem Ort, wo sich viele Touristen und auch Passanten aufhalten und so mehr als 200 klassische und moderne Automobile bewundern können. Die Veranstalter hoffen damit, auch mehr junge Leute für das Thema zu begeistern. Denn auch in Japan lässt das Interesse der Jugend an Autos merklich nach. Nicht nur die hohen Betriebskosten, sondern auch die enorme Effizienz der öffentlichen Verkehrsmittel sorgen dafür, dass die nächste Generation ihr Geld lieber für elektronische Geräte und Technologie ausgibt. 

Organisiert vom Supercar Club of Japan, hat der letzte Supercar Day spektakuläre Teilnehmer beschert. Natürlich waren die üblichen Verdächtigen vertreten wie schrille Lamborghini und Ferrari, aber anwesend waren auch eine Handvoll Überraschungen wie ein Bugatti Chiron, Aston Martin Vanquish Zagato und ein McLaren P1. 

Doch auch ein paar Ikonen den 20. Jahrhunderts ließen Herzen höher schlagen wie beispielsweise Ferrari F40 und F50. Natürlich haben viele dieser „Halo”-Modelle auch in Japan eine neue Heimat gefunden, aber es ist immer eine Genugtuung, ursprüngliche Exemplare zu sehen. Der Eigner des F50 hatte auch seinen Jaguar XJR-15 mitgebracht. Einst war dieses Modell oft Teil japanischer Sammlungen, heute gibt es nur mehr wenige im Land.

Mein absolutes Highlight war der straßenzugelassene Porsche 962C - wieder so ein Auto, das man entweder bei „Top Gear” bestaunte oder begeistert auf Instagram teilte. Ursprünglich ein Schuppan 962CR, wurde das Fahrzeug umgebaut, um wie ein Gruppe C-Rennwagen auszusehen und wurde auch noch in die berühmten Rothmans-Farben getaucht. 

Gegen Ende November findet die Coppa di Tokio statt. Es ist ein kleines Meeting von rund 100 Klassikern, die zu einer rund zweistündigen Tour durch Tokio aufbrechen. Jedes Jahr gibt es subtile Änderungen in der Teilnehmerliste, die für Überraschungen gut sind. Im letzten Jahr waren das zum Beispiel ein weißer Ferrari 275 GTB und ein Lancia Delta S4 Stradale. Die Start- und Ziellinie befindet sich in „Italia City” in Shiodome, das selbst einer typisch italienischen Straße ähnelt und somit natürlich ideal zu einer von Italien inspirierten Rallye passt. 

Japaner sind sowieso von allen italienischen Dingen fasziniert und nirgendwo sonst als in der Welt der Klassiker wird diese Liebe ausgelebt. Tokio muss zu den wenigen Ort zählen, die ich kenne, wo man tatsächlich Pandas aus den achtziger Jahren, Cinquecento-Modelle oder gar einen Alfa Romeo im Zagato-Design entdecken kann, die ganz selbstverständlich im Alltagsverkehr unterwegs sind. Events wie die Coppa di Tokio oder die alljährliche La Festa Mille Miglia locken folglich eine Vielzahl an Lancia, Fiat, Abarth und Alfa Romeo an.

Als Highlight unter den italienischen Auto-Tifosi ist Lamborghini Day zugleich die letzte Veranstaltung im Enthusiastenmonat November. Erinnern Sie sich noch an die in Neon gekleideten Lamborghini, die ich eingangs erwähnte? Weil Lamborghini Day offiziell von der Marke aus Sant´Agata unterstützt wird, gibt es nur wenige modifizierte Exemplare, aber dafür eine Fülle an seltenen und ursprünglichen Modellen. Weil Lamborghini Day 2018 dem 50. Jubiläum des Espada und des Islero gewidmet war, gab es unter den rund hundert Teilnehmern auch einige Polo Storico-Vertreter dieser beiden Seltenheiten zu bewundern. 

Wenn Sie sich mit Tokios Klassikerszene vertraut machen wollen, dann ist November Ihr Reisemonat! Aber auch während des Jahres bieten sich noch genügend Gelegenheiten, um in die vielfältige und reiche japanische Klassikerkultur einzutauchen. Wie in fast allen anderen Bereichen ihres Lebens, so gelingt auch hier den Japanern, die Vergangenheit auf eine Weise zu feiern, die auch ihre Zukunft formt. Deswegen tauchen mehr und mehr Events im Klassikerkalender auf, zu denen Rallyes, Concours, Bergrennen und lockere Treffen gehören. Flankiert wird dieses Leben von vielen Händlern, Geschäften und Museen. An dieser Stelle werden Sie immer auf dem Laufenden gehalten.

Text und fotos: Ken Saito © 2019 

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