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Classic Drivers J. Philip Rathgen verrät, wie es ist, ein Concours-Juror zu sein

Classic Drivers J. Philip Rathgen verrät, wie es ist, ein Concours-Juror zu sein

Seit sieben Jahren amtiert Classic Driver-CEO J. Philip Rathgen als Mitglied der Jury beim weltbekannten Concorso d `Eleganza Villa d`Este. Wir haben uns mit ihm zusammengesetzt, um mehr über die Prozesse dieser spannenden Klassiker-Beurteilung zu erfahren.

Philip: Wie wird man Jurymitglied beim Concorso d `Eleganza Villa d´Este oder überhaupt bei einem solchen Schönheitswettbewerb?

Das ist relativ unkompliziert – man wird dazu eingeladen. Was man allerdings mit seinem Leben und der Karriere gemacht hat, um an diesen Punkt zu gelangen, ist wieder eine ganz andere Sache. Eines ist allerdings sicher: Man muss über Expertise verfügen und Automobile verstehen. Im Fall der Villa d´Este wird man zunächst als Honorarjuror eingeladen und wenn man sich ordentlich aufgeführt hat, dann wird man für weitere Veranstaltungen eingeladen. Es lässt sich nicht wirklich unterscheiden, wer Honorary Judge ist und wer nicht. Aber wenn man weiß, dass Lorenzo Ramaciotti der Jury-Präsident ist oder Experten wie Renaults früherer Designchef Patrick Le Quément, der frühere Rolls-Royce-Designer Ian Cameron und der Journalist und Autor Winston Goodfellow seit Jahren schon zum Jurorenteam zählen, dann ahnt man, in welche Richtung das gehen könnte.

Stimmt, aber es gab vor ein paar Jahren einen Punkt, als die Jury etwas größer wurden…sagen wir acht bis zehn Menschen.

Richtig. Das Organisationskomitee, dem immer der aktuelle Direktor der BMW Classic vorsteht, fand, dass dieser Prozess insgesamt interessanter und kulturell relevanter sein sollte, in dem man Gastjuroren einlud – Persönlichkeiten aus der Kunstwelt, Architekten, Kuratoren. Zum Beispiel Martin Roth, der seinerzeit der Direktor des Londoner Victoria & Albert-Museums war. Aber auch jüngere Menschen wie die Ingenieurin Laura Kukuk und damals auch mich, denn vor sieben Jahren war ich unter 40. Man hat diese Weichen gestellt, damit der Concorso auch in Zukunft lebendig bleibt. Laura ist eine menschliche Enzyklopädie, wenn es um Autos geht – sie ist eine wunderbare Ergänzung dieser Jury, unabhängig von ihrem Alter.

Wie verhält es sich mit den Autos? Wie kommt man mit dem eigenen Juwel in den Wettbewerb?

Es gibt hier einige Dinge, auf die man aufmerksam machen sollte. Zunächst das Auswahlkomitee, dass nichts mit der Jury zu tun hat. Jedes Jahr bestimmt es die Klassen, die beim Event präsentiert werden, macht die Autos ausfindig, die diesen Kriterien genügen, in dem man Eigner zur Teilnahme einlädt und ihre Anmeldungen prüft. Die Sammlerszene auf diesem allerhöchsten Niveau ist tatsächlich sehr klein und deswegen sind diese Aufgabenteilung und die Unabhängigkeit auch so wichtig, weil selbst ein Klassensieg Folgen für den Preis eines Klassikers haben kann. Wenn die Autos dann in Cernobbio ankommen, werden sie gründlich auf Ursprünglichkeit geprüft von Vertretern der Fédération International des Véhicules Anciens (FIVA). Damit das klar ist: Sie müssen nicht hundertprozentig original sein. Wenn jemand einen elektrischen Kühlerlüfter einbauen lässt, weil sie ihr Auto tagtäglich genießen wollen, dann ist das völlig in Ordnung.

Weißt du als Juror im Vorhinein welche Autos du beurteilen wirst? Wie kenntnisreich muss man tatsächlich sein?

Sehr gute Frage. Niemand kann alles wissen über jedes Auto, das je gebaut wurde, aber man sollte ohne Frage im Allgemeinen die Automobilgeschichte und die Evolution des Designs kennen. Es empfiehlt sich, einige spezielle One-offs oder kaum bekannte Marken vor solchen Events zu recherchieren. Man kann aber genauso gut den Besitzern aufmerksam zuhören, denn sie besitzen profundes Wissen über ihre Exemplare. Es zahlt sich ebenfalls aus, wenn man weiß, dass manche Materialien oder Lackarten – beispielsweise bei einem Vorkriegsfahrzeug – inkorrekt sind, weil seinerzeit niemand Straußenleder oder Metallicfarben nutzte. Manchmal wird man allerdings mit einem Kuriosum konfrontiert wie einem gelb-roten Pegaso mit Pistolenhalfter in der Tür: Egal, ob man sein ganzes Leben dem Auto verschrieben hat, man kann dann unmöglich einschätzen, womit man es hier gerade zu tun hat. Die einzige Marke, bei der ich mir zutraue, Experte zu sein, sind alte Range Rover, doch leider nehmen sie – noch – nicht an Concours teil.

Abgesehen von den Klassensiegen, vergibt der Concorso jedes Jahr zwei Hauptpreise. Der Copa d´Oro Villa d´Este, ein Publikumspreis, der am ersten Tag des Wettbewerbs verliehen wird und der etwas bedeutsamere Best of Show Trofeo BMW Group, der von der Jury zuerkannt wird. Abgesehen von der einen oder anderen Verrücktheit, sind die meisten Autos, die in Cernobbio vorfahren, einfach umwerfend. Wie wählt man einen Sieger aus?

Als erstes wird die Jury in Gruppen eingeteilt, die bestimmte Klassen beurteilen. Das macht unsere Aufgabe einfacher, denn wir konzentrieren uns damit nur auf ein paar Fahrzeuge, statt auf alle im Aufgebot. Die Jury bei der Villa d´Este ist zahlenmäßig wirklich klein. In Pebble Beach sind es an die 60 Juroren, folglich stehen wir hier unter Zeitdruck. Wirklich hilfreich für unsere Arbeit ist das Punktesystem. Unterschiedliche Beurteilungskriterien werden aufgestellt, aber nicht alle besitzen dieselbe Anzahl an Punkten, die sich insgesamt auf 100 Punkte belaufen können. Die Besitzer erzählen uns die Geschichte des Autos, wie es erhalten oder restauriert wurde, wer es gefahren hat und warum es so besonders ist. Sie lassen es für uns an, wir untersuchen Exterieur, Interieur, Motorraum, wir studieren Archivfotografien und Dokumente. Danach bewerten wir diese Elemente. Die wichtigste Kategorie, jene, die einem Besitzer die meisten Punkte einbringt, heißt „Elegance and Style“. Aber es gibt auch weitere „weiche“ Beurteilungskategorien wie zum Beispiel „kulturelle Bedeutung“, bei der man auch viele Punkte erzielen könnte.

Und dann hat man sich einen Klassensieger erarbeitet…

So ist es. Die Punktekarten der einzelnen Gewinner werden zusammengestellt, um den Gesamtsieger zu ermitteln. Manchmal gibt es im Fall eines Gleichstands eine kurze Diskussion, dann sehen wir nach weiteren Unterscheidungsmerkmalen. Zum Beispiel, ob der Besitzer das Originalkennzechen montiert hat. Sollte ein Jurymitglied von einem Autos besonders hingerissen sein, gibt es dennoch keine Möglichkeit, die Stimmenmehrheit für „sein“ Auto zu bewegen. Außerdem habe ich bereits die Bedeutung des Auswahlkomitees und der FIVA erwähnt – jedes Fahrzeug, das von diesen Organisationen untersucht worden ist, besitzt die gleiche Chance, den Concorso zu gewinnen wie seine Rivalen. Es gibt noch weitere Fail-Safes, um Ausfälle zu vermeiden. Ein Auto darf nicht gleichzeitig mit dem Concorso zum Verkauf angeboten werden und ein Juror, der irgendwie mit einem der Autos involviert ist, muss entweder in einer anderen Klasse bewerten oder die Punkte, die er diesem speziellen Exemplar verliehen hat, einem anderen Juror überlassen.  

Was ist der Unterschied – abgesehen von der großartigen Kulisse am Comer See – zwischen dem Concorso d´ Eleganza Villa d´ Este und anderen Events wie Pebble Beach oder Hampton Court?

Beim Concours vor Hampton Court gibt es keine Jury. Die Teilnehmer bewerten gegenseitig ihre Automobile. Also ein völlig unterschiedenes aber nicht minder interessantes Szenario. Pebble Beach ist eine viel größere Veranstaltung und die Abnahme ist wesentlich detaillierter. Man darf nicht vergessen, dass der Concorso 1929 als Wettbewerb für Neuwagen ins Leben gerufen wurde – eine Modenschau, die zu einem Wettbewerb der verschiedenen Karosseriebauer geriet. Pebble Beach wurde 1950 gegründet und war sofort auch ein Wettbewerb für klassische Autos. Die Ursprünge sind sehr voneinander verschieden und das spürt man auch im Geist der Veranstaltungen. Wenn du mich fragen wolltest, welcher Concours nun besser ist, könnte ich keine Antwort geben. Sie sind alle unterschiedlich. Allerdings sorgt die Kombination aus Landschaft und Szenerie, die Auswahl exquisiter Fahrzeuge und Exklusivität im Sinne einer limitierten Anzahl Besucher definitiv dafür, dass der Concorso d`Eleganza Villa d`Este etwas ganz Besonderes ist!

Fotos: Blazej Zulawski / Rémi Dargegen

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